Fischer beharrt in erster Lesung auf Positivliste |
12.07.1999 00:00 Uhr |
GESUNDHEITSREFORM 2000
Koalition und Opposition streiten sich über die Positivliste für Arzneimittel. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) verteidigte im Bundestag in der Debatte über den Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform das Vorhaben, bis Herbst 2001 die Positivliste einzuführen. Der FDP-Gesundheitspolitiker Dieter Thomae befürchtet dagegen, daß die Liste die Therapiefreiheit des Arztes einschränkt.
Die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag bildete den Auftakt der parlamentarischen Beratungen über die Gesundheitsreform, die Anfang 2000 in Kraft treten soll. Koalition und Opposition steckten dabei ihre gegensätzlichen Positionen ab.
Gesundheitsministerin Fischer betonte, die Positivliste sei als ein Mittel gedacht, "um den unüberschaubaren Arzneimittelmarkt durchsichtiger zu machen und um die Qualität der Arzneimittelversorgung zu erhöhen". Selbst die Ärzteschaft halte die Liste für ein angemessenes Instrument zur Qualitätssicherung, betonte sie.
Die gesamte Gesundheitsversorgung muß nach Ansicht der Ministerin mehr auf den Patienten ausgerichtet werden. Untersuchungen belegten, daß nicht diejenigen Patienten die zufriedensten seien, denen der Arzt die meisten Medikamente verschreibe, sondern diejenigen, die sich umfassend informiert fühlten.
Rückendeckung für ihr Reformwerk erhielt Fischer in der Debatte von dem SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. In Deutschland sind nach seinen Angaben rund 50 000 Arzneimittel am Markt, "viele davon noch nicht einmal zugelassen, sondern lediglich nach Uraltrecht registriert". Die Schweiz komme dagegen mit rund einem Fünftel dieser Zahl aus. "Wer behauptet, diese 50 000 Präparate seien für die qualitativ hochstehende Versorgung der Menschen erforderlich, gehörte eigentlich aus dem Verkehr gezogen, weil er damit zugleich behauptet, er habe dabei auch noch den Überblick", sagte Dreßler in einer kämpferischen Rede. Jeder Arzt, der mehr als 600 Präparate in seinem Verordnungsspektrum habe, werde von seinen Kollegen offen als Gesundheitsrisiko gebrandmarkt.
Vehement setzte sich Dreßler für die Einführung einer Positivliste ein. Sie bereinige den deutschen Arzneimittelmarkt von therapeutischen Zweifelhaftigkeiten und von Präparaten mit ungeklärtem therapeutischen Nutzen. "Insofern ist die Kritik, die Positivliste sei innovationsfeindlich, absurd. Wer die Verordnungen auf qualitativ hochwertige therapeutisch nützliche Arzneimittel konzentriert, wer also Zweifelhaftigkeiten beseitigt, der behindert nicht Innovation und Forschung, der fördert sie", sagte Dreßler.
Teilen der Industrie warf der Sozialdemokrat in ihrer Kritik gegen die Gesundheitsreform mangelnde Glaubwürdigkeit vor. Es könne nicht sein, wenn einerseits der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände mit Recht stabile Lohnzusatzkosten verlangten, die Pharma- oder Medizingeräte-Industrie jedoch alles tue, daß diese Forderung unerfüllbar bleibe.
Auf scharfe Ablehnung stieß die Positivliste vor allem beim gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dieter Thomae. "Die Liste schränkt die Therapiefreiheit des Arztes ein und ist ein Forschungshindernis für die deutsche Pharmaindustrie", betonte der Freidemokrat. Er wies darauf hin, daß in Ländern, in denen es bereits eine Positivliste gebe, die Arzneimittelausgaben "mindestens so hoch sind wie bei uns".
Thomae befürchtet, daß das Arzneimittelbudget künftig in der Summe reduziert wird. Er warf der Koalition vor, mit ihrer Budgetierungspolitik eine Zwei-Klassen-Medizin zu betreiben, bei der sich nur noch Reiche ein Arzneimittel kaufen könnten, das nicht auf der Positivliste stehe.
Ein vernichtendes Urteil über die gesamte Gesundheitsreform fällte der CDU-Politiker Hermann Kues. "Nach dem 630-Mark-Murks-Gesetz kommt jetzt das Gesundheitspfusch-Gesetz", sagte er. Kranke Menschen würden nur noch als Kostenfaktor gesehen. Die Gesundheitsreform schaffe ein Übermaß an Bürokratie und verlagere die Machtverhältnisse einseitig zugunsten der Krankenkassen. "Nicht der Arzt, sondern die Krankenkassenverwaltung wird künftig entscheiden, ob eine Behandlung medizinisch notwendig ist und bezahlt wird", betonte Kues. Ins Kreuzfeuer der Kritik nahm der CDU-Politiker auch die geplanten Budgets. "Willkürliche Ausgabenobergrenzen gefährden die medizinische Versorgung", sagte er.
Nach der Sommerpause werden sich die Ausschüsse des Parlaments in Berlin und der Bundesrat mit der Gesundheitsreform befassen. Die zweite und dritte Lesung über den Gesetzentwurf im Bundestag wird am 29. Oktober erwartet.
© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de