Schmidt gerät von allen Seiten unter Druck |
23.07.2001 00:00 Uhr |
GESUNDHEITSWESEN
"Das ist nicht die Position der deutschen Sozialdemokratie und nicht die Position der Regierung", sagte Schröder am Sonntag in Genua zu den Überlegungen Müllers. Er sehe aber keinen Grund, "jemandem, der ein intelligenter Mensch ist - das ist er ohne Zweifel - und den ich gerne im Kabinett habe, sozusagen das unorthodoxe Denken zu verbieten", sagte Schröder. Er habe nicht vor, einem seiner Minister "den Mund zu verbieten". Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ging zu Müller auf Distanz.
CDU-Chefin Angela Merkel äußerte in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" die Erwartung, dass die Bundesregierung umgehend "konkrete Pläne" auf den Tisch legt. "Wir entwickeln uns in ein Land, in dem es eine Zwei-Klassen-Medizin gibt, in dem die alten Menschen nicht mehr das bekommen, was sie eigentlich bekommen müssten."
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Katrin Göring-Eckardt, sagte der "Berliner Zeitung" (Montag), "die Leute müssen vor den Wahlen wissen, wo es hingeht". Die Diskussion um Reformen müsse jetzt beginnen. Hundt pochte auf Sofort-Maßnahmen. "Die Bundesregierung darf eine echte Reform nicht auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschieben, sondern muss diese umgehend in Angriff nehmen", sagte er derselben Zeitung am Wochenende.
Nach Hundts Meinung können die Beitragszahler durch eine Reform des Gesundheitssystems "pro Jahr mindestens 40 Milliarden Mark an Zwangsabgaben einsparen". Er forderte erneut die Festschreibung des Arbeitgeberanteils zur Krankenversicherung auf maximal 6 Prozent. Er liegt derzeit im Schnitt bei rund 6,75 Prozent.
"Teilprivatisierung unproduktiv"
Schmidt wies Überlegungen zur Teilprivatisierung von Krankheitsrisiken, wie sie jüngst auch aus einem Strategiepapier des Kanzleramts bekannt wurden, als "unproduktiv" zurück. "Schon die Analyse ist falsch", sagte sie dem "Focus". Sie warnte die Kritiker aus den eigenen Reihen vor Stimmenverlusten im Wahljahr. Die Regierung Kohl sei "nicht zuletzt wegen ihrer unsolidarischen Gesundheitspolitik abgewählt worden".
Wirtschaftsminister Müller verteidigte in der "Bild am Sonntag" seinen Vorstoß mit dem Hinweis darauf, "dass die Zahl der Beitragszahler langfristig sinkt, die Menschen glücklicherweise immer älter werden, die Gesundheitskosten aber im Alter steigen". Deshalb müsse darüber geredet werden, "ob wir auf lange Sicht für unsere Gesundheit ein größeres Stück des Einkommens zur Verfügung stellen müssen".
Grünen-Chef Fritz Kuhn verwarf den Vorschlag Müllers, den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung an die Beschäftigten für eine höhere Eigenvorsorge auszuzahlen, als "skurril". Das medizinisch Notwendige sollte weiter pflichtversichert werden, sagte Kuhn dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel". Wie Müller sieht aber auch Kuhn die Notwendigkeit einer Reform.
Positivliste nicht auf die lange Bank schieben
Damit sollten weitere Anhebungen der Krankenkassenbeiträge verhindert werden. "Ich teile nicht die Auffassung, wegen der anstehenden Bundestagswahlen die Hände in den Schoß zu legen", sagte Kuhn der in Cottbus erscheinenden "Lausitzer Rundschau". So dürfe beispielsweise die Positivliste zur Festlegung verschreibungsfähiger Medikamente nicht auf die lange Bank geschoben werden, sagte der Grünen-Politiker. Schmidt hatte dies erst für das Jahr 2003 in Aussicht gestellt. Nach Ansicht Kuhns ließen sich mit der Liste zwei bis drei Milliarden Mark einsparen.
Zugleich schlug Kuhn vor, Beitragsbemessungsgrenzen und Leistungskataloge der Kassen zu überprüfen. Das medizinisch Notwendige müsse aber solidarisch finanziert sein. Außerdem solle darüber nachgedacht werden, ob versicherungsfremde Leistungen nicht besser über Steuern zu finanzieren seien. "All dies muss man jetzt anpacken", sagte Kuhn. "Deutschland ist nicht beim Lohn zu teuer, sondern bei den Lohnnebenkosten."
Für den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
(BDI), Michael Rogowski, kann ohne Ergänzung des gesetzlichen
Krankenschutzes eine Explosion der Kassenbeiträge nicht verhindert
werden. "Es gibt keinen anderen Weg, als durch eine kapitalgedeckte
Vorsorge den beitragsorientierten Teil des Gesundheitswesens zu
stabilisieren", sagte er dem Nachrichtensender n-tv.
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