Kaum Zulassungen für die Behandlung seltener neurologischer Krankheiten |
07.10.2002 00:00 Uhr |
Immunmodulatorisch wirkende Arzneistoffe haben für die Therapie neurologischer Erkrankungen nur in den seltensten Fällen eine Zulassung. „Wir bewegen uns bei den Orphan Diseases in einer ökonomischen Grauzone“, sagte Professor Dr. Rudolf W. C. Janzen von der Neurologischen Klinik des Nordwest-Krankenhauses in Frankfurt am Main.
Seit 1966 ist zum Beispiel Azathioprin Standardtherapeutikum für die Langzeitbehandlung der Myasthenia gravis (täglich 2,5 bis 3 mg pro kg KG), kombiniert mit einer minimalen Corticoid-Gabe. Trotzdem meinten einzelne Krankenkassen, dies sei ein Einsatz außerhalb der Zulassung und dürfe nicht weiter bezahlt werden, kritisierte Janzen.
Die häufigste neurologische Erkrankung, die mit einem Autoimmunprozess verknüpft ist, ist die multiple Sklerose (MS). Sie verläuft parallel in zwei Prozessen, erklärte Janzen. Es kommt zu Krankheitsschüben, parallel dazu verläuft die Erkrankung chronisch progredient. Die MS wird mit einer immunmodulatorischen Stufentherapie behandelt. Die Basistherapie besteht aus der Gabe von b-Interferon (b-IFN) Glatirameracetat oder Azathioprin.
Das bekannteste Präparat zur Langzeit-Immunmodulation der MS ist derzeit b-IFN. Einmal begonnen, sollte die Therapie auf keinen Fall wieder abgesetzt werden. „Es handelt sich um eine Endlostherapie“, betonte Janzen. Allerdings müsse die Wirkung des immunologischen Botenstoffs spätestens nach zwei Monaten kernspintomographisch nachweisbar sein. Ist dies nicht der Fall oder leiden die Patienten unter Nebenwirkungen wie Schüttelfrost oder schweren Depressionen, setzen die Ärzte alternativ Glatirameracetat ein.
Insgesamt sprechen nur etwa 30 Prozent der Patienten auf die b-IFN-Therapie an. Gleiches gilt für die Therapie mit Glatirameracetat. Ob es sich dabei um dasselbe Patientenkollektiv handelt, ist noch nicht klar. Nachteil der Therapie mit Glatirameracetat: Die Wirkung kann ein halbes Jahr auf sich warten lassen – eine große psychologische Hürde für die Patienten, so Janzen.
Vertragen die Patienten weder b-IFN noch Glatirameracetat, greifen die Ärzte zu Azathioprin. Die Substanz wird bei MS selten eingesetzt. Nach Janzens Einschätzung zu selten: „Azathioprin hat wahrscheinlich nicht den Stellenwert in der MS-Therapie, der der Substanz eigentlich zusteht.“ Einige Patienten hätten vor etwa 30 Jahren einen einzigen schweren Schub erlebt, nähmen seitdem Azathioprin ein, und die Erkrankung sei nicht fortgeschritten, beschrieb Janzen seine Beobachtungen.
Bessert sich die MS unter Basistherapie nicht oder kommt es zu weiteren Schüben, setzen die Ärzte Mitoxantron ein. Dabei handelt es sich um ein Breitspektrum-Immunsuppressivum, das zwar von der amerikanischen FDA, nicht aber in Europa zur Therapie der MS zugelassen ist. Verträgt der Patient alle diese Substanzen nicht, so steht Cyclophosphamid als Reservetherapeutikum zur Verfügung, erläuterte Janzen.
Glucocorticoide kommen bei der MS vor allem in Form einer Pulstherapie bei einem MS-Schub zum Einsatz. Dabei erhält der Patient morgens 500 bis 1000 mg Cortison (bevorzugt Methylprednisolon) oder 1,25 mg pro kg KG Prednisolon morgens zwei Wochen lang, dann wird die Dosis über vier Tage langsam reduziert. Anschließend wird die Therapie abgesetzt, kann jedoch bei einer erneuten Verschlechterung wieder aufgenommen werden.
Methotrexat kommt selten zum Einsatz. Wichtig ist hier die begleitende Gabe von Folsäure (bis 10 mg pro Woche), betonte der Referent. Gefürchtete Nebenwirkung der Medikation ist eine Pneumonitis, weshalb er zu Verlaufskontrollen der Lungenfunktion riet. Da der Arzneistoff zudem teratogen ist, müssen jüngere Frauen vor einer Schwangerschaft geschützt sein.
Als Reservemedikation bei MS stehen 7-S-Immunglobuline zur Verfügung. Die Präparate stehen seit Mitte der 70er-Jahre zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Myasthenia gravis und des Guillain-Barré-Syndroms zur Verfügung. Für diese Erkrankungen ist die Wirkung der Immunglobuline in Studien belegt, erklärte Janzen. Die Immunglobuline sind relativ nebenwirkungsarm – zumindest im Vergleich mit allen anderen eingesetzten Substanzen. Allerdings kann es zu thromboembolischen Ereignissen kommen. Aus diesem Grund sollte das Infusionsprogramm sehr vorsichtig gestartet werden. Herzinfarkte und Hirninfarkte sind gefürchtete Nebenwirkungen, die bereits beobachtet wurden.
Bei einem schweren, steroidresistenten Schub der MS kommt die Plasmapherese zum Einsatz. Dabei werden die für die Erkrankung verantwortlichen Antikörper aus dem Blut herausgewaschen. Allerdings birgt diese Behandlung nur eine 40-prozentige Chance auf Remission.
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