Pharmazeutische Zeitung online

Hygiene provoziert Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

07.10.2002  00:00 Uhr
Pharmacon Mallorca

Hygiene provoziert Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind in Entwicklungsländern nahezu unbekannt. Dort herrschen Infektionen des Gastrointestinaltrakts vor. Dass die Erreger in den Industrienationen fast verschwunden sind, scheint nicht nur Vorteile zu bringen. Hier erkranken immer mehr und jüngere Menschen an Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen einer hygienischen Umgebung und den Autoimmunerkrankungen.

Die Oberfläche des Darms ist die größte Interaktionsfläche des Menschen mit seiner Umwelt, erklärte Professor Dr. Martin Zeitz von der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Berlin. Auf circa 250 Quadratmetern tummeln sich etwa 1014 Bakterien. Um adäquat auf die Vielzahl an Fremdstoffen zu reagieren, die auf den menschlichen Körper einstürmen, befindet sich im Darm ein sehr fein reguliertes Immunsystem. Es durchläuft im Säuglings- und Kindesalter einen Lernprozess, der schließlich dafür sorgt, dass Nahrungsbestandteile und die natürliche Darmflora nicht als fremd erkannt werden.

Erste Kontaktstelle des Immunsystems mit den Fremdstoffen sind Lymphfollikel im Darm, auch als Peyer’sche Plaques bezeichnet. Dort treffen die Nahrungsbestandteile auf immunkompetente Zellen, die anschließend ins Blut gelangen. Passieren die Zellen mit dem Blutstrom erneut den Darm, so wandern sie in die Lamina propria, und es kommt dort zur immunologischen Auseinandersetzung mit T- und B-Zellen.

Beim gesunden Menschen induzieren Nahrungsbestandteile meist eine Toleranz. Dies kann auf drei unterschiedlichen Wegen geschehen. Bestimmte regulatorische Immunzellen (TH 3 oder TR 1) können zum Beispiel die Reaktion der Antigen-erkennenden Zellen unterdrücken. Ein weiterer Mechanismus ist die Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose). Dabei sterben die Immunzellen ab, die zum Beispiel ein Antigen aus der Nahrung erkennen. Eine dritte Strategie ist die Induktion einer Anergie, welche die entsprechenden Immunzellen außer Stande setzt, auf ihr Antigen zu reagieren. Alle drei Mechanismen sind dafür verantwortlich, dass gesunde Menschen - wie in Studien beobachtet - nicht auf Bestandteile ihrer eigenen Darmflora reagieren.

Bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist diese Regulation gestört. Das Immunsystem erkennt Bestandteile der natürlichen Darmflora und der Nahrung als fremd und reagiert mit einer Entzündung. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die vermehrte Produktion des Tumornekrosefaktors-a (TNF-a) in der Mukosa. Kaskadenartig werden anschließend entzündungsfördernde Zytokine ausgeschüttet.

Ziel der Therapie von Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ist es, die Entzündungsreaktion zu hemmen. Etabliert ist der Einsatz von 5-Aminosalicylsäure, Corticosteroiden und Immunsuppressiva wie Azathioprin und 6-Mercaptopurin. Bei 15 Prozent der Patienten sind diese Substanzen jedoch nicht auf Dauer wirksam.

Daher setzen viele Ärzte ihre Hoffnungen auf die spezifische Hemmung der Entzündung mit Hilfe von immunologischen Botenstoffen oder Antikörpern, die proentzündliche Zytokine wegfangen und unschädlich machen. Keines der innovativen Präparate zählt allerdings zur Standardtherapie, betonte Zeitz. Eine Wirkung konnte bislang nur für den TNF-a-Antikörper Infliximab (Remicade®) nachgewiesen werden. Die Substanz ist für die Behandlung von Morbus-Crohn-Patienten zugelassen, sofern diese unter Fistelbildungen oder schweren, entzündungsaktiven Formen der Erkrankung leiden, die weder auf Corticosteroide noch auf Immunsuppressiva ansprechen.

Zeitz warnte vor zu großer Euphorie. Denn nur bei etwa 50 Prozent der Patienten schlägt eine Therapie mit dem Antikörper überhaupt an. Außerdem erfüllt TNF-a wichtige Funktionen im Immunsystem. Es schützt zum Beispiel vor Infektionen mit Mykobakterien. Mindestens bei einem Patienten ist es durch die Blockade des Botenstoffs zu einer schweren disseminierten Tuberkulose gekommen, berichtete Zeitz. Aus diesem Grund sprach er sich gegen eine breite, unkontrollierte Gabe von Infliximab bei Morbus Crohn aus. Mehr Hoffnungen setzte er auf die Hemmung von Interleukin-12, eine Therapiestrategie, die derzeit in Studien geprüft wird.

 

Morbus Crohn Beim Morbus Crohn ist der gesamte Intestinaltrakt von der Entzündung betroffen. Gesunde Bereiche wechseln sich dabei mit erkrankten ab. Die Entzündung betrifft die gesamte Darmwand, weshalb oft Stenosen und Fisteln entstehen, die sich meist vom Darm zur Haut oder vom Darm zur Scheide beziehungsweise Blase bilden.

Grundlage für die Entstehung eines Morbus Crohn scheinen genetische Veränderungen zu sein, die die Steuerung der Immunantwort beeinflussen. So ist zum Beispiel ein als NOD2 bezeichnetes Gen bei 40 Prozent der Morbus-Crohn-Patienten mutiert. Das entsprechende Genprodukt – ein innerhalb der Zelle vorliegender Rezeptor für Bakterien-Antigene - ist an der unspezifischen Immunabwehr beteiligt. Wahrscheinlich begründet die genetische Veränderung eine erhöhte Suszeptibilität für die Erkrankung. Colitis ulcerosa Bei der Colitis ulcerosa ist die Entzündung auf den Dickdarm beschränkt. Im Gegensatz zum Morbus Crohn kommt es vom Rektum aus zu einem kontinuierlichen Befall. Nicht die gesamte Darmwand, sondern nur die Schleimhaut ist von den Veränderungen betroffen. Lässt sich der Krankheitsverlauf nicht aufhalten, haben die Patienten ein erhöhtes Risiko für Karzinome.

Falls die Betroffenen auf Dauer nicht auf die antientzündlichen Therapien ansprechen, wird ihnen oft der Dickdarm entfernt. Inzwischen ist dies zwar ohne Stoma möglich, aber nach einigen Jahren kommt es bei vielen Patienten zu Entzündungen im Dünndarm, wahrscheinlich ein Rezidiv der Erkrankung, sagte Zeitz.

 

zurück

Top

© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa