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15.000 demonstrierten gegen Kahlschlag

11.11.2002  00:00 Uhr
Bündnis Gesundheit 2000

15.000 demonstrierten gegen Kahlschlag

von Daniel Rücker und Christoph Drude, Berlin

Noch in dieser Woche will der Bundestag die Spargesetze verabschieden. Abgeordnete konnten sich am Dienstag am Brandenburger Tor ein Bild davon machen, was die Heilberufler von den Regierungsplänen halten. Mehr als 15.000 Apotheker und PTAs, Ärzte und Zahnärzte, Krankenschwestern und Pfleger waren sich einig: Der Kahlschlag im Gesundheitswesen muss verhindert werden.

Sie kamen aus Berlin und Bielefeld, aus München und Mannheim, aus Hamburg und Heidelberg. In einem Konvoi von über 500 Metern versammelten sich die Heilberufler auf der Straße des 17. Juni vor der Westfront des Brandenburger Tors. Angesichts der dramatischen Bedrohung ihrer Arbeitsplätze in Krankenhäusern, Apotheken und Arztpraxen hatte eine Woche Vorbereitungszeit ausgereicht, die Betroffenen in der gesamten Republik zu mobilisieren.

Einig wie selten waren sich die Vertreter der Gesundheitsberufe: Die Bundesregierung will das freiheitliche deutsche Gesundheitswesen durch ein planwirtschaftliches System ersetzen. Als Konsequenz droht der Verlust von Arbeitsplätzen in allen Bereichen und eine deutlich schlechtere Versorgung. Die berechtigten Ansprüche der Patienten an eine menschliche und zeitgemäße Gesundheitsversorgung wären nicht mehr zu erfüllen.

Massiv betroffen von den Spargesetzen sind die Apotheker. Auf den Transparenten und Plakaten dominierte deshalb das Apotheken-A. Die Botschaften waren zum Großteil an die Ministerin gerichtet. Slogans wie „Ulla Schmidt lässt grüßen, die Kranken müssen büßen“ oder „Ulla Schmidt wird es schon hinrichten“ machten die Befindlichkeit der Apotheker und ihrer Mitarbeiter deutlich.

Auf den Punkt gebracht

„Es darf nicht sein, dass durch dieses Gesetz in den dringend benötigten Einrichtungen des Gesundheitswesens das Licht für immer ausgeht“, brachte ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf die Befürchtungen der 15.000 Demonstranten auf den Punkt. Er kündigte massiven Widerstand gegen das Beitragssatzsicherungsgesetz und die Änderung im SGB V an: „Mit uns ist das nicht zu machen. Dagegen werden wir auch nach dem heutigen Tag mit allen Mitteln der Demokratie kämpfen.“ Auch ein Arbeitskampf sei nicht ausgeschlossen. Er stellte aber auch klar, dass die Patienten nicht unter den Aktionen leiden sollen. Wolf: „Wir werden die Patienten nicht in Geiselhaft nehmen.“

Wolf kritisierte, dass die Apotheker besonders heftig von den Sparplänen betroffen sind. „Wir haben kein Verständnis dafür, dass von der Einsparsumme von 1,5 Milliarden 70 Prozent bei den Apothekern landen werden.“ Mit Solidarität, Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft habe dies nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Vorschaltgesetz werde zigtausende von Arbeitsplätzen und zahlreiche mittelständische Existenzen vernichten. Die ABDA rechnet mit dem Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen in den Apotheken.

Wolf forderte die Abgeordneten der Regierungsparteien auf, nicht der Parteidiktatur sondern dem gesunden Menschenverstand zu folgen. Er erinnerte sie an ihre Verantwortung für die Bevölkerung, die sie gewählt hat. Die Parlamentarier sollten sich vergegenwärtigen, dass sie ihre Entscheidung auch im eigenen Wahlkreis vertreten müssen.

50.000 Arbeitsplätze bedroht

Massiven Arbeitsplatzabbau befürchten auch die anderen Verbände im Gesundheitswesen. Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Frank Ulrich Montgomery, rechnet damit, dass die den Krankenhäusern verordnete Nullrunde rund 50.000 Angestellten im Krankenhaus den Job kosten wird. „Es werden sozial wichtige Arbeitsplätze en masse vernichtet, weit mehr als mit den Einsparungen woanders wieder aufgebaut werden.“

Leidtragende sind dabei nicht allein die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Montgomery sieht auch die Patienten als große Verlierer: Sie werden in Zukunft von überarbeiteten Ärzten und Krankenschwestern behandelt, die keine Zeit dafür haben, sich auf die Bedürfnisse und Nöte der Kranken einzulassen.

Montgomery warf der Politik Versagen und Inkompetenz vor. „Nullrunden sind in Wirklichkeit Minusrunden und das eine politische Bankrotterklärung.“ Wer Minusrunden verordne, wisse nicht mehr weiter.

Nicht nur die ärztliche Versorgung im Krankenhaus wird leiden. Auch bei Krankenschwestern und Krankenpflegern droht ein radikaler Stellenabbau. Davon ist Gertrude Stöcker, Vorsitzende des Bundesausschusses der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe, fest überzeugt: „40.000 Angestellten droht nun mit der geplanten Nullrunde der Verlust des Arbeitsplatzes.“ Zum Schaden der Patienten, denn die würden demnächst von gehetzten, demotivierten Schwestern versorgt. Das Recht der Patienten auf hoch qualifiziertes Personal, das ihnen mit Kompetenz und entsprechender Zeit zur Verfügung steht, werde mit Füßen getreten.

Regierung fährt Sozialstaat an die Wand

Einschnitte für die Patienten wird es auch in der ambulanten Versorgung geben. Die geplante Nullrunde hätte nach Einschätzung der Kassenärzte eine Verschlechterung der medizinischen Leistungen zur Folge. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Manfred Richter-Reichhelm, bezweifelte, dass Gesundheitsministerin Schmidt dafür ein Mandat der Wähler hat. „Kein Mensch hat Sie gewählt, damit Sie die medizinischen Leistungen reduzieren, Frau Schmidt. Niemand hat Sie gewählt, damit Sie jetzt Wartelisten einführen.“ Die Regierung drücke mit ihren Sparplänen den Heilberuflern die Luft zum Atmen ab. Das Resultat des Gesetzesentwurfs wäre ein völliger Systembruch. Richter-Reichhelm: „Diese Regierung will den Sozialstaat an die Wand fahren und die Staatsmedizin einführen.“

Die Regierung wolle das freiheitliche und bürgernahe Gesundheitswesen zu Gunsten eines bürokratischen Systems opfern. Dabei lasse sie nichts unversucht, „um mit ihren Helfershelfern unsere ambulante Medizin zu zerstören und die Therapiefreiheit und freie Arztwahl aufzuheben“.

Als geistigen Vater des Konzeptes hat Richter-Reichhelm Ulla Schmidts Berater, Professor Dr. Karl Lauterbach, ausgemacht. Schmidt folge den „verquasten Theorien des Cheftechnokraten Lauterbach“ kritiklos. Dabei sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. „Lauterbach will den Barfuß-Arzt und fachärztliche Behandlung nur noch im Krankenhaus.“ Er propagiere die Zuteilungsmedizin und die Regierung exekutiere.

Auch Richter-Reichhelm sieht in der Nullrunde für die Ärzte eine faktische Minusrunde. „Der einzelne Arzt verliert real 8 Prozent seines Nettoeinkommens.“ Vielen Kollegen werde es dann schwer fallen, den mit der Existenzgründung verbundenen finanziellen Pflichten und auch den Verpflichtungen gegenüber den Patienten nachzukommen.

Der KBV-Chef kündigte den maximalen Widerstand der Kassenärzte gegen das Sparprogramm an: „Jetzt ist Schluss mit lustig. Das war heute erst der Auftakt. Wir werden so lange informieren, bis jeder weiß, worum es wirklich geht.“ Und dann wurde er noch deutlicher: „Wenn Sie uns den Kampf ansagen, dann werden wir mit einem Arbeitskampf antworten.“

Bei diesem Kampf, daran ließ die Kundgebung vor dem Brandenburger Tor keinen Zweifel, werden alle im Gesundheitswesen beschäftigten Berufsgruppen auch weiterhin gemeinsam agieren. Eine gemeinsam verabschiedete Resolution an Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt die Richtung vor: Das Bündnis fordert ein menschliches statt ein durchökonomisiertes Gesundheitswesen (siehe Kasten).

 

Resolution: Mehr Menschlichkeit statt Durchökonomisierung Berlin, 12.11.2002
Über 15.000 Beschäftigte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens haben heute in Berlin gegen die Sparpläne der Bundesregierung demonstriert. Zum Abschluss der zweistündigen Kundgebung vor dem Brandenburger Tor nahmen die Teilnehmer der Protest-Veranstaltung eine gemeinsame Resolution des „Bündnis Gesundheit 2000“ und der Deutschen Krankenhausgesellschaft an, die Bundeskanzler Gerhard Schröder überreicht wird:

„Das Spardiktat der Bundesregierung bedroht Tausende von Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen und gefährdet die Behandlung, Pflege und Betreuung der Patienten. Die Jobmaschine Gesundheitswesen wird abgewürgt, wenn die Vergütung von Apothekern, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern drastisch reduziert wird. Zusätzliche Belastungen können nicht mehr aufgefangen werden. Die ohnehin schon miserablen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Praxen werden sich weiter verschlechtern, die Flucht aus den Gesundheitsberufen wird weiter zunehmen. Damit ist der soziale Frieden in unserem Land in Gefahr, wenn die geplante Minusrunde tatsächlich Gesetz werden sollte.

Es geht nicht allein um unsere Jobs, die auf der Kippe stehen. Es geht um die Qualität der Versorgung, die auf dem Spiel steht. Es geht um menschenwürdige Verhältnisse im Gesundheitswesen. Schon jetzt gibt es in vielen Bereichen Unterversorgung, weil es an den notwendigen finanziellen Mitteln fehlt. Mit den vorgesehenen Budgetkürzungen werden diese Zustände zementiert und Rationierungen offensichtlich bewusst in Kauf genommen.

Die im „Bündnis Gesundheit 2000“ zusammengeschlossenen 38 Verbände und Organisationen der Gesundheitsberufe sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft protestieren gegen diesen Anschlag auf die Gesundheit der Patienten und fordern: ein Ende der konzeptionslosen, beschäftigungs- und patientenfeindlichen Kostendämpfungspolitik; eine Umkehr auf dem Weg in die Staatsmedizin, die durch Wartelisten und Zuteilungsmedizin gekennzeichnet ist; ein Ende der „Verschiebebahnhofpolitik“, mit der den gesetzlichen Krankenkassen nach eigener Aussage jährlich rund 5 Milliarden Euro entzogen werden.

Herr Bundeskanzler, es steht in Ihrer Macht: Ziehen Sie dieses Gesetz zurück!“

 

Die Bundesregierung strafte die Kundgebung mit konsequenter Missachtung. Während Union und FDP gleich durch mehrere Mandatsträger Präsenz zeigten, blieben Abgeordnete der Koalitionsparteien der Veranstaltung fern. Ministerin Schmidt reagierte mit einer Presseerklärung. Darin bezeichnete sie die Sorgen der Heilberufler als „Panikmache zur Durchsetzung separater Interessen.“ Die Angst vor einem massiven Arbeitsplatzabbau kann sie nicht nachvollziehen. Angesichts der Konjunkturschwäche müssten alle Leistungserbringer ihren Beitrag leisten und auf Zuwächse verzichten. Top

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