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Glaeske für Fremdbesitz

09.06.2003  00:00 Uhr

Glaeske für Fremdbesitz 

von Daniel Rücker, Eschborn

Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Dr. Gerd Glaeske sieht im Arzneimittelmarkt ein Sparpotenzial von bis zu 7 Milliarden Euro. Um dieses zu erschließen will er den gesamten Markt umkrempeln. Dabei geht er noch weiter als Ministerin Ulla Schmidt: Apotheker Glaeske hält auch das Fremdbesitzverbot für überholt.

Die bisherigen Regulierungen im Apothekenbereich seien überkommen, diagnostiziert Glaeske in einem Gutachten mit dem Titel „Stärkung des Wettbewerbs in der Arzneimittelversorgung zur Steigerung von Konsumentennutzen, Effizienz und Qualität“. Das Gutachten bestätigt den Kurs des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales in den meisten Punkten. Das ist auch keine Überraschung, schließlich war das Ministerium der Auftraggeber.

Es verwundert daher kaum, wenn Glaeske für die Zulassung des Versandhandels, Preisverhandlungen und die Herausnahme von OTC-Produkten aus der Erstattungsfähigkeit plädiert. Auch die Forderungen, endlich die Positivliste einzuführen und patentgeschützte nicht innovative Arzneimittel direkt unter Festbetrag zu stellen, fehlen erwartungsgemäß nicht.

Mit manchen Vorschlägen geht Glaeske allerdings noch weiter als Ministerin Schmidt in ihrem Entwurf zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG): „Das Fremd- und Mehrbesitzverbot muss abgeschafft werden“, heißt es im Gutachten. Eine Begrenzung auf die Erlaubnis von Mehrbesitz scheint Glaeske also unsinnig. In keinem der EU- und OECD-Staaten, in denen Fremd- und Mehrbesitz von Apotheken gestattet sei, könne eine geringere Qualität der Arzneimittelversorgung registriert werden. Bei der Verteidigung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes gehe es nur um das Sichern von Pfründen.

Die Einführung von Apothekenketten und Versandhandel würde nach Glaeskes Einschätzung die Distributionskosten deutlich senken. „Überträgt man die Erfahrungen mit der Liberalisierung der Anbieterstrukturen, (zum Beispiel aus Norwegen) und betrachtet man die Unterschiede in der Distributionsspanne zwischen Ländern mit und ohne Apothekenketten, so kann eine Einsparung von 1 bis 2 Milliarden Euro erwartet werden. In Norwegen wurden zum 1. März 2001 das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben und die Niederlassungsfreiheit eingeführt. Innerhalb eines halben Jahres übernahmen Großhändler zwei Drittel der Apotheken.

Fremdbesitz folgt Mehrbesitz

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat bislang immer betont, nur das Mehrbesitzverbot aufheben zu wollen. In den ersten Entwürfen sollte die Zahl der Apotheken, die ein Apotheker besitzen darf, auf fünf begrenzt werden, im aktuellen Entwurf hat man sich von dieser Einschränkung verabschiedet. Das Fremdbesitzverbot will Schmidt dagegen beibehalten, um große Ketten zu verhindern. Juristen halten diese Trennung für nicht haltbar.

BMGS-Berater Glaeske auch nicht. In seinem Gutachten kommt er zu dem Schluss „Fremdbesitz folgt Mehrbesitz“. Sowohl eine Begrenzung der Filialzahl wie auch der Ausschluss des Fremdbesitzes sind aus seiner Sicht nicht nachvollziehbar. Dass Glaeske damit die Einschätzung der Apotheker teilt, wird diese nur mäßig begeistern.

Zur Sicherung der Qualität hält Glaeske es für ausreichend, in der Apothekenbetriebsordnung festzulegen, dass „jede zu einer Gruppe gehörende Apotheke von einem entsprechend qualifizierten Apotheker verantwortlich geführt wird“.

Weitere Maßnahmen, um die Arzneimittelkosten zu senken, sind laut Gutachten die Lockerung des Kontrahierungszwangs, neue Handelsmargen, Preisregulierung auf Herstellerebene durch „Revitalsierungen“ der Festbeträge und Referenzpreise für patentgeschützte Arzneimittel und eine prozentuale Zuzahlung. Zum Schluss noch einmal Konsens mit den Apothekern: Auch Glaeske fordert eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel.

Ein besonderes Steckenpferd Glaeskes darf in dem Gutachten selbstverständlich nicht fehlen, die Entwicklung qualitätssichernder Instrumente. Neben der Positivliste gehört dazu auch die Etablierung einer vierten Hürde, also eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, zur Beurteilung der Erstattungsfähigkeit. Glaeske hatte zuvor bereits sein Interesse bekundet, sich in einem dafür zuständigen Deutschen Zentrum für Qualität in der Medizin zu engagieren.

Kommentar: Falsche Reihenfolge Wenn Politiker sich bei ihren Entscheidungen auf Gutachten stützen, dann ist das ohne Frage sinnvoll. Wichtig ist dabei aber die Reihenfolge: Erst sollte das Gutachten vorliegen, dann fällt die Entscheidung. Beim Gutachten von Professor Dr. Gerd Glaeske zur Stärkung des Wettbewerbes in der Arzneimittelversorgung war die Reihenfolge leider umgekehrt: Erst hatte das Ministerium ein Konzept, dann beauftragte sie den Arzneimittelökonom damit, diese Pläne wissenschaftlich zu unterfüttern - mit dem gewünschten Ergebnis. Versandhandel und Apothekenketten, Festbeträge für Me-too-Produkte, Preisverhandlungen und die Herausnahme der OTC-Produkte aus der Erstattungsfähigkeit erhöhen die Effizienz der Arzneimittelversorgung. Wer hätte auch ein anderes Ergebnis erwartet?

Gutachten, die nicht dem Erkenntnisgewinn dienen, sondern allein das Ziel haben, diesen nachträglich zu validieren, sind das, was Glaeske vielen Arzneimitteln unterstellt: überflüssig und damit auch nicht effizient. Sie kosten Geld und haben keinen objektiven Nutzen. Geld, dass man sich sparen könnte. Schließlich ist es ja offensichtlich mehr als knapp.

Daniel Rücker
Stellvertretender Chefredakteur

 

Das vollständige Gutachten von Professor Dr. Gerd Glaeske und seinen Mitarbeitern (180 Seiten) sowie die Kurzfassung (10 Seiten) finden Sie unter http://www.bmgs.bund.de/deu/drv/themen/gesundheit/arznei/index_3313.cfm. Top

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