Nüchtern oder nach dem Essen? |
07.10.2002 00:00 Uhr |
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler die In-vitro-Untersuchungsmethoden zur Charakterisierung von Arzneiformen immer weiter perfektioniert. Die Messung der Wirkstoff-Freisetzung im Becherglas erleichtert zwar die Qualitätssicherung, spiegelt aber die tatsächlichen Verhältnisse in Magen und Darm nur ungenügend wider, berichtete Professor Dr. Werner Weitschies von der Universität Greifswald.
Der pharmazeutische Technologe entwickelte mit seinem Team mit dem Magnet Marker Monitoring eine Methode, die Aufschluss über das Schicksal der Arzneimittel im Gastrointestinaltrakt gibt. Dazu reichern die Forscher die Arzneiform mit magnetischem Eisenoxid an, und vermessen die Passage im Körper mit Hilfe magnetischer Felder.
Sowohl die Aufnahme von Nahrungsmitteln als auch die mit dem Medikament geschluckte Flüssigkeitsmenge beeinflussen massiv Freisetzung und Transport der Arznei in Magen und Darm. Verweildauer und Passage variieren zudem von Patient zu Patient auf Grund der interindividuellen Motilität des Magens, demonstrierte Weitschies am Beispiel von Diclofenac-Brausetabletten. Im sauren Milieu des Magens fällt der zuvor gelöste Arzneistoff aus. Je nach Füllungszustand und der Beschaffenheit des Speisebreis rutschen die Partikel bei Kontraktionen des Organs durch den Pylorus in den Dünndarm. Zudem separiert der Magen feste Bestandteile, wässrige und fette Phasen. Da deshalb die Dosis manchmal in mehreren Portionen im Zeitabstand von bis zu einigen Stunden weitertransportiert wird, können mehrere Plasmaspitzen entstehen.
Nicht zerfallende, retardierte und magensaftresistent überzogene Tabletten bleiben in der Regel im Magen liegen, wenn dieser mit Nahrungsbrei gefüllt ist. Ist eine schnelle Passage in den Dünndarm gewünscht, sollte der Patient solche Arzneiformen möglichst nüchtern und im Abstand von zwei Stunden zur nächsten Mahlzeit einnehmen. Partikel mit einem Durchmesser unter 2 mm rutschen dagegen mit dem Speisebrei durch den Pylorus. Retardierte oder magensaftresistente Arzneiformen, die den Wirkstoff in Pellets oder Granulatpartikeln enthalten, können daher auch zum Essen geschluckt werden. Dies gilt besonders für Diclofenac-Präparate.
Komplexes Wechselspiel
Auch während der Dünndarmpassage findet ein komplexes Wechselspiel zwischen Transport, Durchmischungs- und Ruhephasen statt. „Der Dünndarm ist keine Einbahnstraße - durch Repulsionen wandert die Arznei manchmal auch wieder zurück“, erklärte der Technologe. Auch mit der Vorstellung vom wassergefüllten Schlauch räumte er auf. Der Dünndarm sei keineswegs kontinuierlich mit Flüssigkeit gefüllt, sondern enthalte höchstens in manchen Bereichen Flüssigkeitsnester, in denen sich der Arzneistoff lösen kann.
Neben diesem Transportphänomen, dem enterohepatischen Kreislauf und verschiedenen Resorptionsfenstern erschweren unterschiedliche Konzentrationen von Transportproteinen und Enzymen die individuelle Vorhersage von Plasmaspiegeln. Patienten, die gut auf Retardpräparate eingestellt sind, sollten daher möglichst immer dasselbe Arzneimittel nach dem gewöhnten Einnahmeschema schlucken. Die Substitution sei in diesem Fall nicht zu rechtfertigen, warnte Weitschies. Ist eine schnelle Passage des Arzneimittels in den Dünndarm gewünscht, sollte der Apotheker seinen Patienten empfehlen, sein Medikament möglichst zwei bis drei Stunden nach dem Essen einzunehmen und dann mindestens zwei weitere Stunden nichts zu essen.
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