Lob und Warnung in einem Atemzug |
18.10.2004 00:00 Uhr |
Diesmal war es bisschen anders und trotzdem frei nach dem Motto „Alle Jahre wieder“. Bei der Präsentation der 20. Auflage des Arzneiverordnungs-Reports in Berlin lobten dessen Autoren und Herausgeber die Gesundheitspolitik der Regierung und forderten Einsparungen bei den Apotheken.
Glaubt man den Autoren und Herausgebern des Reports, vornweg Professor Dr. med. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath, dann werden in Deutschland immer noch zu viele neue Medikamente verschrieben, die nicht wirksamer, aber teurer sind als herkömmliche Mittel. Diese Scheininnovationen stehen immer im Mittelpunkt der Kritik des Reports, so auch in diesem Jahr. Obwohl die eigentliche und grundlegende Nachricht eine durchaus positive war: Denn der stete Ausgabenanstieg im Arzneimittelsektor konnte im vergangenen Jahr gestoppt werden.
Mit 21,1 Milliarden Euro lagen die Ausgaben rund 1 Prozent unter den Aufwendungen des Vorjahrs. Allerdings wäre die traditionelle Vorstellung des knapp 1300 Seiten starken Werks nicht dieselbe, wenn nicht ein kräftiger Spritzer Kritik hinzugegeben würde. Und so kommt mit dem Lob zwar nicht der konkrete Tadel, aber die Warnung, wonach der positiven Entwicklung des vergangenen und insbesondere des laufenden Jahres eine sehr viel schlechtere im kommenden Jahr folgen werde. Schwabe und Paffrath konzentrierten sich in ihren Ausführungen denn auch weniger auf die Analysen und Daten des Jahres 2003 als auf die jüngsten Entwicklungen im Arzneimittelsektor. Da wurde allerhand interpretiert und vorhergesagt.
Und so konnten sich die beiden Mahner nicht ganz zum Lob für die verordnende Ärzteschaft hinreißen. Obwohl die Mediziner immer seltener zum Rezeptblock greifen und überdies zunehmend preisbewusster verordnen, sehen die Experten immer noch ein nicht ausgenutztes Pillen-Einsparpotenzial von etwa 4,4 Milliarden Euro. Der Verband Forschender Arzneimittel-Hersteller (VFA) hatte kurz vor der Vorstellung des Reports eine Studie vorgestellt, die eine „eklatante Unterversorgung“ von Millionen von Patienten beschreibt. Das Bundesgesundheitsministerium widersprach postwendend und wenig überraschend.
Auf Talfahrt
Schwabe sagte, höhere Arzneimittelrabatte für die Krankenkassen hätten 2003 erstmals nach 1997 zu sinkenden Kassen-Ausgaben geführt. Im laufenden Jahr seien die Medikamentenausgaben der Kassen wegen der angehobenen Patientenzuzahlungen noch deutlicher auf Talfahrt. Auch 2003 hätten die Ärzte mehr höherpreisige Medikamente verschrieben, und zwar im Volumen von zwei Milliarden Euro. Dagegen wurden bei insgesamt leicht gesunkenen Medikamentenpreisen weniger Rezepte ausgestellt.
Paffrath warnte vor einem dramatischen Wiederanstieg der Ausgaben für Arzneimittel im Jahr 2005. So sei mit einer Zunahme der Verordnungen zu rechnen, weil sich viele Patienten Ende 2003 bei Medikamenten noch für 2004 auf Vorrat eingedeckt hätten. Zudem werde der gesetzliche Herstellerrabatt von 16 Prozent für die Kassen wieder auf 6 Prozent zurückgenommen, auch Preisanhebungen seien wahrscheinlich. Er forderte die Regierung zum Gegensteuern auf, da sonst eine „zweistellige Ausgabendynamik“ drohe.
Die Autoren rieten der Regierung, sie solle insbesondere bei der Preisbildung in der Apotheke nachbessern. Denn die Apotheker seien die Gewinner der jüngsten Gesundheitsreform.
Die KBV kritisierte das vorgerechnete Einsparpotenzial von mehr als vier Milliarden Euro als theoretischen Wert. KBV-Vize Dr. Leonhard Hansen wies darauf hin, dass die Mediziner durch kostenbewusstes Verordnen dazu beigetragen hätten, seit 1992 rund 6,6 Milliarden Euro einzusparen. Es gebe aber bei vielen Krankheiten einen großen Nachholbedarf, den man in einer eigenen Studie bereits nachgewiesen habe.
Gesundheits-Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder wies den Vorwurf zurück. Der neue Arzneiverordnungs-Report zeige in der Gesetzlichen Krankenversicherung „ein sehr hohes Niveau der Versorgung mit innovativen und hochwertigen Arzneimitteln“. 2003 sei für die Hochleistungsmedizin schon fast ein Fünftel der Arzneiausgaben verwendet worden.
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) mochte auf den Arzneiverordnungsreport nicht mehr mit Höflichkeiten reagieren. BPI-Vorsitzender Dr. Bernd Wegener warf den Autoren des Reports unverhohlen vor, sie hätten die „Realität aus dem Blick verloren“. Im Arzneimittelbereich lasse sich nicht weiter sparen, stellte der BPI-Chef fest. „Wer in diesem vollständig überregulierten Marktsegment noch Einsparpotenzial erkennen will, setzt sich dem Verdacht aus, die Fakten zu ignorieren.“
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