Ein Lob für Kombinationen |
07.10.2002 00:00 Uhr |
Unter dem Begriff „dyspeptische Beschwerden“ werden zahlreiche Symptome subsumiert. Ort des Geschehens ist der Oberbauch. Neben Druckschmerzen leiden die Kranken unter Übelkeit, frühzeitigem Sättigungsgefühl und häufigem Aufstoßen. Wie Professor Dr. Gerald Holtmann vom Universitätsklinikum Essen erläuterte, muss die Erkrankungen nicht grundsätzlich therapiert werden.
Entscheidend für die Frage nach einer Therapie, sind Dauer und Heftigkeit der Symptome. Wenn der Patient unter den Beschwerden nicht ernsthaft leidet, wenn sie nur selten oder kurzzeitig auftreten, sei eine Behandlung unnötig, sagte Holtmann. Bei chronischer Erkrankung muss dagegen behandelt werden. Wenn die Symptome über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten persistieren oder innerhalb eines Jahres mehr als zwölf Wochen bestehen, wäre es dagegen unverantwortlich, auf Diagnostik und Therapie zu verzichten.
Allerdings bereitet die Diagnose bei der scheinbar so banalen Erkrankung erhebliche Probleme. Bei jedem zweiten Patienten mit chronischer Dyspepsie lasse sich die Ursache mit Standardverfahren wie körperlicher Untersuchung, Laboruntersuchungen und Ösophagogastroduodenoskopie nicht klären, erklärte Holtmann. In solchen Fällen lautet die Diagnose funktionelle oder Non-ulcus-Dyspepsie. Sie ist gekennzeichnet von wiederkehrenden oder chronischen Symptomen, die nicht auf Läsionen zurückzuführen sind. Voraussetzung für die Diagnose ist also die Abwesenheit eines konkreten organischen Befundes. Die Sache wird aber noch komplizierter: Denn auch wenn Läsionen gefunden werden, bedeutet dies nicht zwingend, dass sie für die Beschwerden verantwortlich sind.
Wodurch eine funktionelle Dyspepsie ausgelöst wird, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich habe die Erkrankung eine multifaktorielle Genese, sagt der Essener Mediziner. Ausgelöst werden die Symptome durch eine überempfindliche Schmerzleitung. Die Schmerzrezeptoren werden aktiviert, obwohl kein adäquater Reiz vorliegt. Hinzu kommen Motilitätsstörungen von Magen und Darm. Wobei Holtmann zwei Formen der Motilitätsstörungen unterscheidet: „Es gibt die normale Wahrnehmung der gestörten Motilität und die gestörte Wahrnehmung der normalen Motilität“. Ausgelöst werden diese Störungen durch Fehlfunktionen im zentralen und im viszeralen Nervensystem. Bei der Hyperalgesie spielen serotoninerge Rezeptoren eine entscheidende Rolle.
Differentialdiagnose zuerst
Bei der Therapie steht die Behandlung der Symptome im Vordergrund. Eine Heilung sei heute noch nicht möglich, stellte Holtmann fest. Vor der Behandlung von Dyspepsie-Patienten müsse differenzialdiagnostisch geklärt werden, ob den Beschwerden potenziell heilbare Erkrankungen, zum Beispiel ein peptischer Ulkus, zu Grunde liegen oder eben eine funktionelle Dyspepsie.
Das Spektrum der Arzneimittel in dieser Indikation ist recht groß, allerdings sind nicht alle angebotenen Präparate auch tatsächlich hilfreich. Die besten Erfolge zeigen neben chemischen Präparaten wie Antacida, Prokinetika oder Simethicon einige pflanzliche Arzneimittel. Eingesetzt werden Kombinationen von Pfefferminz- und Kümmelöl, Artischockenextrakte und Phytopharmaka, die aus verschiedenen Pflanzenauszügen bestehen. Keine Belege gibt es dagegen für die langfristige Wirksamkeit einer H. pylori-Eradikationstherapie.
Bei der Therapie der funktionellen Dyspepsie sind laut Holtmann Phytopharmaka eine ernsthafte Alternative zu chemischen Arzneimitteln. „Sie sind sicher ebenso wirksam, haben aber auch dasselbe Nebenwirkungspotenzial.“
Wie bei vielen Erkrankungen fehlt auch bei der Therapie der Dyspepsie eine genaue Beschreibung, wie Phytos wirken. Den Pflanzenextrakten werden die Hemmung der Sekretion, die Förderung der Cholerese, spasmolytische oder motilitätsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Manche Präparate sollen die Nozizeption beeinflussen oder die Neurotransmission modulieren. Holtmann ist vorsichtig: „Das sind reine Spekulationen.“
Viele Studien von zweifelhaftem Wert
Etwas besser sieht dagegen die Datenlage zur Wirksamkeit von Phytopharmaka bei funktioneller Dyspepsie aus. Zwar seien viele Studien mit Phytopharmaka zur Dyspepsie von zweifelhaftem Wert, aber immerhin gebe es für vier Präparate valide Studien. Aus Holtmanns Sicht sind Pfefferminzöl und die Kombination von Pfefferminz- und Kümmelöl am besten belegt. In randomisierten Doppelblindstudien war die Wirksamkeit der beiden Präparate deutlich besser als Placebo.
Nur eine Studie gibt es zu dem aus sieben Pflanzen bestehenden Kombipräparat Iberogast®. Dafür sei diese vom Design vorbildlich, sagte Holtmann. Geplant wurde die randomisierte doppelblinde Untersuchung von führenden deutschen Gastroenterologen. Sie teilten 120 Patienten in vier Gruppen auf. Die erste erhielt acht Wochen Verum, die zweite zuerst vier Wochen Verum und anschließend vier Wochen Placebo, die dritte Gruppe erhielt erst Placebo und dann Verum, die vierte nur Placebo. Nach Ende der Therapie waren aus der ersten und dritten Gruppe jeweils 40 Prozent beschwerdefrei, aus den beiden anderen Gruppen waren es jeweils unter zehn Prozent. Holtmann sieht darin einen eindeutigen Wirksamkeitsbeweis. Bestätigt wird aber durch die zweite Gruppe, dass das Präparat keine Heilung bewirkt.
Eine neue Studie mit 244 Probanden zu Artischockenextrakt belegt auch dessen Wirksamkeit bei funktioneller Dyspepsie. Die Verumgruppe schnitt bei einer Therapiedauer von sechs Wochen deutlich besser ab als die Placebogruppe.
Aus Holtmanns Sicht empfehlen sich bei funktioneller Dyspepsie Kombinationspräparate. Es sei unwahrscheinlich, dass die Beschwerden mit einer einzigen Substanz geheilt werden können. Nach allen bislang vorliegenden Erkenntnissen seien verschiedene Pathomechanismen an der Entstehung der Krankheit beteiligt. Er stellte aber auch klar: „Das bedeutet nicht, dass alles hilft, in dem viel drin ist.“
Darüber hinaus sei die Pharmakotherapie immer nur ein Teil der Therapie, sagte Holtmann. Mindestens ebenso wichtig sei das Gespräch mit den Patienten, in dem über die Symptomatik aufgeklärt und über mögliche Ursachen gesprochen werden sollte. Außerdem sollte mit dem Patienten geklärt werden, wie er angesichts der Krankheit, sein Leben mit möglichst wenigen Einschränkungen weiterführen kann und wie ein Optimum an Lebensqualität erreicht werden kann.
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