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Existenzangst bei Apothekern

01.10.2001  00:00 Uhr
SPARPLÄNE

Existenzangst bei Apothekern

von Daniel Rücker, Eschborn

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt spricht von einem Konsens, doch Sympathisanten für ihre Sparpläne bei Arzneimitteln sind rar. Apotheker und Pharmaverbände laufen Sturm gegen die "hektische Aktionitis" des Gesundheitsministeriums. Auch der Arbeitgeberverband sorgt sich um die Zukunft von Pharmaindustrie und Apothekern.

Montag vor einer Woche hatte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt angekündigt, die Arzneimittelausgaben im kommenden Jahr um 3 Milliarden DM zu senken. Über eine Aut-idem-Regelung, die Erhöhung des Apothekenrabatts für Krankenkassen und ein Preismoratorium der Industrie soll diese Summe realisiert werden.

Die ABDA befürchtet jetzt existenzbedrohende Gewinneinbrüche bei Apotheken. Würden die Sparpläne des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) umgesetzt, hätte dies für die Apothekenleiter Einkommensverluste von durchschnittlich 68.000 DM zur Folge, sagt Präsident Hans-Günter Friese. "Dies ist in seinen Auswirkungen nur vergleichbar mit der Situation des Jahres 1993." Die Maßnahmen seien nach der Heckenschnittmethode konzipiert. Von den Apothekern vorgeschlagene Weiterentwicklungen der Arzneimittelversorgung, die Einsparpotenziale bei gleichzeitigem Qualitätsgewinn ermöglichen, würden dagegen ignoriert.

Einsparungen bereits beschlossen

Für die Gesetzliche Krankenversicherung seien mit der Neuregelung der Festbeträge sowie der Erhöhung der Importquote bereits Einsparungen von mehr als 800 Millionen DM beschlossen worden, sagte Friese. Die nun geplante Absenkung des Herstellerabgabepreises um 5 Prozent schlage mit weiteren 1,1 Milliarden DM zu Buche. Hier widerspricht die ABDA dem Bundesgesundheitsministerium, das lediglich 350 Millionen DM Einsparpotenzial errechnet hatte.

Die verschärften Regelungen zu den Me-Too-Präparaten sollen nach Angaben des Ministeriums weitere 600 Millionen DM einsparen. Zusätzliche 500 Millionen bis 1 Milliarde DM würden durch die Aut-idem-Regelung eingespart, nach der die Apotheker bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln die Auswahl im günstigsten Preissegment treffen sollen. Unklar ist, ob die Apotheker hierfür - wie in anderen Ländern auch - einen finanziellen Ausgleich erhalten. Wenn nicht, würden die Erträge der Apotheken vor Steuern allein durch dieses Paket um etwa 650 Millionen DM gekürzt, so Friese. Dies hätte für die durchschnittliche Apotheke Einkommensverluste von rund 31.000 DM zur Folge.

Die zusätzlich geplante umsatzabhängige Erhöhung des Zwangsrabattes von 5 auf bis zu 9 Prozent sei ein reines Sonderopfer der Apotheken in Höhe von 800 Millionen DM, das die Durchschnittsapotheke mit weiteren 37.000 DM Einkommensverlust belasten würde. Somit trügen die Apotheken etwa 35 Prozent der geplanten Einsparungen, obwohl sie nur mit 20 Prozent an den Arzneimittelausgaben beteiligt sind. Friese: "Durch dieses nicht akzeptable Sonderopfer stünden viele Apotheken vor dem wirtschaftlichen Aus."

Als "Generalangriff auf die Apothekenstruktur" bezeichnete ABDA-Hauptgeschäftsführer Professor Dr. Rainer Braun die Pläne des Gesundheitsministeriums. Käme es zu einer umsatzabhängigen Staffelung der Krankenkassenrabatte, würden umsatzstarke Apotheken die Arzneimittel um 5 Prozent billiger anbieten als kleinere Offizinen. In der Folge würden Krankenkassen ihre Versicherten dazu bewegen, bei großen Apotheken ihre Rezepte einzulösen. Braun: "Es ist eine unausweichliche Folge, dass viele Apotheken ökonomisch ausgetrocknet werden." Vor allem in ländlichen Gebieten müssten Patienten dann lange Fahrten zur nächsten Apotheke in Kauf nehmen.

"Miserabler Stil"

Mindestens ebenso heftige Kritik übt die Industrie. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wirft Ministerin Schmidt "miserablen Stil" vor. "Wenn so genannte Spitzengespräche abgehalten und dabei Maßnahmen zu Lasten Dritter verabredet werden, die bewusst nicht zu den Verhandlungen eingeladen wurden, katapultiert uns das wieder zurück in die gesundheitspolitische Eiszeit", kritisierte BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans Sendler. Durch die "Politik im Schwitzkasten der Krankenkassen" seien die Chancen auf eine grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens rapide gesunken.

Es sei nach den Worten des BPI-Hauptgeschäftsführers "geradezu zynisch", dass Frau Schmidt anschließend auch noch von "im Konsens verabredeten Maßnahmen" spreche. Die Ministerin werde ihren eigenen Prinzipien untreu, die sie monatelang beschworen habe. "Wenn Reden und Handeln so weit auseinander klaffen, dann macht eine Einrichtung wie der ‚Runde Tisch' keinen Sinn mehr", betonte Sendler. Es sei fraglich, welchen Wert Absprachen oder Zusagen der Ministerin überhaupt noch hätten.

Die verabredeten Maßnahmen bezeichnete Sendler als undurchdacht. Die Angaben über mögliche Einsparvolumen seien "völlig aus der Luft gegriffen". "Das ist reine Placebo-Politik, ungeeignet, die hausgemachten Finanzprobleme der GKV zu lösen." Das Ausgabenwachstum führte Sendler vor allem auf die Einführung innovativer Produkte und Therapien zurück. "Wer diese Steigerung verhindern will, muss den Versicherten aber sagen, dass sie künftig vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen werden." Im Übrigen spiele die Ministerin mit gezinkten Karten, weil die Belastungen für die pharmazeutische Industrie höher seien als von ihr angegeben.

Preisabschlag völlig unbegründet

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) warf Schmidt vor, sie wolle Kranke "so billig wie möglich" versorgen. Der geplante Preisabschlag sei völlig unbegründet, da die Preise für Kassenarzneien seit fünf Jahren nahezu stabil seien. Eine erzwungene Preissenkung werde Arbeitsplätze vernichten. Ähnlich äußerte sich der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Erforderlich sei vielmehr eine grundsätzliche Reform der GKV mit Anreizen zum sparsamen Umgang auch mit Arzneimitteln.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warf Schmidt in einem dpa-Gespräch vor, einseitig Pharmaindustrie und Apotheker zu belasten. Hundt und der BPI sprachen sich für prozentuale Zuzahlungen aus. Der FDP-Gesundheitspolitiker Dieter Thomae kritisierte, damit müssten Apotheker und Pharmaindustrie über "Zwangsrabatte" und Preisabschläge "die Zeche für eine verfehlte Regierungspolitik" zahlen.

 

Drei Milliardendpa Rund 3 Milliarden DM will Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bei Arzneien einsparen. Im Einzelnen sieht ihr Gesetzentwurf Folgendes vor:

Apotheken
Apotheker sollen von 2002 an verpflichtet werden, das günstigste Mittel einer Wirkstoffgruppe abzugeben, wenn der Arzt nicht ausdrücklich auf dem Rezept ein bestimmtes Medikament festlegt.

Preisabschlag
Die Pharmaindustrie soll die Preise für verordnete Arzneien, für die es nicht bereits einen Festbetrag gibt, in den Jahren 2002 und 2003 um 5 Prozent senken. Basis für den Abschlag sind die Preise, die am 1. Juli 2001 galten.

Kassenärzte
Kassenärzte sollen bei der Verordnung von Arzneimitteln die Preisvergleichsliste beachten und möglichst das günstige Mittel heraussuchen.

Krankenhausentlassungsbericht
In ihren Berichten sollen Krankenhausärzte künftig grundsätzlich das Arzneimittel unter seiner Wirkstoffbezeichnung angeben, falls dieses bei der ambulanten Versorgung weiter von Nöten ist.

 

Wenig zu hören ist dagegen von der Ärzteschaft. Allein die Aut-idem-Regelung ist den Ärzten einen Kommentar wert. Sie gehe an der Realität vorbei, so Bundesärztekammer-Präsident Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. "Zwar kann man darüber diskutieren, wie der ohnehin schon hohe Generika-Anteil bei den Verordnungen von Arzneimitteln noch gesteigert werden kann, dies darf aber nicht zu Verunsicherungen bei den Patienten führen.

Auch der Hartmannbund hält nicht viel davon, den Apothekern die Auswahl zu übertragen. "Wir behalten uns eine rechtliche Überprüfung vor. Denn die geplanten Einschnitte in die Behandlungsfreiheit lassen wir uns nicht gefallen", droht der Ärzteverband Hartmannbund. Die Verantwortung für Diagnose und Therapie sei nicht teilbar, betonte Vorsitzender Dr. Hans-Jürgen Thomae. Im Interesse aller Patienten müsse gegen die "neuerliche Regulierungswut" des Bundesgesundheitsministeriums angegangen werden. Dagegen bezeichnete der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Manfred Richter-Reichhelm im MDR die Regelung als einen "vom Grundsatz her richtigen Schritt.

Eigennutz unterstellt

Widerstand gegen die Aut-idem-Regelung kündigte auch der Deutsche Generikaverband an. Er unterstellt den Apothekern allein Eigennutz als Auswahlkriterium: "Der Apotheker wird dann das Arzneimittel abgeben, das er am günstigsten eingekauft hat. Auch die anderen Verbände der pharmazeutischen Industrie lehnen es ab, dass Apotheker die Arzneimittel auswählen.

Dagegen unterstützt die AOK-Bayern die Arzneimittelauswahl durch Apotheker. In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern AOK, Bayerische Landesapothekerkammer und Bayerischer Apothekerverband die Vertragsärzte auf, sofort zu dieser Verordnungsmöglichkeit überzugehen. So könnte das Know-how der Apotheker in Zukunft besser genutzt werden.

  Kommentar: Illusion Die meisten Menschen dürften unter dem Begriff "Konsens" die einvernehmliche Lösung eines Problems verstehen. Ulla Schmidt interpretiert das Wort offenbar anders. Denn was sie als Konsens bezeichnet, halten Apotheker, Großhandel, Industrie und Opposition eindeutig für Nonsens. Apotheker müssen mit massiven Einbußen rechnen.

Allein mit den Vertretern der Krankenkassen hat die Ministerin ihr Sparpaket abgestimmt. Ärzte, Apotheker und Industrie wurden nicht gefragt. Das spiegelt sich im Ergebnis wider: Die gesamte Distributionskette wird geschröpft. Den Apothekern werden die größten Einschnitte zugemutet, aber auch Industrie und Großhandel werden erhebliche Umsatzeinbußen verkraften müssen.

Angesichts dieses Alleingangs stellt sich die Frage, warum Ministerin Schmidt überhaupt den Runden Tisch eingerichtet hat? Sollte nicht genau dort über eine effiziente Fortentwicklung des Gesundheitswesens beraten werden? Es drängt sich der Verdacht auf, dass Schmidt mit diesem Gremium lediglich eine Illusion in den Köpfen von Apothekern, Ärzten, Industrie und Großhandel erzeugen wollte. Die Illusion, dass Entscheidungen im Gesundheitswesen mit und nicht gegen die Beteiligten getroffen werden. Diese Illusion ist spätestens am 24. September geplatzt.

Daniel Rücker, PZ-Redakteur

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