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Metzger

Die Apotheker stellen sich der Zukunft

22.01.2001  00:00 Uhr
PZ-INTERVIEW

Metzger: Die Apotheker stellen sich der Zukunft

von Hartmut Morck, Davos

Der neue Präsident der Bundesapothekerkammer, Johannes Metzger, hatte in seiner Eröffnungsrede der diesjährigen Davoser Fortbildungswoche (siehe PZ 3/01, Seite 18) insbesondere die Integrierte Versorgung nach § 140 SGB V kritisiert und als systemverändernd bezeichnet. Die PZ fragte nach.

PZ: Herr Metzger, Sie haben sich in Ihrer Eröffnungsrede und auf der Pressekonferenz deutlich gegen die Integrierte Versorgung ausgesprochen, sie als einen Paradigmenwechsel bezeichnet, indem das Interesse des Kapitals über das der Versorgungsqualität gestellt würde. Es liegt ein Rahmenvertrag zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen vor. Dieser wurde allerdings bisher vom Ministerium noch nicht genehmigt. Sollte ein Integriertes Versorgungssystem etabliert werden? Und was können die Apotheker dagegen tun?

Metzger: Zunächst lassen Sie mich noch einmal sagen, dass die Apotheker nicht generell gegen die Integrierte Versorgung sind, wenn sie dazu dient, die Schnittstellenproblematik zwischen den bisherigen Systemen zu verbessern und damit eine Versorgungsqualität anstrebt, die zum einen die Ressourcen schont und zum anderen dem Patienten zugute kommt. Die Kassen verfolgen allerdings ein anderes Ziel. Sie wollen das System nachhaltig ändern. Darin liegt der Paradigmenwechsel. Das Entscheidende soll der Kapitalertrag für die Kapitalgeber und nicht die Qualitätssteigerung sein. Dabei erhoffen sich die Kassen eine Kostensenkung, die allerdings durch Nichts erwiesen ist. Das erinnert sehr an die amerikanischen HMOs, die unter anderem durch Kapital der Pharmakonzerne betrieben werden und allein bis zu 25 Prozent Verwaltungskosten verbrauchen, die dem Versorgungssystem entzogen werden.

Nun zur Frage, was machen wir, wenn ein solches System etabliert wird. Wir haben die Situation, dass die rechtlichen Voraussetzungen seit einem Jahr geschaffen sind. Trotz unserer substanziellen Einwände konnte die Integrierte Versorgung im Vorfeld leider nicht verhindert werden. Sollte der Rahmenvertrag unterzeichnet werden und die Kassen verwirklichen ihre Absicht, in diesem Jahr einige Integrierte Versorgungssysteme zu etablieren, dann wird es notwendig sein, sie rechtlich zu überprüfen. Das SGB V schreibt eigentlich vor, dass jeder Versicherte Anspruch auf die gleiche Behandlung hat und zwar nach dem augenblicklichen wissenschaftlichen Stand. § 140 sieht dagegen expressis verbis vor, dass Integrierte Versorgungssysteme eine bessere Versorgung anbieten. Wir bekommen dann ein System, in dem wenigen Patienten eine höhere Qualität womöglich mit einem Bonus, also für weniger Solidarbeitrag, angeboten wird als den normalen Versicherten. Das ist meine grundsätzliche Kritik, denn in einem Solidarsystem muss jedem die gleiche Leistung angeboten werden.

PZ: Die Integrierte Versorgung wurde im Vorfeld des Gesetzes den Verbänden und den Politikern als ein System verkauft, das mehr Transparenz und mehr Effektivität bringen soll. Teilen Sie meine Ansicht, dass dies nicht auch durch konsequente Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten im System oder durch die Etablierung der Telematik erreicht werden kann?

Metzger: Ich gebe Ihnen in diesem Punkt uneingeschränkt Recht. Es ist doch gar nicht so, dass das Gesundheitswesen nicht fortentwickelt werden kann. Wir haben ein völlig neues Instrumentarium entwickelt, mit dem Daten zusammengeführt werden könnten, ohne den Datenschutz zu verletzen. Das wird nicht genutzt. Die Apotheker beziehungsweise der Deutsche Apothekerverband hat ein Angebot erarbeitet, wie die Apotheker in ihrem Verantwortungsbereich der Arzneimittelversorgung gemeinsam mit der Ärzteschaft eine deutlich bessere Versorgungsqualität organisieren können. Dies wurde von den Kassen abgelehnt, weil es deren Ziel einer raschen Kostensenkung nicht erfüllt.

Andererseits haben alle bisherigen Modellversuche gezeigt, dass, wenn Qualitätsverbesserung erreicht werden konnte, mehr Kosten entstanden. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir in ausreichenden Modellversuchen zuerst einmal erproben müssten, ob wir nicht durch gezielteren Mitteleinsatz zu einer nachhaltigen Verbesserung der Versorgungsqualität kommen und damit die Defizite, wie Doppel- oder nicht zielführende Untersuchungen, ausräumen können. Eine Kostenersparnis ist, so glaube ich, eine Chimäre, der die Kassen wider besserem Wissen nachlaufen.

PZ: Der Versandhandel war ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Rede. Er wird von den Kassen aus vermeintlich ökonomischen und nicht aus Qualitätsgründen gefordert. Haben Sie nach dem Wechsel in der Spitze des Gesundheitsministeriums - immerhin hat sich die Farbe von Grün nach Rot geändert - die Hoffnung auf Versachlichung in der Frage des Versandhandels?

Metzger: Nur diese Hoffnung gibt uns immer wieder die Kraft, in unserem Bemühen nicht nachzulassen, unser Gesundheitssystem mit unabhängigen Apotheken zu erhalten. Natürlich führt die unterschiedliche Herkunft der Ministerin auch zu anderen Ansichten. Die Sozialdemokratie stand bisher in vielen Bereichen durchaus für Ordnungspolitik und das berechtigt durchaus zu der Hoffnung, dass die neue Spitze des Ministeriums differenzierter auf die Fragen der Arzneimittelversorgung eingehen wird. Ob sie unter dem Einfluss der Kassen, die die Systemveränderung wollen, ihre Ansichten durchsetzen kann, müssen wir abwarten. Ich bin der Meinung, dass die Politik wieder klarer eigene Positionen einnehmen muss. Und dazu sollten die Apotheker der neuen Ministerin Ulla Schmidt Mut machen.

PZ: In diesem Zusammenhang drängt sich natürlich auch die Frage auf, welche Rolle das neue Verbraucherschutzministerium spielen soll. Das wird sich zwangsläufig auch mit den Fragen aus dem Gesundheitsbereich beschäftigen. Sehen Sie darin eine Chance für die Unterstützung der Argumente der Apotheker gegen den Versandhandel?

Metzger: Sie heben zurecht auf diese neue Situation ab und ich möchte das auch noch einmal betonen: Ich sehe darin durchaus eine Chance, denn hier ist ein Ministerium verantwortlich für den Bereich des Gesundheitsschutzes, das nicht gleichzeitig auch die Interessen der Krankenkassen zu vertreten hat. Das neu gestaltete Ministerium kann also unbefangener die Dinge betrachten. Daraus leite ich durchaus die Hoffnung ab, dass wir in einen neuen Dialog eintreten können, um die Fragen der Arzneimittelsicherheit im Zusammenhang mit Versandhandel zu diskutieren. Denn wer den Versandhandel will, gibt einen wesentlichen Teil der Arzneimittelsicherheit auf.

PZ: Sie haben in Bayern und Sachsen eine Untersuchung zur Versorgungsqualität durchgeführt mit der Frage: Bekommt der Patient das, was er benötigt? Ich zitiere Ihre Zahl für die Osteoporosepatienten: Nur 16 Prozent werden ausreichend versorgt. Eine Zahl die nachdenklich macht und Fragen provoziert: Wie kann das geändert werden? Wie lassen sich die Innovationen, der medizinische Fortschritt in diesem System finanzieren? Ist die Gesellschaft bereit, mehr Geld ins System zu geben? Muss über ein neues Preisbildungssystem nachgedacht werden?

Metzger: Lassen Sie mich einen Schritt vorher beginnen. Der staatliche Eingriff hat dazu geführt, dass alle Arzneimittel, die aus dem Patentschutz entlassen werden, scharfen Wettbewerb durch Nachahmerprodukte ausgesetzt und mit Festbeträgen überzogen werden. Das führte zu einem Preisverfall auf breiter Front. Mit diesen Produkten konnten fortan keine Deckungsbeiträge für Forschung und Entwicklung erzielt werden, so dass Innovationen in den wenigen Jahren einer möglichen Refinanzierung zu exorbitant hohen Preisen angeboten werden müssen. Damit kommen wir in die Situation, dass innovative Arzneimittel in Zeiten von Budgets de facto nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Dem mit Zuzahlungen zu begegnen führt dazu, dass es zur Entsolidarisierung des Patienten kommt, der eine Krankheit hat, die nur mit teuren Arzneimitteln behandelt werden kann. Denn die preiswerten Arzneimitteln liefern weniger Mittel, um die hochpreisigen mit zu subventionieren. Die Gesellschaft muss sich überlegen, ob das so klug war, oder ob es nicht zu einem preislichen Ausgleich kommen sollte.

Mit der Industrie müssen Gespräche geführt werden, um sie in diese Überlegungen einzubinden. Übrigens ist interessant, dass die meisten zivilisierten Staaten das Arzneimittel nicht dem freien Wettbewerb überlassen, weil der Kranke eben kein freier Nachfrager ist. Das wird in Deutschland oft verdrängt, weil man glaubt, der Wettbewerb würde alles alleine richten. Dies kann er im Arzneimittelbereich niemals.

PZ: Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, dass die Politik weiterhin das Diktat der Beitragssatzstabilität mit der Begründung hoch hält, die Lohnnebenkosten niedrig halten zu müssen?

Metzger: Ich halte es für eine verantwortungslose Gesundheitspolitik, das Diktat der Beitragssatzstabilität über alles zu stellen. Schon heute haben wir, wie wir am Beispiel Osteoporose nachweisen konnten, eine verdeckte Mangelversorgung . Nach meiner festen Überzeugung brauchen wir eine neue Betrachtungsweise. Man muss beurteilen, ob der einzelne überfordert ist. Er ist es per se nicht, wenn wir betrachten, wieviel er für Alkohol, Tabak oder Glücksspiel ausgibt. In diesen drei Bereichen zusammen wird weit mehr Geld ausgegeben als für die ambulante Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht sagen, die Bevölkerung ist überfordert, wenn 1 Prozent mehr aufgewendet werden soll für die gesundheitliche Fürsorge. Wer das sagt, ist unaufrichtig.

Das kann auch nicht mit der blanken Forderung, mehr Geld ins System zu stecken, verwechselt werden. Wir sagen: Das System benötigt dann mehr Geld, wenn es die Qualität erfordert. Dazu müssen Verfahren eingeführt werden, die diese Qualität begleiten und sichern. Das ist übrigens eine originäre Aufgabe der Heilberufskammern.

PZ: Der wissenschaftliche Fortschritt und die bessere Versorgung bedingt die Frage, ob die Apotheker ausreichend auf die Zukunft vorbereitet sind. Ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung genügend? Oder müssen wir nach neuen Methoden, zum Beispiel einer virtuellen Fortbildung, Ausschau halten und wollen sich die Apotheker den Herausforderungen der Zukunft stellen?

Metzger: Dass sich die Apothekerinnen und Apotheker herausfordern lassen, das sehen Sie am besten an der Zahl der Fortbildungswilligen in Davos, die trotz Sonne und landschaftlicher Reize diszipliniert zu den Vorträgen gehen, was die Referenten aus den medizinischen Fächern immer wieder mit Anerkennung, aber auch mit Erstaunen feststellen. Als Apotheker müssen wir uns, was Fortbildung anbelangt, nicht verstecken, sondern können auf unseren Fortbildungswillen stolz sein.

Wir müssen uns allerdings der Tatsache stellen, dass das lebenslange Lernen modernisiert werden muss. Wir müssen auf dem naturwissenschaftlichen Fundament aufbauen und dürfen es nicht vermischen mit dem Wunsch, ein Halbarzt sein zu wollen. Das wäre falsch. Aber ausgehend von dem Spezialisten für Arzneimittel müssen wir lernen, die Fragen des Patienten und des Arztes besser zu beantworten. Darin liegt die Basis der klinischen Pharmazie. Wir gehen noch immer zu sehr vom Arzneimittel und nicht vom Problem des Patienten aus. Wir müssen deshalb fragen, ob das Arzneimittel, und wenn ja wie, das Problem des Patienten lösen kann. Das ist im Prinzip derselbe Inhalt, nur nähern wir uns der Problemlösung von einer anderen Seite.

Ich glaube, mit dieser neuen Richtung können wir sehr dynamisch auf die weiteren Entwicklungen reagieren. Dazu sollten wir auch das Instrument der interaktiven Fortbildung über elektronische Medien neben den traditionellen Fortbildungswochen, die der Begegnung und dem Austausch dienen sollen, einsetzen. Die Bundesapothekerkammer hat den Auftrag, dies zu tun. Und sie wird es umsetzen. Top

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