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Deutsche Migränepatienten unterversorgt

08.10.2001  00:00 Uhr

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PHARMACON MALLORCA

Deutsche Migränepatienten unterversorgt

Trotz Einführung der Triptane erhalten viele Migräniker in Deutschland noch immer Ergotamine, die als obsolet einzustufen sind, konstatierte Professor Dr. Hartmut Göbel, ärztlicher Direktor der neurologisch-verhaltensmedizischen Schmerzklinik in Kiel. In der Rangfolge der verschiedenen Kopfschmerzformen steht die Migräne mit 38 Prozent an zweiter Stelle. Die erste Position nimmt der Spannungskopfschmerz mit 54 Prozent ein.

Eine repräsentative Befragung von 30.000 deutschen Haushalten ergab, dass etwa 80 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer mehr oder weniger regelmäßig unter Kopfschmerzen leiden. Migräniker sind circa 15 Prozent der Frauen und 7 Prozent der Männer.

Die Diagnose einer Migräne erfolgt anhand ihres klinischen Erscheinungsbildes. Göbel stellte die ICD-10-Richtlinien von 1999 vor, die als weltweiter Standard gelten. "Bei Migränepatienten muss der Arzt zum Äußersten greifen", formulierte der Mediziner. "Er sollte sich ausführlich mit dem Patienten unterhalten und diesem viele Fragen stellen."

Der Migränekopfschmerz ist typischerweise einseitig, pochend und verstärkt sich bei körperlicher Belastung. Charakteristisch für die Migräne sind auch die Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, und eine Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Lärm und Gerüchen.

Eine Attacke verläuft nach einem typischen Muster. Die Ankündigungsphase dauert ein bis drei Tage. Bei 10 Prozent der Migräniker folgt die etwa einstündige Phase der Aura. Die eigentliche Kopfschmerzphase dauert zwischen vier und 72 Stunden. Zuletzt schließt sich die Erholungsphase von einem bis zu zwei Tagen an. Die wichtigsten Aurasymptome sind Sehstörungen. Manche Patienten erleben so bizzare Auren, dass sie lieber nicht darüber reden möchten.

Selbstmordgefährdet

Etwa die Hälfte der Migränepatienten entwickelt zusätzlich eine Depression und ist selbstmordgefährdet. 16,5 Prozent der Suizidversuche werden vom Migränikern begangen, die zusätzlich unter einer Depression leiden. Wird die Migräne von Aurasymptomen und einer Depression begleitet, erhöht sich der Prozentsatz sogar auf 38,5.

"Migräne ist eine Erkrankung der Hirnrinde", informierte Göbel. Die neurologischen Prozesse, die während einer Attacke ablaufen sind gut untersucht und durch EEG-Messungen gut nachvollziehbar. Zu Beginn der Attacke werden zu schnell und zu plötzlich vasoaktive Neuropeptide freigesetzt. Diese induzieren einen Entzündungsprozess und eine Gefäßerweiterung mit der Folge, dass jede Berührung und jede Bewegung schmerzt.

"Eine Migränetherapie, die nur auf die Wirksamkeit von Arzneimitteln baut, ist falsch", lautete die eindeutige Meinung des Referenten. Als wirksame nicht medikamentöse Verfahren nannte er die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson und das Biofeedback. Außerdem sollte jeder Migräniker einen Kopfschmerzkalender führen. Dieser hilft, eine Checkliste der Triggerfaktoren anzufertigen und diese dann möglichst zu vermeiden. Ein wichtiger Aspekt in der Therapie ist auch die Einhaltung eines gleichmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus. "Migräniker dürfen alles, sie müssen es nur regelmäßig tun", sagte Göbel.

Zur Behandlung leichter Attacken stellte er zwei Therapieschemata vor. Zum einen die Einnahme von Domperidon oder Metoclopramid und nach einer Wartezeit von 15 Minuten die Einnahme von 1000 mg ASS oder Ibuprofen oder Paracetamol als Brauselösung. Bei Aspirin Migräne® kann man auf Grund des enthaltenen Pufferungssystems auf das Antiemetikum verzichten. Alle drei Analgetika können nur dann effektiv wirken, wenn sie möglichst frühzeitig und in der richtigen Dosis eingenommen werden.

Triptane bei schweren Attacken

Seit Einführung der Triptane in die Therapie stehen wirksame Medikamente zur Behandlung schwerer Migräneattacken zur Verfügung. "Es gibt keine Substanz, die für alle Patienten richtig ist", so Göbel. Die einzelnen Triptane unterscheiden sich in ihrer Bioverfügbarkeit, der Verträglichkeit, der Wirkdauer und -intensität. Die schnellsten Effekte erzielen die subkutane oder nasale Applikation von Sumatriptan, auch Rizatriptan ist schnell wirksam. Am verträglichsten sind Almotriptan und Naratriptan. Leiden Patienten unter besonders langen Attacken, sollte der Arzt ebenfalls Naratriptan oder Almotriptan verordnen. Göbel kündigte an, dass die Palette der Triptane bis spätestens Januar 2002 durch zwei weitere Vertreter ergänzt wird: Eletriptan und Frovatriptan. Die wichtigste Regel für die Triptantherapie lautet: Maximal zehn Dosen pro Monat! Benötigt der Patient mehr, muss eine medikamentöse Prophylaxe erwogen werden.

Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft nennt als geeignete Arzneimittel Metoprolol, Propanolol und Flunarizin. In den USA werden ganz andere Arzneistoffe als Mittel der Wahl empfohlen. Das bestätigt Göbels Aussage, dass der Arzt seine Verordnung individuell auf den Patienten abstimmen muss. Parameter, die die Entscheidung beeinflussen, sind eine zusätzliche Hypertonie oder Depression. Zur Kurzzeitprophylaxe der menstruellen Migräne eignet sich Naratriptan, einen Tag vorab eingenommen.

Eine neue Studie ergab die gute Wirksamkeit von Lisinopril, das nicht die Nebenwirkungen und Kontraindikationen der Betablocker besitzt. Eine weitere Option stellt die Gabe von Petasites-Extrakten dar. Göbel berichtete von einer aktuellen Studie, deren Ergebnisse vor wenigen Tagen auf dem Schmerzkongress in Berlin vorgestellt wurden. 75 mg Petasites-Extrakt für die Dauer von vier Monaten gegeben, waren hochsignifikant wirksam und reduzierten die Anfallhäufigkeit um fast 60 Prozent. Damit könnte der gut verträgliche Pflanzenextrakt sich als Alternative zu den Betablockern entwickeln.

Auch die Injektion von Botulinum-Toxin kann bei schweren Attacken helfen. Eine aktuelle Studie ergab eine Reduktion der Schmerzattacken um bis zu 80 Prozent. Die Applikation gehört in die Hand eines erfahrenen Schmerztherapeuten. Top

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