Wir brauchen dringend neue Virustatika |
08.10.2001 00:00 Uhr |
Erst vor rund 20 Jahren kam das erste Virustatikum auf den Markt. Seitdem wurden knapp 20 verschiedene Wirkstoffe eingeführt. Die große Variabilität der Viren und die unterschiedlichen Übertragungswege erfordern spezifische Therapieansätze. Ein Breitband-Virustatikum wird es auch in Zukunft kaum geben, prognostizierte Professor Dr. Helga Rübsamen-Waigmann von der Bayer AG in Wuppertal.
Das erste Virus, gegen das eine gut verträgliche Therapie zur Verfügung stand, war Herpes. Aciclovir, ein nukleosidischer Reverse-Transkriptasehemmer, der die virale Polymerase blockiert, gilt als Urvater der noch heute bedeutendsten Stoffgruppe. Erst Jahre später gelang mit den Proteasehemmern ein erster Durchbruch in der HIV-Therapie.
Inzwischen stehen aber auch neuartige Arzneistoffe für virale Infektionen zur Verfügung. Ihr Einsatz beschränkt sich aber meist auf einen Virustyp. Die beiden Substanzen Oseltamivir und Zanamivir blockieren zum Beispiel das Enzym Neuraminidase, das einen wichtigen Schritt im Zuckerstoffwechsel des Influenza-Virus katalysiert. Mit den beiden Wirkstoffen, die peroral beziehungsweise inhalativ appliziert werden, kann seit Ende der neunziger Jahre sehr effektiv das Grippevirus bekämpft werden. Die Arzneistoffe müssen allerdings möglichst frühzeitig verabreicht werden. Nach Meinung Rübsamen-Waigmanns könnten die Arzneistoffe künftig auch zur Prophylaxe dienen, um gefährdete Personen bei einer grassierenden Grippewelle zu schützen.
Im Gegensatz zur Influenza, für die es bereits seit einigen Jahren eine Schutzimpfung gibt, wird man sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch nicht mit einer Vakzine vor dem HI-Virus schützen können, vermutete Rübsamen-Waigmann. Der Erreger verändert sich nicht nur kontinuierlich, sondern unterläuft zudem geschickt das Immunsystem, indem er nach einer Primärinfektion genau die CD4-Zellklone vernichtet, die auf seine Antigene reagieren und damit normalerweise eine massive Immunantwort einleiten würden.
Heute lässt sich die Erkrankung mit einem Therapieregime aus Proteasehemmern und nukleosidischen beziehungsweise nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptasehemmern gut kontrollieren. Wichtigstes Hilfsmittel für die Therapie ist eine gute Diagnostik. Probleme bereiten allerdings zunehmende Resistenzen sowie zahlreiche Nebenwirkungen, die die Compliance der Patienten stark einschränken. Fixe Kombinationen wie Trizivir® oder Combivir® könnten daher maßgeblich zum Therapieerfolg beitragen, betonte die Referentin.
Wissenschaftler entwickeln derzeit einen weiteren Therapieansatz. Entsprechende Arzneistoffe blockieren das virusspezifische Enzym Integrase und verhindern so, dass sich die virale DNA mit den Chromosomen der Wirtszelle verbindet. Inzwischen laufen Studien der Phase I, berichtete Rübsamen-Waigmann. Mit Hilfe dieses völlig neuen Therapieansatzes könne es in Kombination mit herkömmlichen HIV-Therapeutika gelingen, die Resistenzen besser in den Griff zu bekommen.
Weitere Erfolge verspricht sich Rübsamen-Waigmann von abgewandelten Einnahmezyklen. Im Rahmen einer Studie verabreichte die Forscherin Versuchsaffen über vier Wochen direkt nach der Infektion eine antivirale Monotherapie und setzte diese dann ab. Die vierwöchige Gabe reichte völlig aus, um das Virus vollständig zu kontrollieren, so Rübsamen-Waigmann. "Wahrscheinlich ist es wichtig, möglichst frühzeitig und kurz zu therapieren", prognostizierte sie. Unter Arzneistoff-Gabe würde das Immunsystem zunächst entlastet und könnte sich auf den Erreger einstellen, um dann nach Therapieende effektiv zu arbeiten.
"Dank intensiver Forschung verstehen wir Viren heute viel
besser", schloss die Referentin. "Jetzt brauchen wir dringend
neue potente Virustatika."
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