Wir wussten, dass uns der Wind entgegenweht |
28.05.2001 00:00 Uhr |
INTERVIEW
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben laut aufgeschrieen: Im ersten Quartal des Jahres soll es eine Ausgabensteigerung von 12,9 Prozent bei den Arzneimitteln gegeben haben - das Bundesgesundheitsministerium selbst spricht lediglich von 7,9 Prozent. Es will aber nicht die Verantwortung für die Steigerung tragen. Die PZ sprach darüber mit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Ministerium, Gudrun Schaich-Walch.
PZ: Wegen hoher Ausgabensteigerungen auf dem Arzneimittelmarkt greifen die Krankenkassen Ihr Ministerium an. Was ist geschehen?
Schaich-Walch: Die Zuwächse auf dem Arzneimittelsektor in der gesetzlichen Krankenversicherung machen uns Sorgen. Wir sehen sehr deutlich, dass Ärzte und Krankenkassen ihre Steuerungsmöglichkeiten nicht wahrnehmen.
PZ: Ist es so einfach für die Krankenkassen, den Schwarzen Peter an die Politik weiterzugeben?
Schaich-Walch: Es gibt KV-Bezirke, die mit ihren Finanzmitteln nach wie vor zurecht kommen, andere haben offensichtlich Probleme. Im Augenblick ist es enorm wichtig herauszufinden, warum es die Steigerungen gegeben hat. Lagen sie nur an den Innovativen Präparaten? Und wo haben wir Wirtschaftlichkeitsreserven? Es muss auch an die Ärzteschaft appelliert werden, diese Wirtschaftlichkeitsreserven zu finden und entsprechend zu nutzen.
PZ: Jammern allein hilft nicht...
Schaich-Walch: Die Krankenkassen haben nicht nur den Auftrag, zu mahnen, wenn es hohe Ausgabensteigerungen gibt. Sie haben auch den Auftrag, sich konsequent an den Sparbemühungen zu beteiligen. Ich erwarte, dass die Kassen auf Bundes- und Landesebene gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Regeln zur wirtschaftlichen Verordnungsweise und damit zur Ausgabenbegrenzung in diesem Jahr erstellen.
PZ: Wie konnte es geschehen, dass jetzt plötzlich eine solche Hiobsbotschaft von den Krankenkassen gestreut wird?
Schaich-Walch: Es ist im Prinzip seit dem vergangenen Jahr nichts mehr passiert: Damals lag die Bundesempfehlung von GKV-Spitzenverbänden und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vor. In dem Papier hatte man sich auf vernünftige Regelungen zur Ausgabenbegrenzung im Arzneimittelsektor geeinigt. Unter dem Druck der möglichen Kollektivregresse der Ärzte ist dann die Empfehlung vom Länderausschuss der KBV nicht angenommen worden.
PZ: Und das alles soll nun anders werden?
Schaich-Walch: Unser Standpunkt ist deutlich: Ab 2002 gibt es bessere Regeln zur Steuerung der Arzneimittelausgaben. Und wir erwarten von Ärzteschaft und Krankenkassen, dass im Vorgriff auf das neue Gesetz die damalige Bundesempfehlung aktualisiert und auf Landesebene umgesetzt wird. Im übrigen ist Basis der neuen Vereinbarungen das Soll des Jahres 2000.
PZ: Die Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Parlament wird noch Monate dauern. Was geschieht in der Zwischenzeit?
Schaich-Walch: Alle kennen den Gesetzentwurf Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz. Wir fordern die Beteiligten auf, bereits in diesem Jahr einige Bestimmungen daraus zu realisieren. Und wir wollen, dass sich Kassen und Ärzte bereits jetzt auf die neuen Regelungen vorbereiten, damit es im kommenden Jahr kein Verhandlungsmarathon geben muss. Da gibt es die Möglichkeit, die demografische Entwicklung in das Ausgabenvolumen einzubeziehen, es können Besonderheiten innerhalb jeder einzelnen KV berücksichtigt und Indikationen eingerechnet werden - alles vernünftige Kriterien, deren Anwendung bereits heute möglich ist.
PZ: Appellieren Sie da nicht an eine Gruppe - nämlich an die Selbstverwaltung -, die gar nicht die Verantwortung tragen will?
Schaich-Walch: Es ist schon festzustellen, dass die Selbstverwaltung manchmal weniger schafft, als sie glaubt, bewältigen zu können. Es ist aber auch genau so festzustellen, dass die Selbstverwaltung oft weniger leisten möchte als sie könnte. In einigen Fällen möchte sie sich auch gerne hinter Gesetzen verbergen.
Seit Jahren und Jahrzehnten wird von der Selbstverwaltung der Vorwurf erhoben, es sei alles zu bürokratisch und zu aufwändig, was von ihr verlangt werde. Darum hat sie oft genug neue Aufgaben abgelehnt. Denken Sie an den Grundsatz des ehemaligen Ministers Horst Seehofer "Vorfahrt für die Selbstverwaltung".
PZ: Und dennoch wollen Sie jetzt diese Selbstverwaltung in die Verantwortung nehmen?
Schaich-Walch: Wir wussten, dass uns der Wind entgegenweht, als wir die
Selbstverwaltung in unseren Gesetzentwürfen in die Verantwortung zogen.
Wir fordern sehr klar von der Selbstverwaltung, ihren Beitrag und ihre
Leistung zu bringen. Beide Seiten - Krankenkassen und Ärzteschaft - haben
jetzt eine ganz große Chance zur Gestaltung. Sie sollen ja auch nicht
alleine gelassen werden. Der von uns initiierte "Runde Tisch"
ist nur ein Beispiel für gemeinsames Handeln aufgrund gemeinsamer
Verantwortung, die wir alle für das Gesundheitswesen tragen.
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