Pharmazeutische Zeitung online

Auf Biegen und Brechen

22.04.2002  00:00 Uhr

Versandhandel

Auf Biegen und Brechen

von Thomas Bellartz, Berlin

Trotz der heftigen Gegenwehr der Apothekerschaft ist der Versandhandel näher gerückt. Der "Runde Tisch im Gesundheitswesen" empfahl am Montag der Politik die Einführung des Versandhandels in Deutschland. Allerdings müssen dafür zahlreiche strikte Auflagen erfüllt werden.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) lobte die "sehr konstruktive Arbeit" der vierten und letzten Auflage der von ihr im Mai 2001 initiierten Gesprächsrunde. Es habe einige gute Resultate gegeben, auch wenn man "nie der Illusion erlegen sei, eine einstimmige Meinung zu bekommen". Man habe Meinungen ausgetauscht und sich teilweise angenähert. Vielen von Schmidts Gesprächspartnern am Runden Tisch war das Ergebnis allerdings insgesamt zu dürftig. Über wirklich heikle Themen, wie den gesamten Umbau des Gesundheitswesens oder dessen Finanzierung, wurde entweder nicht gesprochen oder noch nicht einmal ansatzweise Einigkeit erzielt.

Apotheker ohne Unterstützung

Beim Versandhandel hat die von Schmidt angeführte Annäherung aus Sicht der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - nicht funktioniert. Präsident Hans-Günter Friese ließ keinen Zweifel daran, dass die deutschen Apothekerinnen und Apotheker nicht mit der Entscheidung für eine Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln einverstanden seien. Zuvor hatte Schmidt darauf hingewiesen, dass der Runde Tisch die Einführung von Versandhandel und die Zulassung von Internet-Apotheken mit großer Mehrheit befürwortet habe. An der aktuellen Gesetzeslage ändert dies jedoch nichts. Der Versandhandel von Arzneimitteln ist weiterhin verboten.

Tatsächlich stand die Apothekerschaft bei der langwierigen Diskussion hinter verschlossenen Türen ziemlich alleine da. Lediglich die Zahnärzte votierten mit Friese gegen den Arznei-Versandhandel. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer enthielten sich. Der Rest, also neben den Krankenkassen auch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Verbraucherverbände, stimmte offensiv oder stillschweigend zu. Das gilt auch für die Verbände der Pharmaindustrie. Bereits in den vorbereitenden Sitzungen des Arbeitskreises hatte sich eine Mehrheit für den Versandhandel abgezeichnet.

Trotzdem konnte Friese nach eigener Einschätzung viele der Gesprächspartner zu einer zumindest kritischen Betrachtung und Begleitung des Themas Versandhandel motivieren.

Qualität und Information sichern

Man habe sich über "moderne Vertriebswege" unterhalten, startete die Ministerin ihr Medienstatement zum Versandhandel. Vor einer Einführung wolle man allerdings die Qualität und die Information der Patienten sichern, erläuterte Schmidt. Auch die wohnortnahe Versorgung dürfe nicht leiden. Die Sozialdemokratin unterstrich, dass es bei der Arzneimittelsicherheit keine Abstriche geben dürfe. Zudem wolle sie dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen Versandhandelsapotheken und Offizinapotheken komme. Erst wenn diese und weitere Rahmenbedingungen erfüllt seien, könne es zu einer Zulassung von Versandapotheken kommen.

Friese, der nochmals fast zwei Stunden lang die Positionen der Apothekerschaft in dem Gremium verteidigt hatte, konnte sich mit den Ankündigungen der Ministerin nicht anfreunden. "Wir befürchten, dass Arzneimittel nicht mehr eine Ware besonderer Art, sondern nur ein normales Konsummittel werden", sagte Friese in der Pressekonferenz mit Schmidt. Die Konsequenzen dieser Entwicklung würden erst viel später sichtbar. Versandhandel sei weder kostengünstiger noch sicherer als das aktuelle System. Er zerstöre zudem ohne Not das derzeit bewährte System einer wohnortnahen Arzneimittelversorgung. Außerdem habe die ABDA ein Konzept erstellt, das alle Zielvorstellungen des Versandhandels erfülle. Das müssten auch die Befürworter des Versandhandels eingestehen.

Quadratur des Kreises

Der ABDA-Präsident erwartet vom Ministerium nun "exakte Definitionen", bevor man überhaupt dem Versandhandel die Tür öffnet. Er befürchtet, Schmidt wage sich an die Quadratur des Kreises. Friese: "Ich bin gespannt, wie Sie das hinbekommen."

Deutschland habe das modernste Vertriebssystem der Welt, nutzte Friese die Gelegenheit, um noch einmal in aller Öffentlichkeit auf die Vorteile des jetzigen Systems hinzuweisen. Der hohe Standard müsse in jedem Fall erhalten bleiben. "Wir werden die weiteren Gespräche abwarten", kündigte der ABDA-Chef an, auch in Zukunft zum Dialog und zur Mitarbeit bereit sein zu wollen.

Gegenüber der PZ äußerte sich Schmidt zu den Folgen einer Einführung des Versandhandels: "Es ist eine Fehleinschätzung, dass die Menschen in Zukunft alle ihre Arzneimittel im Internet bestellen werden. Zunächst wollen wir gesicherte Informationen sammeln. Nur diejenigen werden zugelassen, die alle Kriterien erfüllen." Natürlich komme es in der Folge auch zu einer Änderung bei der Preisspannenverordnung. Ob es zu der von der ABDA vorgeschlagenen Drehung komme, hänge aber von verschiedenen Faktoren ab. Schmidt: "Ich möchte keine Drehung haben, wenn es am Ende für den Versicherten teurer wird."

Schmidt hat mit der Empfehlung des Runden Tischs nun das Instrument in der Tasche, um innerhalb ihres Ministeriums und der eigenen Partei den Versandhandel voranzutreiben. Allerdings wird das Thema erst nach der Bundestagswahl im September auf die Agenda von Bundestag und Bundesrat rücken.

Forum für Prävention

Neben einem Ausbau der integrierten Versorgung einigte sich das Gremium darauf, ein "Deutsches Forum Prävention und Gesundheitsförderung" einzurichten. Am einheitlichen Leistungskatalog soll festgehalten werden, der Abschluss von Einzelverträgen zwischen Ärzten und Krankenkassen möglich werden. Die Beibehaltung des Kollektivvertragssystems unter Zulassung ergänzender einzelvertraglicher Strukturen ist auf ein vehementes Engagement von Apotheker-, Ärzte- und Zahnärzteschaft zurückzuführen.

 

Kommentar: Aus Prinzip Eine der glanzvollsten pädagogischen Leistungen ist die Erziehung oder Unterweisung "aus Prinzip". Besonders bockige oder rebellische Zöglinge werden gerne "aus Prinzip" gemaßregelt. Der Eindruck erhärtet sich, dass Ministerin Schmidt und ihre willfährigen Adjutanten aus vielen der am Runden Tisch vertretenen Verbänden der Apothekerschaft "aus Prinzip" den Versandhandel aufs Auge gedrückt haben.

Das Ganze klingt nach einem hämischen, abgekarteten Spiel. Die Empfehlung des Runden Tischs ist aber keine Entscheidung, hat nur einen bedingten politischen Wert. Das weiß auch Ulla Schmidt. Aber öffentlichkeitswirksam war das Gerede von den neuen, modernen Vertriebsstrukturen allemal.

ABDA-Präsident Hans-Günther Friese schlug noch einmal beherzt Pflöcke ein, schwor die Runde auf eine hohe Schwelle bei der Einführung des Versandhandels ein. Friese weiß ebenso wie seine Kolleginnen und Kollegen: Patientinnen und Patienten wollen den Erhalt ihrer Apotheke, wollen keine Abstriche bei Sicherheit, Qualität und Information hinnehmen. Das zeigt schon die erste Resonanz auf die Unterschriftenaktion. Bequem ist Versandhandel nicht wirklich, von Einsparungen kann kaum eine Rede sein. Der Ministerin geht es in Wahrheit um den Aufbruch des ganzen Systems der Arzneimittelversorgung.

Die zurzeit im Gesundheitsministerium unbeliebte Pharmaindustrie hat mit Frau Schmidt für den Versandhandel gestimmt, sich nicht auf die Seite der Apothekerschaft gestellt. Nicht aus Prinzip, sondern aus Kalkül. Und auch wenn sich Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung der Stimme enthielten, dann doch nur, weil eine Mehrheit für den Versandhandel stimmte. Im Arbeitskreis hatten die Ärztevertreter bereits pro Versandhandel votiert.

Die Diskussion um Internet-Apotheken und Versand lenkt ab von den wahren Problemen des Gesundheitswesens. Knackpunkte wurden nicht gelöst. Auch das hat Prinzip. Der Runde Tisch gilt in den Medien - höflich formuliert - nur als Diskussionsclub.

Jetzt bleibt den Apothekerinnen und Apothekern, ihre Patienten über den Versandhandel und seine Folgen zu informieren und der Politik die Sinnhaftigkeit der Empfehlung zu widerlegen. Es ist Wahlkampf und damit die beste Zeit, um neue Verbündete zu suchen, zu finden und zu binden.

Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion

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