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Apotheken übernehmen Herstellung von Oseltamivir-Lösung

31.10.2005  00:00 Uhr
Pandemieplan

Apotheken übernehmen Herstellung von Oseltamivir-Lösung

von Daniel Rücker, Eschborn

Deutschland bereitet sich auf eine mögliche Grippepandemie vor. Der Pandemieplan soll regeln, wer nach einem Ausbruch was macht. Die Apotheker werden dabei eine wichtige Rolle spielen.

Auch wenn noch nicht alle Details der Pandemiepläne feststehen, ist die Aufgabe der Apotheker klar: Sie sollen bei einer Grippepandemie aus dem Wirkstoff Oseltamivirphosphat und Natriumbenzoat Lösungen herstellen, mit denen die Bevölkerung versorgt wird. Die Substanzen sowie in manchen Ländern Flaschen, Verschlüsse, Dosierhilfen und Einnahmehinweise für die Patienten werden den Apotheken zur Verfügung gestellt. Die Wirkstoffe kaufen die Bundesländer. Zurzeit verfügen sie über einen Oseltamivir-Vorrat für 5 bis 15 Prozent der Bevölkerung.

Da die Pandemiepläne von den Bundesländern festgelegt werden, unterscheiden sie sich regional in einigen Punkten. Grundlegende Entscheidungen und Empfehlungen an die Bevölkerung sollen zwar von der »Nationalen Pandemiekommission« koordiniert werden. Es sieht jedoch zurzeit danach aus, dass es für die Herstellung und Abgabe der antiviralen Medikamente länderspezifische Regelungen geben wird.

So wird es für die Oseltamivir-Versorgung wohl zwei unterschiedliche Konzepte geben. Einige Bundesländer, darunter Sachsen und Hessen, wollen die Lösung in einer begrenzten Zahl von Schwerpunktapotheken herstellen lassen. So will das hessische Sozialministerium 50 Apotheken auswählen, die sich dazu bereit erklären, nach dem erstmaligen Auftreten einer pandemischen Grippe täglich 1000 Einheiten der Oseltamivir-Lösung herzustellen. Der Großhandel soll dann die fertigen Flaschen einsammeln und zentral lagern. Er übernimmt auch die Verteilung zurück an die Apotheken. Dies wird vom Ministerium kontrolliert.

Große Bereitschaft der Apotheker

Andere Bundesländer, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Bayern, wollen dagegen alle Apotheken an der Herstellung beteteiligen. Die fertigen Medikamente bleiben in der Apotheke. Bei diesem Konzept sind die herzustellenden Mengen deutlich kleiner. Während Hessen den Wirkstoff in 7-Kilo-Gebinden in die Schwerpunktapotheken liefern will, plant Nordrhein-Westfalen mit wesentlich kleineren Packungen. Der dezentrale Weg wird auch von der Bundesapothekerkammer favorisiert

Unabhängig vom genauen Procedere war es für die Berufsvertretungen der Apotheker keine Frage, sich an dem Pandemieplan zu beteiligen. »Wir können hier eindrucksvoll die Unentbehrlichkeit der Apotheken unter Beweis stellen«, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbands (HAV), Hans Rudolf Diefenbach, bei einer Pressekonferenz in Fulda. Dass solche Aussagen mehr als PR sind, zeigt die Resonanz auf den Aufruf des Sozialministeriums: Mehr als 200 hessische Apotheken bekundeten ihre Bereitschaft. Nun hat das Ministerium die Qual der Wahl. Ökonomische Interessen scheiden als Motivation für die Apotheken übrigens aus. Nach Angaben des HAV-Vorsitzenden Dr. Peter Homann wurde über eine Vergütung noch gar nicht gesprochen. Selbstverständlich ist aber, dass zumindest die Kosten vom Land übernommen werden.

Neben den von Apotheken hergestellten Oseltamivir-Lösungen bauen die Bundesländer auch einen Vorrat an Tamiflu in fester oraler Darreichungsform auf. Dieser Bestand soll, bis ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, an Menschen abgegeben werden, die in der medizinischen Versorgung arbeiten oder für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig sind. Dazu würden nach Informationen des stellvertretenden Geschäftsführers der Apothekerkammer Nordrhein auch die Leiter und Angestellten von Apotheken gehören.

Der Pandemieplan gilt übrigens nicht exklusiv für den sich zurzeit ausbreitenden Virustyp H5N1, auch wenn er als der wahrscheinlichste Kandidat gilt. Bislang waren es immer Influenza-A-Viren, die das Potenzial für eine Pandemie entwickelt hatten. Seit längerer Zeit warnen Experten aus verschiedenen Ländern davor, dass ein bislang tierischer Virus durch Mutation den Sprung auf den Menschen schafft.

Europa bereitet sich vor

Eine Influenzapandemie wird grundsätzlich durch ein neuartiges Influenzavirus verursacht, das in der Lage ist, schwere Erkrankungen hervorzurufen und sich effektiv von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Da dieser neue Erreger zuvor nicht in der menschlichen Bevölkerung zirkuliert ist, kann sich das Immunsystem nicht vorbereiten und daher auch nicht schützen. Eine Pandemie führt zu einer Erkrankungs- und Sterberate, die übliche, auch schwere Influenzawellen übertrifft.

In anderen Ländern laufen die Vorbereitungen auf eine Grippepandemie ebenfalls, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Europa ist dabei nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heute besser auf eine mögliche Grippepandemie vorbereitet als noch vor einem halben Jahr. 46 der 52 europäischen WHO-Mitgliedsländer verfügten über einen nationalen Handlungsplan gegen mögliche Folgen der Grippe für Menschen, sagte WHO-Europachef Marc Danzon am vergangenen Mittwoch in Kopenhagen zum Abschluss einer dreitägigen Arbeitstagung. Vor sechs Monaten habe die Zahl der nationalen Handlungspläne bei 31 gelegen.

Keine Lockerung des Patentschutzes

Mit Russland sowie den Kleinstaaten San Marino und Monaco haben bisher drei der europäischen WHO-Mitgliedsländer in Europa noch gar nicht auf entsprechende Anfragen über nationale Handlungspläne geantwortet. Turkmenistan sowie Moldawien und Mazedonien erklärten dagegen, sie verfügten nicht über derartige Pläne.

Auf der internationalen Vogelgrippekonferenz in der kanadischen Hauptstadt Ottawa haben sich die Gesundheitspolitiker aus 30 Ländern nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Krankheit einigen können. Die Konferenz ging ohne Verständigung auf Ziele wie die Abgabe von Grippemedikamenten an ärmere Länder oder die Lockerung des Patentschutzes für Impfstoffe und das Mittel Tamiflu zu Ende.

Mehrere Teilnehmer hatten gefordert, dass die Industriestaaten zwischen fünf und zehn Prozent ihrer antiviralen Medikamente an Entwicklungsländer abgeben. Übereinstimmung gab es nur darüber, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Vorrat an Impfstoffen aufbaut, der bei einer globalen Grippepandemie verteilt werden soll. An diesem Beschluss wird derzeit noch gearbeitet.

Kanadas Ministerpräsident Paul Martin sprach sich dafür aus, Südostasien finanziell bei der Bekämpfung der Vogelgrippe zu unterstützen. Länder wie Vietnam, Thailand und Indonesien hätten nicht die Mittel, um Bauern im Falle von Erkrankungen ihres Geflügels zu entschädigen. Die arme Landbevölkerung neige dazu, solche Informationen aus Sorge um die Vernichtung ihres gesamten Bestandes nicht an die Behörden weiterzugeben. Stattdessen würden erkrankte Tiere weiterhin verkauft und verspeist, sagte Martin. Die WHO-Grippeexpertin Margaret Chan warnte aber auch vor Panik. »Wir haben noch keine Pandemie, und es ist unnötig, sich jetzt schon Sorgen zu machen«, sagte sie in Ottawa. Das gilt im Übrigen auch für Deutschland. Top

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