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Vorhandene Gentests offen legen

29.01.2001  00:00 Uhr
VERSICHERUNGEN

Vorhandene Gentests offen legen

von Stephanie Czajka, Berlin 

Muss künftig vor Abschluss einer Versicherung ein Gentest vorgelegt werden? Die Antwort auf diese Frage hängt von folgenden Faktoren ab: Ist von Lebensversicherungen, von privaten oder von gesetzlichen Krankenversicherungen die Rede? Kann ohne Test kein Vertrag abgeschlossen werden oder geht es darum, dass der Antragsteller der Versicherung bereits vorliegende Testergebnisse mitteilen muss? Auch können nicht alle Tests über einen Kamm geschoren werden, denn deren Aussagekraft schwankt stark.

In Deutschland existiert seit den achtziger Jahren ein Moratorium der Mitglieder des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV). Darin sind Lebens- und private Krankenversicherer übereingekommen, Gentests nicht zur Voraussetzung eines Versicherungsvertrages zu machen. Niemand wird zu einem Gentest genötigt, den er ohne den Versicherungsantrag nicht veranlasst hätte. Dieses "Recht auf Nichtwissen" wird den Verbrauchern auch in den meisten anderen Ländern zugestanden.

Keine Risikoprüfung bei GKV

Die Versicherungsunternehmen verlangen im Gegenzug aber eine "Gleichheit der Waffen". Sind dem Antragsteller Testergebnisse bekannt, muss er sie mitteilen. Andernfalls befürchten die Versicherungen, dass Verträge gerade dann abgeschlossen werden, wenn der Betroffene von einem hohen Risiko erfährt. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es keine Risikoprüfung. Bezüglich der Krankenversicherung ist die Diskussion damit für 90 Prozent aller Versicherten nicht relevant.

In Großbritannien oder Schweden gibt es ähnliche Moratorien oder Vereinbarungen zwischen Regierung und Versicherungswirtschaft. In einigen Ländern sind Fragen nach Gentests bei Lebensversicherungen erst ab einer bestimmten Versicherungssumme erlaubt. Die genauen Regularien in England, hier zu Lande oft widersprüchlich dargestellt, finden sich auf der Homepage des britischen Versichertenverbandes ABI unter life and pensions/genetic tests and insurance. In Ländern wie Frankreich oder Österreich ist es den Versicherungsgesellschaften verboten, nach genetischen Tests zu fragen.

Wurde getestet und fiel das Ergebnis positiv aus, heißt das nicht zwangsläufig, dass der Betroffene von der Versicherung abgelehnt wird. Die Aussagekraft der Tests ist extrem unterschiedlich. Nur Chorea Huntington (erblicher Veitstanz) tritt bei positivem Testergebnis in späteren Jahren so gut wie sicher auf, erklärt Professor Dr. Jörg Schmidtke, Humangenetiker an der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei erblichem Brustkrebs liegt die Wahrscheinlichkeit zu erkranken bei etwa 60 Prozent, bei chronischer Pankreatitis nur noch bei 1 bis 2 Prozent. Für familiär gehäuft auftretenden Morbus Alzheimer sind verschiedene Gene verantwortlich, die Eintrittswahrscheinlichkeit ist von Gen zu Gen verschieden. Im Durchschnitt liege sie bei 80 Prozent, sagte Schmidtke.

Tests oft nicht aussagekräftig

Weltweit gibt es über 1000 Tests auf meist seltene Erbkrankheiten. Auf 300 können, einer Auskunft der Bundesärztekammer zufolge, Labors routinemäßig testen. In England prüft seit kurzem ein staatliches Komitee (Genetics and Insurance Committee, GAIC), ob die Tests aussagekräftig genug sind, um von Versicherungen zur Risikoprüfung verwendet zu werden. Der Test auf Chorea Huntington wurde im vergangenen Herbst freigegeben. Wird ein Test vom GAIC negativ beurteilt, werden eingegangene Versicherungsanträge erneut geprüft.

Da der Patient entscheiden muss, ob ihm ein Testergebnis hilft oder ihn nur belastet, ist die richtige Beratung enorm wichtig. Chorea Huntington ist wie viele andere Erbkrankheiten nicht behandelbar. Vorbeugen oder heilen lassen sich aber Erkrankungen wie Hämochromatose oder erbliche Krebserkrankungen an einem Organ wie der Schilddrüse. In Deutschland regelt die ärztliche Berufsordnung, welcher Arzt diese Tests anbieten darf und wie die Beratung auszusehen hat. Gibt es eine Indikation (erkrankte Verwandte), bezahlt die Kasse den Test.

Viele, die sich zunächst für einen Test entschieden haben, verzichten nach der Beratung darauf. Manche wollen sogar das Ergebnis nicht wissen, obgleich sie schon getestet wurden. Bei erblichem Brustkrebs interessiert sich gut die Hälfte der Ratsuchenden für das Testergebnis. Bei Chorea Huntington entscheiden sich nur fünf bis zehn Prozent für den Test, sagt Schmidtke. Um Betroffenen nicht Ergebnisse aufzudrängen, die sie nur belasten würden, können Versicherungen die Tests nicht von den Antragstellern verlangen. "Das Recht auf Nichtwissen ist allgemeiner Konsens", sagte Schmidtke.

Verfahren sind noch zu teuer

Dabei haben die Versicherungen nicht allein ethische Gründe, die Tests nicht zu fordern. "Es rechnet sich nicht", sagt Dr. Achim Regenauer, Abteilungsleiter Leben bei der Münchener Rückversicherungsgesellschaft. Versicherungen müssen angeforderte Tests bezahlen. Schon Blutfettwerte würden nur bei sehr hohen Versicherungssummen verlangt. Gentests kosteten noch für viele Jahre mindestens das Hundertfache.

Aus medizinischer Sicht problematisch ist, dass Betroffene Tests ablehnen könnten, weil sie fürchten, sich später nicht versichern zu können. Der Deutsche Ärztetag hatte daher im Mai 2000 den Gesetzgeber aufgefordert, Versicherungen die Frage nach Gentests zu verbieten. "Eine anders geartete Regelung hätte zwangsläufig zur Folge, dass aus Angst vor versicherungsrechtlichen Nachteilen eine wichtige Diagnostik unterbliebe, ebenso würde das Arzt-Patientenverhältnis in unerträglicher Weise belastet", heißt es in dem Beschluss des Ärztetages.

Gesetze in der Diskussion

Ähnlich äußern sich auch Vertreter von SPD und Grünen. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn forderte, im Versichertenvertragsgesetz müsse unmissverständlich stehen, dass nur bekannte Krankheiten zu offenbaren seien, nicht aber Daten über Krankheitsrisiken. Der Bundesrat hatte im November die Regierung in einer Entschließung aufgefordert, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, wonach Versicherungen die Frage nach Gentests verboten wird. Vorlagen für Kabinettsbeschlüsse gibt es bislang nicht, die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.

Theoretisch sind verschiedene Varianten zwischen "alles erlauben" und "alles verbieten" möglich. Diskutiert wird beispielsweise, bei Lebensversicherungen erst ab hohen Versicherungssummen Fragen nach Gentests zuzulassen. Denkbar wäre auch, die Fragen auf bestimmte Tests zu begrenzen. Gentests werden selten durchgeführt, es gibt sie fast nur für seltene Erbkrankheiten und die Bedeutung positiver Testergebnisse werde überschätzt, schreibt Regenauer in einer Broschüre der Münchener Rückversicherung. Der Wettbewerb im Versicherungsgeschäft sei so hart, dass keine Versicherung potenzielle Kunden verlieren wolle. In der gleichen Broschüre weist er allerdings auch darauf hin, dass Gentests langfristig "ein unverzichtbarer Bestandteil der Standardmethoden in der klinischen Medizin" sein könnten. Top

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