Politik

Das sakrosankte Gesetz "ein Apotheker in einer Apotheke" wird immer
weiter unterminiert. Mit diesen Worten beschrieb Peter Kielgast,
Vorsitzender des Ausschusses für praktische Pharmazie in der FIP, die
Situation der Apotheken in Europa. Für Dieter Steinbach, Präsident der
Fédération Internationale Pharmaceutique (FIP) ist diese Entwicklung
schwer nachvollziehbar, weil in den USA die Mängel gerade eines so
veränderten System immer offenkundiger werden. Die
Gesundheitsausgaben betragen in den Vereinigten Staaten rund 16 Prozent
vom Bruttoinlandsprodukt, während sie in Deutschland bei acht Prozent
liegen. Über 140 Teilnehmer aus allen europäischen Mitgliedsstaaten waren
sich in Amsterdam auf dem 2. FIP-Kongreß Managing Care darin einig, daß
das Instrument "Managed Care" aus Europa nicht mehr wegzudenken sei.
Peter Kielgast, Dänemark, hofft, daß die Entwicklung auf dem Apothekenmarkt in
Europa nicht so dramatisch verlaufen wird wie seinerzeit in den USA. Dort wurden
die Ketten immer größer und damit die Grenzen für den einzelnen Apotheker immer
enger.
Die Apotheker wollen bei den Veränderungen der Gesundheitssysteme eine aktive
Rolle spielen. Die Chancen stehen gut, weil in Studien nachgewiesen worden sei,
daß der Apotheker die ideale Figur in dem System ist, um Kosten zu sparen.
Kielgast warnt jedoch vor zuviel Idealismus. Obwohl die negativen Auswirkungen
von Managed Care in den USA sichtbar geworden seien, werde diese Form des
Kostenmanagements erst einmal in Europa verbleiben. Richtig angewendet sei
Managed Care ein geeignetes Instrument für eine kostenbewußte Therapie und
Patientenversorgung. Deshalb müsse Pharmaceutical Care unbedingt in Curriculum
und Ausbildungspläne der Pharmazeuten aufgenommen werden. Die einzige Quelle
des Verdienstes sei heute die Arzneimitteldistribution. Auf Dauer müßten die
Apotheker aber mehr Verantwortung im Therapiegeschehen bekommen und
übernehmen. So zum Beispiel bei Diabetikern, Asthmatikern, Patienten mit
Hauterkrankungen.
Nur spezialisierte Apotheker werden künftig gefragt sein
Managed Care ist für die Apotheker und ihre heutige Berufspraxis sowohl eine
Herausforderung als auch eine Bedrohung, erklärte Albert Wertheimer, Direktor bei
Merck in West Point, USA. Auf die öffentliche Apotheke sieht er zahlreiche
Möglichkeiten, aber auch Gefahren zukommen. Für ihn ist Managed Care nicht etwa
"ein Disease Management unter Einbeziehung des Apothekers", sondern in
größerem Zusammenhang gesehen "Systemmanagement mit weniger Apothekern".
Es sei denkbar, daß das Gesundheitssystem mit dem Ziel der Kostenreduktion per
Computer verwaltet werde. Die Einsparungen würden dann nicht nur die
OTC-Nachfrage steigern, sondern auch einige Apotheker entbehrlich machen. Kein
Paradox: Gleichzeitig seien spezialisierte Apotheker aber auch wieder besonders
gefragt, weil bei der streng ergebnisorientierten Betrachtung des Therapiegeschehens
Pharmazeuten einen entscheidenden Beitrag zum Kostenbewußtsein leisten können.
Schätzungen zufolge werde es in den USA im Jahr 2005 gut 20 Prozent weniger
Apotheken geben als heute. 40 Apotheken für die Versorgung von 100.000
Einwohnern sei eine vernünftige Größe. Wertheimer rät: "Wir müssen nicht nur
bessere Apotheker werden, sondern auch bessere Kaufleute".
Apotheker müssen viele Funktionen ausüben
Ein Apotheker muß viele Funktionen in sich vereinen, bestätigte Lowell Sterler,
Vizepräsident der Firma Clinical and Services für PCS Health Systems, Scottsdale,
USA. Er forderte die Berufsangehörigen in Europa dazu auf, auch selbst den Willen
zur Neuorientierung und somit zur Betreuung der Patienten zu zeigen. Es genüge
nicht mehr, sich ausschließlich mit den Produkten zu beschäftigen. Vielmehr müßten
sie ihre Stärken - sie sind ubiquitär, gut strukturiert und organisiert - ausbauen.
Allerdings seien Apotheker nicht sehr kreativ und im Marketing meist unerfahren.
Dennoch: Der Apotheker müsse seine Stärke als "Arzneimittelfachmann mit
wissenschaftlichem Hintergrund" herausstellen, um dann im Interesse des Patienten
und zu seinem Wohl in einem Team mitzuarbeiten. Wie das abläuft? Sterler:
"Quantifizieren und dokumentieren Sie die Verbesserungen und machen Sie klar,
daß der Patient nicht für 100 Tabletten bei Ihnen bezahlt, sondern für eine gute
Beratung. Und nutzen Sie bei all dem die neueste Technologie. Das ist der
Paradigmenwechsel, den Sie brauchen".
Alle nationalen Organisationen müssen mitziehen
In Europa sind erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung von Pharmaceutical Care
zu verzeichnen. Dies liegt nach den Erfahrungen von Professor Dick Tromp,
Niederlande, auch an dem gänzlich unterschiedlichen Verständnis von
pharmazeutischer Betreuung. Im europäischen Raum scheint aber Übereinstimmung
zu bestehen, welche Ziele Pharmaceutical Care hat. Über das EuroPharm Forum
werde zum Beispiel ein Asthma-Projekt vorangetrieben, an dem 9 Länder
teilnehmen. Tromp, Manager dieses Projekts, erklärte, daß in einem halben Jahr die
Hälfte aller Asthma-Patienten angesprochen werden sollen, um Daten auf Patienten-,
Apotheken- und nationaler Ebene zu erheben und sie auf Europaebene zu vernetzen.
Wichtig ist nach Tromp, daß alle nationalen Organisationen mitziehen, damit nicht
nur totes Papier erzeugt wird. Mut sollte die Erfahrung machen, daß im Laufe der
Betreuung die Dauer der Patientenkontake immer geringer werden. Die ersten
Gespräche dauerten im Durchschnitt etwa 30 Minuten. Die folgenden Gespräche
können dann kürzer sein, weil man auf den vorangegangenen Gesprächen aufbauen
kann. "Versuchen Sie dabei, für den Patienten ständig erreichbar zu sein. Das senkt
die Schwellenangst", so Tromp. Das Ergebnis solcher Betreuung sei: die
Lebensqualität steigt, die Kosten sinken, die Zahl der Medikamente und die
Krankentage seien rückläufig und das Wissen der Patienten über ihre Krankheit
steigt und führt zu verantwortlichem Verhalten.
Das Asthma-Programm sei ein gutes Beispiel für gute Zusammenarbeit in Europa.
Bisher herrsche offenbar immer noch die Meinung vor, die Apotheker sollten die
Bevölkerung vor Arzneimittelmißbrauch schützen. Wichtiger ist es nach Tromp aber
dafür zu sorgen, daß die richtigen Medikamente richtig eingenommen werden.
Managed Care - eine große europäische Bewegung
Managed Care wird uns nicht mehr verlassen. Das war die einhellige Meinung der
sieben Podiumsteilnehmer in der Abschlußdiskussion. Allerdings zeichnen sich
Unterschiede in den einzelnen Ländern ab. ABDA-Präsident Hans-Günter Friese
forderte dazu auf, nicht nur vom Fortschritt der Medizin zu sprechen, sondern einen
Fortschritt der Pharmazie herbeizuführen. Er ist davon überzeugt, daß der
Berufsstand ohne zusätzliche Qualifikationen keine Zukunft hat. Die Gesellschaft
habe Erwartungen an die Apotheker, die da heißen Beratung und Dienstleistungen.
Das bringe dem Patienten zusätzlichen Nutzen im Sinne verbesserter Lebensqualität.
Nur der qualifizierte Apotheker könne diese Leistungen erbringen und nicht
irgendein Postbote oder ein Computer. Der Patient und sein Wohl hätten immer die
erste Priorität. Als zweites käme dann das Kostenbewußtsein ins Spiel. Friese:
"Alles, was wir tun, muß den Patienten, Ärzten, Politikern und Medien zeigen: Nur
durch den Apotheker wird das Arzneimittel zum Heilmittel".
In der Vision des Schweizers Pierre André Jud wird sich der Apotheker zu einem
Kommunikationsberuf entwickeln. Managed Care sei ein gutes Instrumentarium für
eine Neuordnung des Apothekenwesens, wobei sich die existierende Zahl der
Apotheken - egal ob in der Schweiz oder in Deutschland - auf längere Sicht
verringern werde. Jud regte an, ein europäisches Managed Care Zentrum zu
gründen. Dieser Vorschlag wurde in Amsterdam zunächst nicht weiter verfolgt.
FIP-Präsident Dieter Steinbach zeigte sich mit dem Kongreß zufrieden. Der erste
Managed Care Kongreß der FIP, der im November 1995 in München
stattgefunden hatte, hat einen weitläufigen europäischen Prozeß der
Bewußtseinsbildung eingeleitet. Damals sei das Thema in Europa angestoßen
worden, heute sei es nicht mehr wegzudenken. Die Unterschiede in den einzelnen
europäischen Staaten würden erkannt. Die Apothekerorganisationen müßten nun
diese zukunftsträchtige Idee noch nachdrücklicher in ihren Heimatländern bekannt
machen, damit Managed und Pharmaceutical Care, "die Lösung für die Probleme
der Zukunft", auch an der Basis umgesetzt werden. Leider sei die Basis aber noch
weit davon entfernt. Steinbach nachdrücklich: "Pharmaceutical Care ist ohne Zweifel
der Weg in die Zukunft".
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Amsterdam


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