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Bundesrat billigt Kompromiss

20.10.2003  00:00 Uhr
Gesundheitsreform

Bundesrat billigt Kompromiss

von Thomas Bellartz, Berlin

Während Hartz-Gesetze, Renten-Chaos und Haushaltsmisere die aktuelle Politik bestimmen, hat der Bundesrat die Gesundheitsreform durchgewunken. Das von der Union dominierte Organ hat das Gesetzespaket ohne Wenn und Aber passieren lassen.

Niemand hatte vor der Bundesratssitzung ernsthaft erwartet, dass es noch zu erheblichen Nachbesserungen am Gesetzeswerk oder sogar zu einem ablehnenden Votum kommen könnte. Regierung und Union hatten sich schließlich im Sommer 2003 zu stark aneinander gebunden, um nun einige Wochen später doch noch den Zwist zu suchen.

Auch wenn mittlerweile der Konsens mit Kritik und Häme überhäuft wird, standen Rot-Grün und Union zu der Vereinbarung. Die Kritik erwuchs aus den jüngsten sozialpolitischen Entwicklungen, folgte aber auch auf Äußerungen der Krankenversicherer.

Ziel des von den Konsens-Protagonisten Ulla Schmidt (SPD) und Horst Seehofer (CSU) gezeichneten Gesetzes ist die Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um rund 20 Milliarden Euro. Bereits im nächsten Jahr werden beispielsweise die Zuzahlungen erhöht und die Kassenleistungen verringert – zugleich sollen die Beitragssätze sinken. Das Gesetz hat nur wenige Freunde und gilt lediglich als Übergangslösung für eine deutlich radikalere Strukturreform. Die wird bereits seit Wochen heftig diskutiert – unter den Vorzeichen von Kopfpauschalen oder Bürgerversicherung.

Rosinenpicker leiden

Erheblich belastet werden die deutschen Apotheken von den Auswirkungen der Reform. Mit der Einführung des Versandhandels von Arzneimitteln konnte die rot-grüne Regierung ein lang gehegtes Ziel durchsetzen. Die Union hatte in der Konsensrunde ihre Haltung aufgegeben und war dafür regierungsseitig mit der Aufgabe der Positivliste belohnt worden. Allerdings müssen Versandhändler zahlreiche Regeln einhalten. Zudem leiden die klassischen Rosinenpicker unter den Bedingungen des neuen Honorierungsmodells für die Apotheken. Neben einem Fixzuschlag von 8,10 Euro erhält jede Apotheke einen 3-prozentigen Aufschlag abzüglich 2 Euro Kassenrabatt. Das entkoppelt das Honorar der Apotheker von den Arzneimittelpreisen. Auch die Großhandelsspanne wurde deutlich gesenkt. Das dürfte sich auf die Rabatte der Großhändler an die Apotheken niederschlagen. Um die Bindung zwischen Großhandel und Apotheken aufrecht zu halten, bemühen sich die Großhändler nun mit Kooperationen um die Gunst der Apotheken. Und dies, obwohl das Gesetz den Fremdbesitz ausdrücklich nicht zulässt.

Den von der Regierung geforderten Mehrbesitz gibt es hingegen bereits ab 1. Januar 2004. Dann darf ein Apotheker bis zu vier Apotheken sein Eigen nennen. Allerdings hat der Gesetzgeber klar festgelegt, dass der investitionsfreudige Pharmazeut nur innerhalb bestimmter Grenzen wachsen darf. Diese Auflagen sowie die kartellrechtlichen Bestimmungen sorgen faktisch dafür, dass zunächst die bisherigen „Familien-Ketten“ legitimiert werden.

Mit der Freigabe der OTC-Preise haben Regierung und Union einen Schritt gewagt, der vielfach kritisiert wurde. Ausnahmen gelten für Kinder bis zwölf und eine Reihe von Indikationen, die in den kommenden Wochen festgeschrieben werden sollen.

„Dieses Gesetz ist kein Jahrhundertwerk“, räumte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), ein. Es gehe vielmehr darum, die Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung für einen überschaubaren Zeitraum in Ordnung zu bringen. Bundesgesundheitsministerin Schmidt wies in der Debatte Kritik an der umstrittenen Reform zurück. Sie zeigte sich überzeugt, dass auch in Zukunft Menschen unabhängig von Einkommen und Alter die notwendige medizinische Betreuung erhalten.

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitswesens sollen die durchschnittlichen Krankenkassenbeiträge von derzeit 14,3 auf unter 13 Prozent gedrückt werden. Von den Patienten werden gleichzeitig höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen verlangt. So wird von 2005 an eine Zusatzversicherung für Zahnersatz fällig. Ab 2006 müssen die Arbeitnehmer auch das Krankengeld allein finanzieren.

Bei den Krankenkassen stößt das Gesetz zwar auf Gegenliebe. Kräftige Beitragssenkungen werde es aber wohl nicht geben, ließen alle großen Kassen verlauten. Schließlich schiebt die GKV ein milliardenschweres Defizit vor sich her. Und das müsse zunächst abgebaut werden. Schmidt will notfalls mit ministerialer Macht den Beitragssatz senken lassen. Ob es dafür ein Beitragssatzsenkungsgesetz geben wird, ist bislang nicht bekannt.

ABDA sieht Gefahren

Die ABDA sieht keinen Grund zur Freude. Versandhandel und Mehrbesitz seien Strukturveränderungen, deren Auswirkungen derzeit noch nicht absehbar sind, kommentierte Präsident Hans-Günter Friese die Zustimmung des Bundesrates zum GMG.

Die ABDA hatte gerade vor diesen Änderungen vehement gewarnt, da sie die Arzneimittelversorgung durch unabhängige Apotheken massiv gefährden können.

Dennoch seien die Apotheker nicht unvorbereitet, betonte Friese. Er verwies auf bereits abgeschlossene Verträge mit Krankenkassen zum Hausapothekenmodell, bei dem sich Versicherte freiwillig verpflichten, alle Arzneimittel über eine Apotheke zu beziehen. So können Arzneimittelrisiken oder Doppelverordnungen verhindert und Kosten gesenkt werden.

Das Ziel aller gesundheitspolitischen Bemühungen müsse sein, die Qualität zu steigern und gleichzeitig die Kosten zu senken. „Dies geht nur über die individuelle und persönliche Betreuung durch wirtschaftlich unabhängige Heilberufler.“ Würde sich die Arzneimittelversorgung zu einer anonymen Landschaft von Arzneimittelversendern oder rein kapitalorierentierten Apothekenketten entwickeln, blieben entweder die Qualität oder das Kostenbewusstsein auf der Strecke. „Beides zusammen geht nicht,“ betonte Friese.

Besorgt äußerte sich der ABDA-Präsident über die Auswirkungen der neuen Zuzahlungsregelungen. „Ab Januar wird es für die Versicherten teurer.“ Er rechnet damit, dass die Patienten ihren Unmut in der Apotheke abladen werden. Friese forderte Krankenkassen und Politik dazu auf, die Patienten rechtzeitig und umfassend über die Neuregelung zu informieren. Gleichzeitig kündigte er eine breite Aufklärungskampagne der Apotheker an. Top

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