Kleinstaaterei oder das Gelbe vom Ei? |
22.05.2000 00:00 Uhr |
INTEGRIERTE VERSORGUNG
Krankenkassen wollen neue Einsparpotenziale erschließen, Mediziner wünschen sich einen Ausweg aus der Budgetierung, die Apothekerschaft denkt über eine bessere Zusammenarbeit nach, und alle wollen die Versorgung verbessern und dabei sogar noch Kosten sparen. Das Zauberwort heißt neue Versorgungsformen.
Dass alle bisher gestarteten Projekte, egal ob Modellversuch oder Arztnetz, noch lange nicht das Gelbe vom Ei sind und die Interessen teils weit auseinander klaffen, wurde vergangene Woche bei einer Fachtagung im niedersächsischen Isernhagen deutlich. Zum dritten Mal hatten Apothekerkammer und Landesapothekerverband (LAV) Niedersachsen, das Sozialministerium und der Gesundheitspolitische Arbeitskreis forschender Arzneimittelhersteller Nordwest Ärzte, Apotheker und Krankenkassenexperten, aber auch Patientenvertreter sowie Fachleute aus Industrie und Klinik zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen.
"Wir Apotheker kümmern uns gerne um eine Qualitätsverbesserung der Arzneimittelversorgung", betonte der LAV-Vorsitzender Heinz-Günter Wolf in seinem einleitenden Statement. Er kann sich den Apotheker gut als pharmakoökonomischen Controller in einem Netz vorstellen. Je mehr marktwirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund rückten, desto intensiver müsse man auch die Kosten-Nutzen-Relation einer Arzneimitteltherapie hinterfragen.
Die Patienten wünschten sich von neuen Versorgungsformen endlich mehr Gerechtigkeit, sagte Dr. Ekkehard Bahlo, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten. Bislang werde der Patient doch zwischen Arzt, KV und Krankenkasse hin- und hergeschickt. "Nicht der Betroffene, sondern das Budget steht im Mittelpunkt", kritisierte Bahlo. Der Blick sei auf das Budgetjahr eingeengt; für langfristige Entwicklungen sei das System dagegen blind. "Unter- und Überversorgung, Verknappung und Verschwendung, Spitzenmedizin und Pfusch treten nebeneinander auf", bemängelte der Patientenvertreter. Mangelnde Kooperation und schlechte Kommunikation zwischen den am Gesundheitswesen Beteiligten sorgten zudem für Entsolidarisierung und eine Zwei-Klassen-Medizin.
Integrierte Versorgungsformen auf der Grundlage des neuen § 140 SGB V durchbrächen nicht verkrustete Strukturen, sondern zäunten das Gesundheitswesen noch mehr ein, warnte Dr. Heinz Jarmatz, Vorsitzender des Landesverbandes Niedersachsen des Bundes Deutscher Allgemeinärzte. Er bezeichnete solche Projekte als "eine neue Form der Kleinstaaterei". Gerade chronisch Kranke könnten von den aufwändigen Versorgungsformen nicht profitieren, da die Systempflege so viel Zeit und Geld koste, dass weitere Rationierungen unumgänglich seien. Jarmatz empfahl, statt dessen lieber auf eine hausarztorientierte Versorgung zu setzen. Nötige Strukturen seien vorhanden, und dieses System hätte sich schließlich in der Vergangenheit hinlänglich bewährt. Dabei könnte eine Chipkarte mit einem integrierten elektronischen Rezept als zentrales Kommunikationsmittel fungieren.
"Man kann schon effektiver arbeiten, wenn man die Aufgaben gezielt verteilt. Aber
das bedeutet nicht zwangsläufig mehr Qualität", sagte Dr. Dieter Heidbreder von der
KV Niedersachsen. Oft scheitere der Netzgedanke an den zahlreichen Individualisten im
niedergelassenen Bereich. Zwar plane man neue Schnittstellen zwischen Haus- und
Fachärzten sowie Kliniken. Die Mediziner seien aber inzwischen so extrem spezialisiert,
dass es immer schwieriger werde, die Aufgaben gerecht zu verteilen.
© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de