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Kirschner-Brief schürt Sozialneid

07.07.2003  00:00 Uhr
SPD-Fraktion

Kirschner-Brief schürt Sozialneid

von Thomas Bellartz, Berlin

Die Spannungen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion im Nachgang zum Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) sind längst nicht ausgestanden. Das zeigt der jüngste Brief des Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, Klaus Kirschner, an die Mitglieder seiner Fraktion.

Seit etlichen Wochen gärt es bei den Sozialdemokraten. Nur knapp sind Fraktionsspitze und auch die Gesundheitsministerin bislang einem Initiativantrag aus den eigenen Reihen und damit einer politischen Selbstdemontage entgangen. Erst vor einigen Tagen hatte das Gesundheitsministerium versucht, mit einer lancierten Meldung im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Druck aus der Geschichte zu nehmen. Doch die Bemühungen waren umsonst, wie SPD-Bundestagsabgeordnete am Dienstag dieser Woche gegenüber der PZ berichteten.

Als nächsten Versuch dürfte ein mehrseitiger Brief Kirschners zu werten sein. Ohne überhaupt einleitend auf die Problematik des BSSichG aus Sicht von Apotheken und Großhandel einzugehen, verfolgte der langjährige Bundestagsabgeordnete und Gewerkschafter mit seinem Schreiben nur ein einziges Ziel: den Querulanten aus den eigenen Reihen mit vermeintlich entlarvenden Fakten das Wasser innerhalb der Fraktion abzugraben. Denn zuletzt hatten interfraktionell mindestens 69 Abgeordnete für einen möglichen Initiativantrag votiert.

Kirschner bemüht einige aus seiner Sicht wohl hieb- und stichfeste „Beweise“, um zu verdeutlichen, dass Apotheken sich in Deutschland auch nach der BSSichG-Einführung dumm und dusselig verdienen. So ergebe sich schließlich nach den Zahlen der Verrechnungsstelle Süddeutscher Apotheken (VSA) ein Mehrerlös für Baden-Württembergs Apotheken, aber kein Mindererlös. Dabei bezieht sich Kirschner auf eine Umsatzrendite von durchschnittlich immerhin 9 Prozent. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Kirschner nimmt bewusst Baden-Württemberg, da hier die Auswirkungen regional im Vergleich zu anderen Regionen nicht ganz so negativ sind.

Untragbare Belastungen

Der gelernte Werkzeugmacher, der etliche Jahre als AOK-Versichertenvertreter agierte, führt aus, dass die „Behauptungen seitens der Apotheker, das BSSichG führe mit den Rabattverschiebungen des Großhandels zu untragbaren Belastungen für die Apotheken“ nicht nachzuvollziehen seien. Vielmehr verweist Kirschner – aus welchem Grund auch immer – darauf, dass rund 13.000 Apotheker die Genossenschaften Sanacorp und Noweda „abbilden“. Und die beiden würden mit ihren Anteilen wiederum die Anzag kontrollieren. Also stellt Kirschner die vermeintlich schlaue Frage: „Wer rabattiert hier wen?“

Trotz all der strahlenden Fachkompetenz, deretwegen Kirschner nun schon in der 8. Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag angehört, soll er eine Antwort auf seine Frage bekommen: Der Großhandel rabattiert den Apotheker. Umgekehrt wohl kaum.

Der SPD-Mann unterschlägt ganz nebenbei, wohl in Ermangelung besseren Wissens, dass sich Sanacorp und Noweda alles andere als freundschaftlich bei ihren Anzag-Interessen gegenüberstanden. Sanacorp will die Fusion mit Anzag, wofür sie die Call-Option auf die Anteile der DZ-Bank nutzen will. Das Bundeskartellamt verwehrt dies. Nun soll der Bundesgerichtshof entscheiden. Die Noweda rührte sich bislang nicht.

Weiß Kirschner also mehr als die gesamte Branche? Es wäre zwar wünschenswert, aber entspricht wohl nicht der Faktenlage. Fakt ist nämlich, dass die Sanacorp die beiden Noweda-Vertreter aus dem Aufsichtsrat der Anzag katapultierte. Von Fusion, Zusammenarbeit oder gar einem gemeinsam kontrollierten Markt weit und breit nichts zu sehen.

Mit einem Mindestmaß an Marktverständnis wäre auch Kirschner aufgefallen, dass Noweda und Sanacorp getrennt agierende Genossenschaften sind. Das Prinzip der Genossenschaft sollte dem Gesundheitsgenossen geläufig sein. Überdies davon auszugehen, dass Mitgliedschaft gleichzusetzen ist mit 100-prozentigem Einkaufsverhalten ist beinahe peinlich. Denn alleine dann schon würden Sanacorp und Noweda bereits – rein theoretisch – knapp 60 Prozent der Umsätze des Gesamtmarktes verbuchen. Und davon sind sie weit entfernt. Der IG-Metaller bedient seine Leserinnen und Leser mit Zahlen und Fakten, die nicht zusammenpassen. Und auch nicht zusammengehören.

Der Weisheit letzter Schluss

Kirschner entnimmt das Zitat des früheren Anzag-Managers Horst Trimborn der PZ und ein weiteres aus der Hauptversammlung des Unternehmens. Und meint, hier lese sich nun der Weisheit letzter Schluss. Darin nämlich teilt Trimborn mit, es sei nach dem BSSichG zu einem verstärkten Rabattwettbewerb gekommen. Dabei gehe es nicht nur um Kunden, sondern auch um Marktanteile. Dass gerade Trimborn und Anzag es waren, die den Markt regelrecht aufrollten, auch um – wie Brancheninsider wissen – die Position des einstigen Vorstandsvorsitzenden noch einmal zu sichern, lässt Kirschner außen vor.

Dass Unternehmen auf Kosten ihrer Erlösspanne vertriebsorientiert aktiv sind, um prospektiv weiter am Markt eine bedeutende Rolle spielen zu können, hält Kirschner anscheinend für illegitim. Und doch funktioniert so, und manchmal eben nur so, der Markt. Indes unterschlägt er die Rabatte, die Apotheken direkt abführen müssen. Und auch die Rabatte des Großhandels. Diese Zahlen tauchen bei Kirschners Brief nicht auf.

Verständlich. Denn er verfolgt schließlich das Ziel, seine Leute davon zu überzeugen, dass an all dem Geschwätz der Apothekerschaft nichts dran sei. Geschwätzt hat er mit Apothekers zuletzt selten. Nach PZ-Informationen kam es bereits seit der vergangenen Bundestagswahl nicht mehr zu einem Treffen mit den Spitzen aus der Apothekerschaft.

Zudem zitiert Kirschner das „Handelsblatt“ und darin den Großhändler Ullrich Kehr aus Braunschweig. Der berichtet vom „unerwartet heftigen Wettbewerb mit Lieferkonditionen“ zwischen den Großhändlern. Der SPD-Mann kommt daher zu dem Schluss, dass also auch noch Professor Dr. Karl Lauterbach Recht behalte. Denn der habe ja schon im November 2002 gesagt, die Marktmacht der Apotheken werde sich durch die Gesetzgebung nicht verändern.

Damit hat er vielleicht Recht. Doch was nützt all die vermeintliche Marktmacht, wenn die hart verdienten Erträge, egal ob bei der Apotheke oder beim Großhändler, vom Gesetzgeber im Handstreich vereinnahmt werden? Dass er Lauterbach als Beweistragenden eingebracht hat, wird den Brief nicht erfolgreicher machen. Der Kölner Professor gilt in der SPD-Fraktion als nur leidlich gelitten.

Fakt sei, so Kirschner, dass die Apotheken zwar nicht ursächliche Auslöser der steigenden Arzneiausgaben in den vergangenen beiden Jahren und des daraus resultierenden GKV-Defizits und steigender Beitragssätze seien. Aber sie seien „Mit-Gewinner“.

Sozialneid pur

Kirschner greift in die tiefste Schublade des Sozialneids, wenn er seinen Genossinnen und Genossen klar macht, dass es beileibe keine Armen treffe. Schließlich werde „der Sparbeitrag von einem Wirtschaftszweig eingefordert“, der „auf einer mehr als gesunden wirtschaftlichen Basis steht“. Im Branchenbericht „Ärzte“ der Sparkassen-Finanzgruppe stehe schließlich, dass die Arzneimittelausgaben und damit die Einnahmen der Apotheker zwischen 1996 und 2001 um 27,5 Prozent auf 22,3 Milliarden Euro zugenommen hätten.

Kirschner tut wider besseren Wissens so, als ob sich Deutschlands Apotheken Milliarden um Milliarden in die Taschen scheffeln würden. Dabei ist der Anteil der Apotheke an den Arzneimittelausgaben der GKV beständig gesunken, die Industrie bekommt rund 60 Prozent des Kuchens, auch der Großhandel bedient sich für seine Distributionsleistung. Und der Staat holt sich über die Mehrwertsteuer seinen Anteil. Den führt übrigens die Apotheke ans Finanzamt ab.

Kirschner macht die Apotheken faktisch für das Verschreibungsverhalten der Mediziner verantwortlich. Dabei lässt sich in jeder Statistik nachlesen, dass die Ausgaben erst nach der Budgetauflösung durch Genossin Ulla Schmidt nach oben schossen. Ob Kirschner sich traut, genau dies seiner Ministerin zu sagen? Vielleicht bei den Verhandlungen mit der Opposition über die Gesundheitsreform?

Mit einem Totschlagargument will Kirschner die Querulanten aus der eigenen Fraktion am Ende seines Briefes mundtot machen: „Bedenkt man, dass die Verkürzung der Bezugsdauer für Arbeitslosengeld voraussichtlich beschlossen wird, die Versicherten zukünftig ausschließlich die alleinige Finanzierung des Krankengeldes übernehmen sollen, muss es den Arbeitnehmern und Versicherten wie Hohn vorkommen, wenn wir die von den Apothekern geforderten Einsparbeiträge wieder abschaffen würden.“

Kirschners Zitat ist verräterisch. Welchen Sinn soll es haben, Kleinbetriebe wie zum Beispiel Apotheken aus Sozialneid in den Ruin zu treiben und damit weitere Arbeitslose zu produzieren?

Kirschner ist als Hardliner in seiner Fraktion bekannt. Seit Schmidt im Ministerium die erste Geige spielt, Gudrun Schaich-Walch an der Seite Franz Münteferings in der Fraktion die Gesundheitspolitik als deren stellvertretende Chefin verantwortet und Helga Kühn-Mengel gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion ist, steht Kirschner nicht mehr in der ersten Reihe. Trotzdem versucht er, sich auf Kosten von Apothekerinnen und Apothekern wieder zu profilieren.

Er vernachlässigt, dass sich die vermeintlichen Querulanten von den eigenen Leuten schlichtweg verschaukelt, weil desinformiert fühlen. Kirschner jedenfalls hat mit seinem Brief genau das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich wollte. Die Fronten sind in der SPD-Fraktion nun mehr als verhärtet. Daran wird die Sommerpause nichts ändern. Top

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