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Albtraum aus dem Ministerium

24.02.2003  00:00 Uhr
Gesetzentwurf

Albtraum aus dem Ministerium

von Thomas Bellartz, Berlin

Der Wind wird schärfer – mit jedem neuen Konzept, mit jeder neuen Idee. Das jüngste Papier, das der PZ vorliegt, ist ein streng vertraulicher „dritter Roh-Entwurf“. Der soll Basis sein für einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems“. Apotheker-Albträume könnten wahr werden.

Der Entwurf eines Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) ist zwar in vielen Bereichen äußerst konkret und umfasst satte 250 Seiten. Doch abgestimmt mit der Leitung des Gesundheitsministeriums, also Ministerin Ulla Schmidt (SPD), oder auch hausintern mit anderen Abteilungen ist der Entwurf noch nicht. Aus Apothekensicht ist der Entwurf ein einziges Kabinett der Grausamkeiten.

Ebenso deutlich wie die Vorschläge selbst, ist, dass auch dieser Entwurf nicht mehr als eines von zahllosen Papieren ist, die zurzeit auf das politische Parkett geworfen werden. Die Zahl der Diskutanten wächst stetig an. Denn sogar auf Seiten der politischen Entscheider gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Kontroversen innerhalb der SPD machen deutlich, wie schwierig der Konsens zu finden sein wird. Auch dieser Entwurf dürfte daher nicht von ungefähr den Zusatz „Roh“ bekommen haben. Die PZ wird sich nur mit den Punkten auseinandersetzen, die die Apotheken konkret betreffen.

Versandhandel

Der Entwurf sieht die Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln vor. Entsprechend wird eine Änderung des Arzneimittelgesetzes detailliert vorgeschlagen. Versandhandel soll demnach auch aus dem Ausland möglich sein. Die Krankenkassen dürfen mit Leistungs-erbringern aus dem Geltungsbereich des EG-Vertrags Verträge abschließen.

Die Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln soll dann möglich sein, wenn der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zum üblichen Apothekenbetrieb erfolgt und der Antragsteller ein Qualitätssicherungssystem hat. Das muss die ordnungsgemäße Verpackung, den Transport, Auslieferung und einiges mehr umfassen. Die Lieferung muss innerhalb von zwei Tagen erfolgen, der Versender muss eine kostenfreie Zweitzustellung garantieren, die Sendungsverfolgung ebenso gewährleisten wie eine Transportversicherung.

Mehrbesitz

Wie bereits vorab durchgesickert, soll der Mehrbesitz zugelassen werden. Demnach dürfte ein Apotheker bis zu fünf Apotheken besitzen. Bemerkenswerte Einschränkung: In einer Gemeinde dürften nicht mehr als ein Drittel aller Apotheken in der Hand des selben Pharmazeuten sein. Der Betreiber müsse eine der Apotheken persönlich führen und für die anderen „schriftlich“ einen verantwortlichen Apotheker benennen.

Damit nicht genug: Krankenhäusern soll die ambulante Versorgung von Patienten mit Arzneimitteln ermöglicht werden. Und Häuser ohne eigene Apotheke sollen sich – unabhängig von Apotheken – direkt mit Arzneimitteln versorgen dürfen. Allein diese Punkte unterstreichen die bisherige Planung des Ministeriums und die öffentlichen Aussagen von Schmidt. Das ist der von der ABDA immer wieder beschriebene „Frontalangriff auf die Apotheke“.

Auch wenn der Entwurf den Fremdbesitz ausnimmt, käme dieser von ganz alleine. Denn eine Einführung des Versandhandels und zudem eine Zulassung des Mehrbesitzes bei gleichzeitigem Ausschluss des Fremdbesitzes hält nach Meinung einiger Juristen nach bisheriger Auffassung wohl nicht stand.

Arzneimittelpreise

Bei der Arzneimittelpreisverordnung sollen die Großhandelszuschläge deutlich gesenkt werden. Zukünftig sollen sie maximal 15 Prozent betragen und bei 72 Euro gekappt werden. Auf die Apothekenzuschläge käme eine weitere Kappung zu. Die 30-Prozent-Zone würde bei einem Apothekeneinkaufspreis von 372,54 Euro enden und dann mit 7,1 Prozent plus 85 Euro fortgesetzt werden. Zudem sieht der Entwurf eine Preisfreigabe für nicht verordnete Arzneimittel vor.

Vor diesem Hintergrund mutet die Aufhebung des mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz eingeführten Großhandels-GKV-Abschlags wie ein schlechter Witz an – das Ausmaß der Verschlechterung ändert sich nicht.

Zukünftig sollen Versicherte innerhalb der EU Leistungen in Anspruch nehmen können. Leistungserbringer müssen die EU-Richtlinien hierfür erfüllen. Bei bestimmten Leistungen ist die Zustimmung der Krankenkassen bindend, allerdings ausdrücklich nicht bei Arzneimittelverordnungen.

Hilfsmittel

Zu einem verschärften Wettbewerb wird es bei den Hilfsmitteln kommen. Im Entwurf ist vorgesehen, dass Krankenkassen mit Hilfsmittelversorgern Verträge abschließen können. Entscheidet sich ein Versicherter für einen anderen Anbieter, trägt die Kasse nur die Höhe des niedrigsten Vertragspreises. Landesbezogene Festbeträge für Hilfsmittel würden entfallen, da eine Festsetzung durch die Spitzenverbände erfolgen soll, die zudem mindestens einmal jährlich überprüft wird.

Für patentgeschützte Arzneimittel sollen zukünftig Festbeträge möglich sein. Damit werden die patentgeschützten Analogpräparate ins Visier genommen. Therapeutische Innovationen sollen ausgenommen werden.

Vierte Hürde

Die vierte Hürde soll Realität werden: In drei Stufen werden künftig Arzneimittel qualifiziert. In die Stufe A gelangen Arzneimittel mit verbesserter Wirkung, die ein neues Wirkprinzip aufweisen. Der Stufe B werden Arzneimittel mit verbesserter Wirkung zugeordnet, die aber dem Wirkprinzip eines bereits zugelassenen Mittels entsprechen. Und in Stufe C kommen diejenigen Arzneimittel, deren Wirkstoff einem neuen Wirkprinzip unterliegt oder dem Wirkprinzip eines bereits zugelassenen Arzneimittels entspricht, aber insgesamt ohne verbesserte Wirkung ist.

Das „Deutsche Zentrum für Qualitätssicherung in der Medizin“ wird in Empfehlungen an die Bundesausschüsse den Nutzen und die finanziellen Auswirkungen bei Markteinführung bewerten. Sollten keine Zusatzrabattvereinbarungen zwischen Herstellern und Krankenkassen getroffen sein, müssen Versicherte für Arzneimittel der Stufen A und B zuzahlen. Und zwar 2 Euro bei einem Apothekenverkaufspreis (AVP) bis 50 Euro, 5 Euro bei einem AVP zwischen 50 und 250 Euro und 10 Euro bei einem AVP über 250 Euro.

Diese Regelung wäre nicht nur für Patienten finanziell belastend, sondern für Apotheken mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen sollen detailliertere Arzneimittelinformationen an die Vertragsärzte weitergeben, insbesondere mit Angaben von Kosten je Tagesdosis.

Das Qualitätszentrum soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts sein. Selbstverwaltungsorgane, zum Beispiel die der Apothekerschaft, sind in einem Kuratorium vertreten. Die Ausgaben des Instituts werden von Bundeszuschüssen gedeckt.

Zuzahlungen

Zuzahlungen zu Arznei- und Verbandmitteln für chronisch Kranke werden aus der Überforderungsklausel herausgenommen. Auch die vollständige Befreiungsmöglichkeit von Zuzahlungen soll aus der Härtefallregelung gestrichen werden.

Zwar werden Versicherte, die am Hausarztmodell oder einem Behandlungsprogramm teilnehmen, nur noch mit einer vergleichsweise geringen Zuzahlung von 1 oder 2 Euro je Verordnungsblatt belastet. Das bedeutet aber auch, dass wegen des Fortfalls der Härtefallregelung chronisch Kranke bei den Zuzahlungen wieder mit aufgenommen werden.

Krankenhaus versorgt ambulant

Bei einer Unterversorgung bei der vertragsärztlichen ambulanten Behandlung werden Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung offiziell ermächtigt. Der Rohentwurf bemüht sich im Paragraf 129 des SGB V um eine weitgehende Öffnung für allerlei Spielarten wie Versandhandel, Disease-Management-Programme, Erprobungsregelungen hausärztliche Versorgung et cetera. Und fast wie erwartet: Krankenhausapotheken sollen für die ambulante Arzneimittelversorgung geöffnet werden.

Zwangsrabatt

Der mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz eingeführte Zwangsrabatt zwischen 6 und 10 Prozent wird wieder abgeschafft und auf 5 Prozent zurückgeführt. Allerdings ermöglichen die neuen Verhandlungsoptionen den Kassen, den Rabatt beliebig auszudehnen – ausgehend nicht von 0, sondern eben bereits von 5 Prozent. Aus dem Rabatt wird auf diesem Weg ein Mindestrabatt.

Damit nicht genug, sollen preisgünstige Fertigarzneimittel via Ausschreibung aus der Positivliste herausgefischt werden. Mit einer „Motivationsgebühr“ sollen Ärzte angespornt werden, diese Mittel zu verschreiben – und sich dabei jenseits des Honorars ein Extra zuverdienen.

Identisch mit der Forderung der ABDA ist die Einführung der neuen Krankenversichertenkarte. Bis spätestens 1. Januar 2006 soll die Karte Realität sein. Verbände, darunter der Deutsche Apothekerverband (DAV), sollen die Details ausarbeiten. Die Genehmigung erteilt das Gesundheitsministerium. Top

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