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Defizite bei der Umsetzung in die Praxis

28.03.2005  00:00 Uhr
Versorgungsforschung

Defizite bei der Umsetzung in die Praxis

von Daniel Rücker, Köln

Alle in Deutschland zugelassenen Arzneimittel müssen in der Wirksamkeit belegt sein. Dies bedeutet nach Meinung einiger Experten jedoch nicht zwangsläufig, dass die Präparate auch in der täglichen Praxis nützlich sind. Sie fordern deshalb eine intensivere Versorgungsforschung.

Das Problem ist bekannt: In der Praxis bringen manche nicht den Nutzen haben, den sie nach den Ergebnissen klinischer Studien haben müssten. Die Ursache sind völlig unterschiedliche Bedingungen in Forschung und Praxis: In klinischen Studien herrschen in der Regel Laborbedingungen. Die Patienten haben weniger Nebenerkrankungen und sind mehrheitlich männlich. Die teilnehmenden Ärzte sind überdurchschnittlich motiviert und qualifiziert. Deshalb betreuen und beraten sie ihre Patienten auch intensiver, als dies im Tagesgeschäft üblich wäre. Entsprechend gut ist das Ergebnis der Behandlung.

Ist ein Arzneimittel zugelassen, muss das neue Pärparat unter den rauen Bedingungen der Wirklichkeit bestehen. Es wird nun auch von Ärzten verordnet, die keine Experten, sondern Generalisten sind. Bei vielen Erkrankungen sind die Patienten zudem multimorbid und erhalten verschiedene weitere Präparate. Interaktionen sind programmiert. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass viele Medikamente in der täglichen Praxis weitaus weniger hilfreich sind als in den Studien vor der Zulassung.

Der Wissenschaftszweig, der sich mit der Diskrepanz zwischen den Studiendaten und der real existierenden Therapie beschäftigt, nennt sich Versorgungsforschung. Die auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler versuchen zu ermitteln, in welchen Indikationen und aus welchem Grund Arzneimittel falsch eingesetzt werden. Da insuffiziente Therapie auch immer unnötige Kosten verursacht, sollte das Interesse an dieser Forschung groß sein. Doch bislang ist die Datenlage für alle Beteiligten wenig zufrieden stellend. Auf die Frage, welche Behandlungsart für einen Patienten oder eine Patientengruppe die beste ist, gibt es häufig wissenschaftlich nur mäßig abgesicherte Antworten.

Häufige Schwachstelle sei der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, sagte Professor Dr. Jörg Hasfort vom Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an der Uni München auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für pharmazeutische Medizin in Köln. Die niedergelassenen Ärzte wissen häufig einfach zu wenig über die von ihnen verordneten Arzneimittel. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Einsatz von Antibiotika bei Erkältungskrankheiten.

Irrationale Verordnungen

So gaben in einer britischen Untersuchung von 2003 alle 25 befragten Ärzte an, bei Halsschmerzen manchmal Antibiotika zu verordnen. Sie waren sich sicher, dass diese manchen Patienten nützen, obwohl sie in der Regel nicht indiziert sind. Bevorzugt wurden die Antibiotika Patienten verordnet, die »richtig krank« waren, explizit eine Verordnung gewünscht hatten oder Sozialfälle waren. Außerdem wurde das Rezept zur Abkürzung der Konsultation genutzt. Bemerkenswert war auch, dass kein Arzt die existierenden medizinisch harten Kriterien nannte, die eine Verordnung von Antibiotika im Einzelfall sinnvoll machen.

Nach den Angaben von Professor Dr. Gerd Glaske, Universität Bremen, werden allein für unwirksame Migränemittel 25 Millionen Euro pro Jahr ausgeben. Der aus seiner Sicht nutzlose Einsatz von Acarbose bei Typ-2-Diabetes koste die GKV rund 40 Millionen Euro. Die Kassen wollen deshalb auch ihre Verordnungsdaten nutzen, um Anhaltspunkte für Fehlversorgung zu finden.

Solche Anhaltspunkte sind häufig Varianzen in der Arzneimittelversorgung: Immer wenn es auffällige regionale, geschlechtsspezifische oder von der Arztgruppe abhängige Unterschiede bei der Verordnung eines Medikamentes gebe, sei dies ein mögliches Indiz für Fehlversorgung und ­ so Glaeske ­ für die Aktivität des pharmazeutischen Außendienstes der Unternehmen.

Allerdings bergen GKV-Daten das grundsätzliche Problem, dass die für die Verordnung zu Grunde liegende Diagnose des Arztes nicht mehr validiert werden kann. Deshalb können sie nur einer von vielen Bausteinen in der Versorgungsforschung sein.

Eine weitere Datenquelle können Register zu bestimmten Krankheiten sein. So lasse sich anhand verschiedener Herz-Register durchaus ermitteln, welche Behandlung bei einem Myokard-Infarkt welchen Erfolg habe. Besonders geeignet seien die Daten für die Überprüfung von Richtlinien.

Unbestritten ist aber auch, dass die Versorgungsforschung weder auf die Daten der pharmazeutischen Industrie noch auf eigene Studien verzichten kann. Letzteres ist in Deutschland bislang die Ausnahme. Einige Experten hoffen, das neu gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen könnte helfen, dieses Defizit zu verringern. Allerdings will sich zurzeit kaum jemand darauf verlassen.

Das Institut ist noch zu jung. Bis in Deutschland die Bewertung von Arzneimitteln unabhängig von Partikularinteressen vorgenommen wird, dürfte deshalb noch einige Zeit vergehen. Top

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