Pharmazeutische Zeitung online

Pharmahersteller nehmen Apotheker unter Beschuss

12.11.2001  00:00 Uhr
AUT IDEM

Pharmahersteller nehmen Apotheker unter Beschuss

von Thomas Bellartz, Berlin

Die bevorstehende Entscheidung zur breiten Einführung eines Aut-idem-Gebots ruft die Lobby der mittelständischen Pharmaindustrie sowie der Generikahersteller auf den Plan. Bei einer Pressekonferenz am Montag in Berlin griffen der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und der Deutsche Generikaverband scharf Apothekerinnen und Apotheker an.

BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans Sendler machte zielsicher Stimmung. Enttäuscht darüber, dass "die Kanzlerrunde nur Teilprobleme gelöst" und damit kein gutes Signal für den Pharmastandort Deutschland ausgegangen sei, hatte Sendler mit seinem Kollegen Thomas Hummels vom Deutschen Generikaverband nach Berlin geladen.

Als Verstärker ihrer Ansichten präsentierten sich die Geschäftsführer mit den Betriebsräten aus vier Mitgliedsbetrieben, die rund 60 Prozent der deutschen Generikabranche auf dem Podium vertraten. Die Mitarbeitervertreter berichteten von den Sorgen und Nöten ihrer Kolleginnen und Kollegen. Die hätten vor der Einführung des Aut idem mächtig Angst. Schließlich werde sich dann die Preisschraube, ausgelöst durch den freien Preiswettbewerb, kräftig nach unten drehen.

Besorgt sei man besonders darüber, dass Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) unbedingt an Aut idem festhalte. Dabei ignoriere sie, so Sendler, "medizinische, rechtliche und ökonomische Aspekte". Der BPI beschränkte sich bei der Pressekonferenz indes auf die scheinbar interessantesten, nämlich die ökonomischen Aspekte. Schmidt stehe mit ihrer Gesetzesinitiative alleine da, behauptete Sendler und formulierte - wenig vorsichtig und mit verbal hoch erhobenem Zeigefinger in Richtung Bundesregierung: "Wir werden im Wahljahr in den Arztpraxen dafür sorgen, dass der Patient weiß, wer die Situation zu verantworten hat." Sendler verriet allerdings nicht, ob er überhaupt auf die Rückendeckung der zumindest ökonomisch nicht vom Aut idem betroffenen Ärzteschaft rechnen kann.

Vermögensbildung in Apothekerhand

Als neues multifunktional einsetzbares Feindbild knöpft sich der mittelständisch strukturierte BPI die Apothekerschaft vor. Die Apotheken entschieden sich doch ohnehin nur für die Arzneimittel, bei denen "sie die höchsten Rabatte kassieren" könnten. Und Sendler zündelte weiter: "Aut idem ist Vermögensbildung in Apothekerhand." Überdies würden Apothekerinnen und Apotheker bei der Auswahl eines Arzneimittels nicht in moralischen Kategorien denken. Insgesamt gebe es nur Vorteile für die Apotheken, nicht aber für die Krankenkassen. Einer Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland stehe die Apotheker-Vermögensbildung gegenüber.

Hummels warnte vor einem "leichten Spiel mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen". Die Bundesanstalt für Arbeit müsse irgendwann das bezahlen, was das Bundesgesundheitsministerium jetzt einsparen wolle.

Auf Nachfrage der PZ wurde deutlich, dass insbesondere der bei den Ärzten engagierte Außendienst von möglichen personellen Veränderungen betroffen sei. So arbeiten beispielsweise bei Ratiopharm rund 400 der 2500 Beschäftigten im Außendienst, sind mit Besuchen bei den Ärzten vor Ort beschäftigt.

Eine Antwort auf die Frage, ob der BPI nur deswegen so scharf reagiere, weil die vermuteten Naturalrabatte für die Apotheken vielleicht teurer kämen als die branchenüblichen Anreize für die Ärzte, blieb Sendler schuldig.

 

Kommentar: Lächerlich Hans Sendler ist neidisch. Der VFA hat mit dem Kanzler einen Deal gemacht, der Mittelstand blieb außen vor. Auf der Suche nach den Schuldigen mault der BPI-Hauptgeschäftsführer öffentlich gegen die deutschen Apothekerinnen und Apotheker. Schwer sind die Vorwürfe, die Sendler gegen die von Kassen befürworteten und von der Regierung auf den Weg gebrachten Einführung des Aut idem erhebt.

Beinahe lächerlich wirkt die Drohung, im kommenden Jahr in den Arztpraxen Politik machen zu wollen. Kaum ein wirklich schwer wiegendes Argument - außer der Arbeitsplatz-Keule - kam Sendler am Montag über die Lippen. Es ging ausschließlich um Umsatz und Erträge.

Kaum vorstellbar, dass sich die Ärzte, gerade von Ulla Schmidt aus dem Schussfeld geholt, mit der Pharmaindustrie ins Boot setzen werden. Sie selbst könnten nur aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten und aus prinzipiellen Erwägungen gegen das Aut idem sein. Die Gründe sind also ganz andere, als die von Sendler angeführten. Und das Image der Pharmaunternehmen - ob zu Recht oder Unrecht sei dahin gestellt - ist derzeit nicht mit dem der Ärzte (und dem der Apotheker) auch nur ansatzweise vergleichbar. Die Ärzte werden sich also hüten.

Der BPI-Geschäftsführer negiert zudem, dass viele Mitgliedsunternehmen, auch Generikahersteller, einer Aut-idem-Regelung gelassen gegenüber stehen. Gut im Markt positioniert, kennen Sie die Zusammenarbeit mit den Apotheken und können einschätzen, was auf sie zukommt: professionelles und Patienten orientiertes Handeln. Davon ist der BPI im Moment weit entfernt.

Thomas Bellartz
Chef vom Dienst

 

Argumentation nicht nachvollziehbar Polemik ABDA  Als nicht mehr nachvollziehbar bezeichnete Professor Dr. Rainer Braun, Hauptgeschäftsführer der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die jüngsten Angebote des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und des Generikaverbandes, eine Summe von 900 Millionen DM für zwei Jahre zu zahlen, um die Arzneimittelauswahl durch Apothekerinnen und Apotheker zu verhindern.

Nach der neu geplanten Regelung soll der Arzt wie bislang Wirkstoff, -menge, Packungsgröße und Darreichungsform verordnen, der Apotheker hingegen ein preisgünstiges Arzneimittel aus dem unteren Preisdrittel auswählen.

Das Bundesgesundheitsministerium geht hierbei von jährlichen Einsparungen in Höhe von rund 450 Millionen DM aus. "Wenn die Industrie nunmehr die inzwischen von den Kassen bezweifelte Einsparsumme bar als "Alternative" anbietet, muss man unterstellen, dass sich dahinter andere Motive verbergen", sagte Braun.

Aus Sicht der ABDA ist es auch nicht nachvollziehbar, dass die Industrie durch die Aut-idem-Regelung Arbeitsplätze gefährdet sieht, obwohl sie deren Einsparpotenzial nach eigenen Worten als zweifelhaft bezeichnet. Umso mehr müsse es wundern, dass sie offenkundig dazu in der Lage ist, immerhin 900 Millionen DM zu zahlen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Angesichts der aktuellen Entwicklung in den USA, wo verschiedene pharmazeutische Unternehmen teilweise drastische Rabatte auf ihre Preise anböten, müsse man sich langsam fragen, nach welchen Kriterien eigentlich der deutsche Herstellerabgabepreis zusammengesetzt werde, der die Grundlage für die Arzneimittelpreise in Deutschland ist. Braun warnte erneut davor, strukturell angelegte Gesetzesänderungen gegen Einmalzahlungen wieder zu verwerfen. "Politik darf nicht käuflich sein!" forderte Braun. Er forderte die Bundesregierung dazu auf, an der Aut-idem-Regelung festzuhalten. ABDA  Als unglaubliche Polemik, die nur Verunsicherung schüren soll, bezeichnete Hermann Stefan Keller, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) eine Anzeigenkampagne des Hartmannbundes gegen die Aut-idem-Regelung. "Hier wird versucht, Patienteninteressen vorzuschieben um die eigenen Interessen zu wahren. Dafür werden bewusst auch Falschaussagen gemacht."

Mit der Anzeigenkampagne des Hartmannbundes wird der Eindruck erweckt, als ob der Apotheker in Zukunft die Therapiehoheit des Arztes unterlaufen könne, indem er willkürlich von der ärztlichen Verordnung abweiche. Gerade dies ist jedoch in der geplanten Gesetzesänderung nicht vorgesehen: Der Arzt wird weiterhin den Wirkstoff, die Wirkstärke, die Packungsgröße und die Darreichungsform festlegen. Nach diesen Vorgaben soll der Apotheker dann aus dem entsprechenden Produktsortiment ein preisgünstiges Arzneimittel auswählen. Zugleich besteht die ausdrückliche Möglichkeit für den Arzt, in jedem Einzelfall diese Auswahlmöglichkeit durch den Apotheker auszuschließen.

Keller wies darauf hin, dass Aut idem bereits seit Jahren ohne jegliche Beanstandung oder Problemmeldungen den Apotheken für den Nacht- und Notdienst erlaubt sei. Im übrigen hätten 8 von 14 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ähnliche Auswahlregelungen für den Apotheker etabliert, so dass auch vor dem Hintergrund internationaler Erfahrungen keine Bedenken gegen diese vorgesehene Neuregelung angeführt werden könnten.

Die Neuregelung verändert die Haftungsregelungen nicht: Nach wie vor haftet der Hersteller für Schäden, die das Arzneimittel bei sachgemäßem Verbrauch verursacht, der Arzt hat weiterhin die vollständige therapeutische Verantwortung und der Apotheker trägt die Verantwortung für die sachgerechte Auswahl eines preisgünstigen Arzneimittels entsprechend der gesetzlichen Vorgaben. Ohnehin sei der Apotheker aufgrund der Apothekenbetriebsordnung verpflichtet, sofort Rücksprache mit dem Arzt aufzunehmen, wenn er Bedenken bei der Arzneimittelauswahl hat.

  

Top

© 2001 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa