Pharmazeutische Zeitung online

Zwei Drittel der Patienten sind informiert

12.01.2004  00:00 Uhr
Zuzahlung

Zwei Drittel der Patienten sind informiert

von Patrick Hollstein, Berlin und Daniel Rücker, Eschborn

Der Sturm fiel aus. In den Apotheken herrscht seit Jahresbeginn zwar keine Ruhe, doch größere Konflikte mit den Patienten sind die Ausnahme. Viele Apothekenkunden sind über die Änderungen bei Zuzahlung und Erstattung informiert. Natürlich ärgern sie sich – aber nicht über den Boten der Neuerungen, sondern über die Verursacher.

Die meisten Apotheker hatten die anstehenden Änderungen bereits im Voraus intensiv mit ihren Kunden besprochen. Verärgerung und Frust der Betroffenen konnten so gezielt minimiert werden. Vielerorts wurden die von der ABDA zur Verfügung gestellten Flugblätter verteilt, andere Apotheker entwarfen eigene Flugblätter. Vor allem bislang von der Zuzahlung befreite Patienten wurden auf diesem Weg über die Neuregelungen informiert.

Die Vorarbeit hat sich ausgezahlt. Eine bundesweite Umfrage der PZ in 15 Apotheken ergab ein recht einheitliches Bild: Das Chaos ist ausgeblieben, Anfeindungen sind die Ausnahme. Die meisten Patienten seien gut über Neuerungen wie veränderte Arzneikosten und wegfallende Zuzahlungsbefreiungen informiert und dementsprechend vorbereitet, berichtet etwa Dominik Oblinger von der Unteren Stadtapotheke in Dillingen.

Den Erfolg der konsequenten Informationsarbeit bestätigen auch Jürgen Thäle, Inhaber der Apotheke im Sachsenforum in Dresden, und Johanna Borutta von der Apotheke im Ärztehaus in Hamburg-Buchholz. Ungefähr zwei Drittel aller Apothekenkunden seien relativ gut unterrichtet und stellten sich der Situation mit einem gewissen „Galgenhumor“, berichtet Borutta. Der Unmut der Versicherten halte sich in Grenzen, sagt Thäle. Viele Apothekenkunden schimpften zwar über die Neuerungen, seien aber durchaus in der Lage, die Politiker als Verantwortliche zu erkennen, und fokussierten ihre Verärgerung daher nicht auf die Apotheken. Diese Erfahrung hat auch Cornelia Bender von der Weiden-Apotheke in Monheim gemacht. Ziel des Ärgers sei die Regierung und die am Konsens beteiligte Opposition. Den Kunden sei in der Regel bewusst, dass die Apotheker nicht an der höheren Zuzahlung verdienten.

Auch die Kunden des Friedrichsdorfer Apothekers Christian Reichert lassen an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt kaum ein gutes Haar. Die Sorge, dass die Apotheker als Boten der schlechten Nachricht die Prügel einstecken müssten, war offensichtlich unbegründet. Dennoch behindert die Kritik der Patienten die Arbeit. Reichert, wie auch sein Frankfurter Kollege Klaus Rehn aus der Nordwest-Apotheke, berichten von ausführlichen Gesprächen, die sie mit ihren Kunden führen müssen. Die Stammkunden hatten beide zwar bereits im Voraus ausführlich informiert, doch andere Kunden seien überrascht, dass sie nun deutlich mehr bezahlen müssten.

Großer Zeitaufwand

Thäle registrierte bei seinen Kunden ebenfalls einen erheblichen Gesprächsbedarf. Vor allem zu den Punkten Belastungsgrenze und Chronikerstatus gebe es zahlreiche Fragen. Hier seien den Versicherten die Grundlagen oft unklar. Der Informations- und Klärungsbedarf wirke sich erheblich auf den Geschäftsbetrieb in der Apotheke aus, so Oblinger. Unmutsäußerungen seien jedoch auch in seiner Apotheke eher selten. Insbesondere bei Patienten, die überhaupt nicht informiert sind oder denen eine sachliche Realisierung der neuen Situation nicht möglich ist, fielen Beratungsgespräche von bis zu einer halben Stunde pro Kunde an, die den Geschäftsbetrieb erheblich belasteten, berichtet die Hamburger Apothekerin Borutta. Hinzu komme ein beträchtlicher Mehraufwand auf Grund der von den Krankenkassen der Apothekenkunden geforderten personifizierten Quittungen. Vor allem bei Kunden, die die Einrichtung einer persönlichen Kundenkarte ablehnten oder deren gesetzliche Krankenversicherung die handschriftliche Quittierung jedes einzelnen bezogenen Arzneimittels in einem Zuzahlungsheft fordere, sei der Aufwand für die Apotheke mitunter unzumutbar, so Borutta. Besonders hart trifft ein solcher Mehraufwand Bahnhofs- und Center-Apotheken, wo die Kunden in der Regel wenig Zeit haben und nicht auf das Ende des Aufklärungsgespräches beim Vorkunden warten wollen.

Viele Apotheker ärgern sich über die Informationspolitik der Krankenkassen. Einige haben es offenbar den Ärzten und Apothekern überlassen, ihre Versicherten über die Gesundheitsreform aufzuklären. Reichert hat, je nach Krankenkasse, erhebliche Unterschiede im Wissen seiner Kunden festgestellt: „Die AOK-Versicherten sind in der Regel recht gut informiert. Viele Betriebskrankenkassen haben ihre Mitglieder dagegen ganz offensichtlich überhaupt nicht aufgeklärt.“

Auch informierten Kunden, sind Details oft unklar. Und gerade die Klärung dieser Fragen ist extrem zeitraubend. Einige Fragen bleiben auch deshalb unbeantwortet, weil die entsprechenden Regelungen noch ausstehen. So fehlt bis heute die Definition für eine schwerwiegende chronische Erkrankung. Probleme gibt es auch bei Hilfsmitteln. Bei einigen Produkten sei nicht eindeutig geklärt, ob sie zum Verbrauch bestimmt sind oder nicht. Mitarbeiter der Krankenkassen können hier auch nicht immer weiterhelfen.

Viele Apotheker haben die Erfahrung gemacht, dass Krankenkassen bei der Klärung solcher Probleme nicht sonderlich kooperativ sind. So beklagt die Monheimer Apothekerin Bender, dass eine Krankenkasse ihre Anfrage überhaupt nicht beantwortet hat, sie die zuständige Sachbearbeiterin nicht einmal ans Telefon bekam. Erst als der Patient selbst recherchierte, erhielt dieser eine Antwort. Von langwierigen Versuchen, mit Krankenkassen telefonisch Kontakt aufzunehmen, berichtete auch Reichert aus Friedrichsdorf.

Offensichtlich sind viele Geschäftsstellen von Krankenkassen mit der Flut von Anfragen schlicht überfordert - zum Teil personell, teilweise aber auch inhaltlich. Einige Apotheker berichten, dass die Kassen-Mitarbeiter ihre Fragen nicht zufriedenstellend beantworten konnten.

Salbe zu teuer

Auch wenn gerade Sozialhilfeempfänger über die Zuzahlung klagen, hat sich eine Befürchtung bislang nicht bewahrheitet: Auf ein verordnetes Arzneimittel hat in den befragten Apotheken kein Kunde verzichtet. Allerdings dürfte sich bei einigen Patienten die finanzielle Situation zum Monatsende zuspitzen.

Rehn sieht nicht nur in den höheren Zuzahlungen ein Konfliktfeld, auch die Ausgrenzung von OTC-Produkten aus der Erstattungspflicht sei für viele Patienten ein Problem. So habe er einen Patienten, der mit einem Privatrezept über eine Rezeptur in die Apotheke gekommen sei, auf den Preis von 24 Euro hingewiesen. Der Patient habe auf die Salbe verzichtet.

Substitutionseffekte bei ausgegrenzten Arzneimitteln sind jedoch noch nicht zu beobachten. Die Verordnung rezeptfreier Arzneimittel wird von den Ärzten in der Regel kategorisch ausgeschlossen, die Möglichkeit der Verordnung im Einzelfall oder auf Grund von Ausnahmeregelungen eher zurückhaltend wahrgenommen. Statt dessen verschrieben die meisten Ärzte ihren Patienten nicht mehr erstattungsfähige Präparate auf Privatrezepten berichten Thäle und Oblinger.

Preiskampf bislang ausgeblieben

Im OTC-Bereich zeichnet sich noch wenig Bewegung ab. Die meisten Apotheken haben ihre Preise für apothekenpflichtige Arzneimittel zum Jahresbeginn konstant gehalten. Nachfragen von Patienten nach Rabatten oder Preissenkungen sind die Ausnahme und stellen kaum ein Problem dar, berichten alle befragten Apotheker.

Auch die Landesapothekerverbände haben noch keine Bewegung bei den OTC-Preisen festgestellt. „Die Freigabe der OTC-Preise ist bei uns kein Thema“, sagt Christian Traupe, Pressesprecher des Apothekerverbands Nordrhein. Selbst für ihre Marketingaktivität bekannte Apotheker hätten sich bislang bei der Preisgestaltung zurückgehalten. Dem kann Bernd Eickmann vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg beipflichten: „Bei uns dominieren die Themen Zuzahlung und Erstattung.“ Offensichtlich haben sich viele Apotheker die Warnung zahlreicher Experten zu Herzen genommen, die vor einem offensiven Preismarketing gewarnt hatten.

Verbände im Ausnahmezustand

Allgemein sind die Geschäftsstellen der Verbände zurzeit extrem belastet. „Die Zahl der Anfragen liegt weit über dem normalen Maß. Selbst zu den Hochzeiten des Beitragssatzsicherungsgesetzes hatten wir wesentlich weniger Anfragen als in den ersten Tagen des neuen Jahres“, stellt Traupe fest. Apotheker, die in diesen Tagen bei ihrem Verband anrufen, werden bisweilen auf eine harte Geduldsprobe gestellt. In den Geschäftsstellen herrscht Ausnahmezustand.

Zu den unzähligen Apotheker gesellt sich eine erfreulich große Schar von Journalisten, die ihren Informationsbedarf von den Apothekerverbänden stillen lassen wollen. „Das Interesse von Rundfunk und Zeitschriften ist enorm“, sagt Eickmann. Das der Versicherten auch. Vor wenigen Tagen führte der Verband zusammen mit dem Südwest-Rundfunk eine Telefonaktion durch. Im Zeitraum von drei Stunden wählten 34 000 Hörer die Nummer der Hotline.

Die Bilanz der ersten Wochen nach dem GMG wäre allerdings wahrscheinlich schlechter ausgefallen, wenn die Apotheken mehr Kunden hätten. Da sich viele Patienten wegen Arztgebühr und steigender Zuzahlungen noch im Dezember mit Arzneimitteln versorgt hatten, läuft das Geschäft im Januar erwartungsgemäß schleppend. Der deutlich erhöhte Beratungsbedarf der Kunden kann deshalb recht gut erfüllt werden. Erst die kommenden Wochen werden tatsächlich zeigen, wie reibungsarm das GMG in den Apotheken umgesetzt werden konnte. Top

© 2004 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa