Schmidt sucht Konsens mit den Apothekern |
19.03.2001 00:00 Uhr |
INTERPHARM
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will mit den Apothekern bei der Reformierung des Gesundheitswesens zusammenarbeiten. Das signalisierte sie am Sonntag auf dem Interpharm-Kongress in Hamburg. "Ich möchte gemeinsam mit den Apothekern eine Lösung finden", sagte die Ministerin und verwies dabei auf ein am Freitag vergangener Woche mit der ABDA-Spitze geführtes Gespräch.
Schmidt möchte insbesondere auf eine transparente Datenlage hinarbeiten. Auch hier habe man mit der Apothekerschaft eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Zwischen Gesundheitsministerium, Wirtschaftsministerium und ABDA werde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit diesem Thema befassen solle.
Verständnisvoll reagierte die Ministerin, die sich zuletzt für einen eher offenen Umgang mit dem Arzneimittelhandel im Internet ausgesprochen hatte, auf die Befürchtungen der Apothekerinnen und Apotheker. "Es kommt darauf an, das Thema nicht zu unterschätzen", ließ Schmidt wissen.
Man solle sich nicht der Illusion hingeben, durch Gesetze dem Internethandel Einhalt gebieten zu können. Hier will das Ministerium mit der Apothekerschaft zusammenarbeiten und nach einem gemeinsamen Weg suchen. Aufgenommen hatte die Ministerin dabei die Argumente der ABDA-Oberen, die immer wieder auf die Arzneimittelsicherheit, aber auch die Rosinenpickerei durch die Internetapotheken hingewiesen hatten. Offensichtlich erfolgreich: Schmidt will nicht zulassen, dass die Apotheken nur bei Beratung, den preiswerten Präparaten oder beim Notdienst gefragt seien. Die Ministerin lud auch öffentlich noch einmal die Apothekerschaft ein, am runden Tisch über die Reform des deutschen Gesundheitswesens mitzudiskutieren.
Schmidt betonte, dass der Verbraucherschutz aus ihrer Sicht oberste Priorität genieße. Das Gesundheitswesen habe immerhin rund 10 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt: "Verbraucherschutz ist bei Medikamenten genauso wichtig wie beim Rindfleisch.
"Bemerkenswert offen verwies die Ministerin auf die schwierigen Verhandlungen und Gespräche auf Grund der Komplexität des Gesundheitswesens: "Das ganze System lebt von Vorurteilen." Neben der Ausgabenseite werde sie ihr Augenmerk zukünftig verstärkt auf die Einnahmenseite richten. Schmidt: "Es ist letztendlich alles finanzierbar."
Schmidt hat sich in den wenigen Wochen seit der Amtsübernahme von Vorgängerin Andrea Fischer (Grüne) grundsätzliche Kenntnisse erworben. Sie wolle die Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen nicht pauschal mit dem demographischen Wandel erklärt wissen. Indes gebe es vier wesentlich Punkte, die in Zukunft zu beachten seien. So sinke die Zahl der akut Erkrankten, während die Anzahl chronisch Kranker ansteige. Zudem bieten Früherkennung und Prävention den Bürgern Chancen, Krankheiten zu verhindern. Krankheiten seien dank des beeindruckenden technologischen und pharmazeutischen Fortschritts besser zu bewältigen. Und die neuen Medien bieten nach ihrer Ansicht den Menschen die Chance zu mehr Mitgestaltung im Gesundheitswesen.
Schmidt sieht derzeit einen erheblichen Nachholbedarf bei der Präventation. Eine gesunde Lebensführung solle in Zukunft auch stärker von den Krankenkassen berücksichtigt werden. Zudem dürfe man bei der Präventation nicht "immer nur an die jüngeren Menschen denken", so Schmidt. Hier seien auch die Älteren gefragt.
Problematisch sei die Vielfalt der Einzelinteressen im Gesundheitswesen. "Die Kunst wird es sein, die Schnittmengen zu finden", analysierte Schmidt.
Podiumsdiskussion über Arzneimittelhandel via Internet
Tags zuvor hatte einmal mehr DocMorris von sich Reden gemacht. Mit dem Satz "Verbote interessieren niemanden in Bangladesch" versuchte Jens Apermann aus Sicht der niederländischen Versandapotheke die Interessen der Öffentlichkeit zu definieren. Apermann setzte in der von Dr. Christian Rotta, Stuttgart, moderierten Diskussion auf eine europäische Entscheidung.
Das Angebot, Arzneimittel zu versenden, verstößt gegen verschiedene deutsche Bestimmungen, sagte Professor Dr. Hilko J. Meyer, Frankfurt am Main. Er verwies darauf, dass es sich beim Arzneimittel um eine Ware besonderer Art handelt, die besonderen nationalen Zulassungsvorschriften unterliegt. Aus gesundheitspolitischen Gründen sei Gleichpreisigkeit beim Endverbraucher bisher bewusst praktiziert worden. Das geltende System werde in Frage gestellt, da das bislang gehandhabte Gefüge im Arzneimittelwesen durch die hinter DocMorris stehenden Kräfte und Interessenten zielgerichtet unterlaufen wird.
Lockerer Umgang mit geltendem Recht
Auch Dr. Klaus Brauer, Essen, beklagte den lockeren Umgang mit deutschem Recht und die Zunahme klarer Verstöße gegen bestehende Vorschriften. Ein Hauptrisiko der Online-Bestellung liege in der unbekannten Herkunft und Zusammensetzung bestellter Präparate. Brauer warnte vor den möglicherweise fatalen Folgen eines EU- oder gar weltweiten Versandhandels von Arzneimitteln: Nicht auszuschließen sei, dass Medikamente aus Ländern wie Indien auf den deutschen Markt gelangen, in denen 30 bis 50 Prozent der Arzneimittel Fälschungen sind.
"Wir müssen aktiv Schutzmaßnahmen entsprechend den gegebenen Realitäten schaffen", bestätigte Professor Dr. Christian Koenig, Bonn. Die Verhinderung von technischen Entwicklungen durch Recht sei jedoch unmöglich. Neue Strukturen, so Koenig, ließen sich lediglich behindern, nicht jedoch verhindern. Koenig nannte die aktuelle Diskussion "mittelalterlich", da sie "auf der Ebene Verbot und Nichtverbot läuft". Die Debatte, so seine Empfehlung, solle nicht am deutschen Arzneimittelgesetz "aufgehängt" werden. "Die Musik wird in Brüssel und in Luxemburg gespielt. Deutschland muss eigene Reglungen schaffen, sonst wird es von Europa überholt."
Schorn warnt vor pauschaler Verurteilung
Die Dynamik im Arzneimittelbereich, der sich die Politik anpassen müsse, hob Ministerialrat Dr. Gert Schorn, Leiter des Referates Apotheken, Pharmaberufe, Arzneimittel-Verkehr im Bundesgesundheitsministerium, hervor. Zu seinen Aufgaben zählt die Schaffung von Regelungen zum elektronischen Handel. Versandhandel, so Schorn, sei faktische Realität. "Wir müssen dieser Realität ins Auge sehen." Vorrangige Aufgabe der Politik sei es, den Schutz des Bürgers vor den Risiken von Online-Bestellungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung in Deutschland zu gewährleisten. Ob die bewährten Strukturen des Arznei- und Apothekenwesens durch die von DocMorris praktizierte "Rosinenpickerei" gefährdet sei, müsse sich zeigen. "Wir sind noch nicht fertig mit der Aufbereitung der Materie".
Nach Ansicht von Schorn ist die Diskussion "Internet ja, Versandhandel Nein" mit zu großen Ängsten besetzt. Die Apotheker hätten nichts zu befürchten, da der Patient emotional an seine Apotheke gebunden sei. Gelänge es den Apothekern, die Patienten auch weiterhin von ihrer persönlichen Kompetenz zu überzeugen, dann könne ihnen der Versandhandel nicht zur Gefahr werden. Schorn warnte vor der pauschalen Verurteilung von E-Commerce, zumal sich der Handel über Internet nicht verbieten lasse. Schorn: "Es gibt kein Nein. Es gibt nur einen Weg nach vorn."
KommentarDer Profi
Beinahe ehrfürchtig erschien auf der Interpharm die Begrüßung des derzeit umtriebigsten Verfechters für die Einführung des Internet-Arzneimittelhandels in Deutschland. Jens Apermann, Marketing-Direktor bei DocMorris, ist einer der wenigen öffentlichen Protagonisten für den Handel via Internet. Der eloquente Sprecher der niederländischen Apotheke fantasiert allerorten von der großen Zukunft des Arzneimittelshandels im Web, von den angeblichen Vorzügen, und dass die Gesetze ohnehin umgangen würden.
Neben den Publikumsmedien springen gerade die Krankenkassen auf den jungen Mann an. Die markigen Sprüche sind trainiert, die Sprache direkt und ohne Umschweife. Gesetze hin oder her: Sollten die Deutschen ihre Versandhandelsgesetze nicht ändern, dann würde es eben die EU tun, meint Apermann und teilt kräftig aus.
Ulla Schmidt hat Recht, wenn sie sagt, man dürfe die Entwicklung nicht unterschätzen. Aber damit hat sie kaum ihre Sympathie für die Polemik kühl berechnender PR-Profis wie Apermann bekundet. Dessen Eingeständnis der Rosinenpickerei verträgt sich nicht mit den Zielen der Ministerin.
Thomas Bellartz
Chef vom Dienst
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