Annäherung an die Patienten |
29.10.2001 00:00 Uhr |
Die Rolle der Patienten im Gesundheitswesen ändert sich. Kranke wollen heute nicht mehr Objekt einer Therapie sein, sondern sich an ihrer Genesung aktiv beteiligen. Auf dem Symposium der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) "Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen" in Königswinter diskutierten Vertreter der Ärzteschaft und Patienten zwei Tage lang über das neue Miteinander im Gesundheitswesen. Dabei war der erste Tag von erheblichen Dissonanzen zwischen Ärzten und Patienten geprägt, die am zweiten Tag plötzlich verflogen waren.
In seiner Eröffnungsrede sorgte KBV-Chef Dr. Manfred Richter-Reichhelm für erheblichen Unmut bei den Patientenvertretern. So bezeichnete er den Arzt als "Anwalt des Patienten". Wenn es darum gehe, solidarisch zu finanzierende medizinisch notwendige Leistungen zu definieren, könnten nur die Ärzte die Interessen der Kranken vertreten. Krankenkassen seien lediglich "die Anwälte der Versicherten".
Eine direkte Beteiligung der Patienten an den Entscheidungen lehnte Richter-Reichhelm in seinem Eröffnungsstatement ab. Die Forderung von Patientenvertretern, ihren Verbänden Stimmrecht im Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen einzuräumen, hielt er für nicht praktikabel. Selbsthilfegruppen, Verbraucherschützer und Patientenorganisationen könnten diese Aufgabe nur partiell wahrnehmen. Hier stelle sich die Frage nach Kompetenz und Legitimierung der Patientenvertreter.
Diese Einschätzung stieß auf erhebliche Kritik. "Wir brauchen keine Anwälte, wir brauchen Partner", stellte Christoph Nachtigäller, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte klar. Er forderte eine generelle Beteiligung der Patienten an allen Entscheidungen des Gesundheitswesens.
Ärger verursachte auch Richter-Reichhelms Vorwurf, die Finanzierung von Patientenverbänden sei oft nicht transparent, zudem sei die demokratische Legitimation schwierig. Sowohl Nachtigäller als auch Professor Dr. Gerhard Englert, Deutsche Vereinigung der Stomaträger, betonten, dass seriöse Patientenorganisationen ihre Bilanzen und Finanzierung offen legen. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte seien geeignete Patientenvertreter für die Entscheidungsgremien. Einige anwesende Mitglieder von Patientenvereinigungen sehen im Vorwurf Richter-Reichhelms einen Beleg dafür, dass die Ärzte die Patienten letztlich doch nicht an den Entscheidungen beteiligen wollen.
Neue Einsichten
Die massive Kritik der Patientenvertreter zeigte Wirkung. Am zweiten Tag der Veranstaltung hatte der KBV-Chef den adäquaten Ton getroffen: "Wir verstehen uns als Partner der Patienten und wollen mit ihnen künftig auf gleicher Augenhöhe kommunizieren," gab er die neue Richtung vor. Er habe aus dem Symposium gelernt, so Richter-Reichhelm, dass es nicht Aufgabe der Ärzte sei, Anwalt des Patienten zu sein, - "damit würden wir die Patienten majorisieren".
Das Einlenken dürfte dem KBV-Chef nicht allzu schwer gefallen sein: Denn die Patientenvertreter wollten am zweiten Tag weniger Beteiligung als zunächst erwartet. Sie streben erst einmal eine Beratungsbeteiligung in den wichtigen gesundheitspolitischen Gremien wie Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen oder Koordinierungsausschuss an. "Wir bestehen gar nicht darauf, überall gleich mitentscheiden zu wollen", machte Christoph Nachtigäller, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, klar. Eine qualifizierte beratende Beteiligung sei fürs Erste ausreichend.
Ein Grund für die Bescheidenheit der Patientenvertreter ist das Haftungsproblem: Wer mitentscheidet, ist auch mitverantwortlich - zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, was in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung kommt und was nicht. "Das ist für uns zu früh, damit würden wir ja mehrere Schritte überspringen", so Nachtigäller.
Der Patientenvertreter behielt sich jedoch vor, von Fall zu Fall über eine Mitverantwortung zu entscheiden. Konkret könne er sich dies bei der Ausgestaltung der Disease-Management-Programme vorstellen, sagte Nachtigäller. "Wir wollen bei der Definition der Anforderungsprofile für Disease-Management-Programme (DMP) beteiligt werden."
Das wollen nicht nur die Patientenvertreter, sondern auch die Ärzte. Bis dahin waren beide Gruppen außen vor: Im Entwurf des Risikostrukturausgleich-Reformgesetzes (RSA) steht, dass die Anforderungsprofile für die DMPs ausschließlich von den Spitzenverbänden der Krankenkassen formuliert werden. Ab Juni 2002 können die Krankenkassen dann DMPs anmelden. Die Zeit drängt also. Grund genug für Ärzte und Patientenvertreter, einen Schulterschluss schnell zu vollziehen. Am 9. November berät der Bundestag abschließend über die Reform des RSA. Regina Schmidt-Zadel, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, äußerte auf dem Symposium Zweifel, ob dabei dem "Wunsch der Patientenvertreter und der Ärzteschaft entsprochen werden kann".
Nach Abschluss des Symposiums hat sich die Lage allerdings geändert. Nach Gesprächen der Bundesärztekammer mit Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums und der Krankenkassen sollen die Ärzte und auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft an der Gestaltung der Disease-Management-Programme beteiligt werden. Die Patientenverbände sollen dagegen weiter ausgeschlossen bleiben.
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