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„Außenseiterdiagnostik genauso sinnlos wie Pauschaldiäten“

30.09.2002  00:00 Uhr
Pharmacon Mallorca

„Außenseiterdiagnostik genauso sinnlos wie Pauschaldiäten“

Neurodermitis, allergisches Asthma und Heuschnupfen: Immer mehr Menschen leiden weltweit unter atopischen Erkrankungen. Im Zuge dessen wächst auch die Zahl der Patienten mit Nahrungsmittelallergien.

Die meisten Menschen überschätzen jedoch die Bedeutung von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. „Vielen Patienten muss man klar machen, dass nicht alle ihre Beschwerden auf eine Allergie zurückzuführen sind“, sagte Professor Dr. Ulrich Amon, ärztlicher Leiter der Psorisol-Klinik für Dermatologie und Allergologie in Hersbruck. „Nahrungsmittelallergien sind nicht die Ursache für Adipositas, chronisches Fatigue-Syndrom und das hyperkinetische Syndrom“, stellte er klar. Viele Menschen halten sich unter dem Einfluss der Massenmedien in Eigenregie an gesundheitsgefährdende Diäten. „Einige ernähren sich nur von Heilerde und ihrem eigenen Urin“, veranschaulichte Amon.

Zur Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien tauchen in Studien unterschiedliche Zahlen auf. So variieren die Angaben für Kinder zwischen 0,5 und 7,5 Prozent. Bei Erwachsenen sind insgesamt nur 1 bis 2 Prozent betroffen. Jedoch leiden bis zu 40 Prozent der Patienten mit Heuschnupfen und bis zu 30 Prozent der Neurodermitiker auch unter einer Nahrungsmittelallergie. „Bei einer chronischen Urtikaria wird die Bedeutung der Nahrungsmittel jedoch oft überschätzt“, so Amon. Nur etwa 1,5 Prozent dieser Patienten leiden unter einer Nahrungsmittelallergie.

 

Definitionen Reaktionen auf Nahrungsmittel werden unter Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten zusammengefasst. Diese lassen sich zunächst in nicht toxische und toxische Reaktionen einteilen. In Deutschland von untergeordneter Bedeutung, spielen die toxischen Reaktionen weltweit die wichtigste Rolle, erklärte der Referent. Dazu zählen zum Beispiel Reaktionen auf bakterielle Toxine, Mykotoxine und bestimmte Proteine von Fischen.

Die nicht toxischen Reaktionen werden eingeteilt in immunologische und nicht immunologische Phänomene. Zu den nicht immunologischen Phänomenen zählen Enzymopathien wie die Lactoseintoleranz und Pseudoallergien, zum Beispiel die Unverträglichkeit von biogenen Aminen.

Sind an den immunologischen Reaktionen IgE-Antikörper beteiligt, spricht man von einer echten Nahrungsmittelallergie. Typisch ist bei diesen Patienten eine schnelle Reaktion auf Antigene. Seltener und weniger gut erforscht sind die nicht IgE-vermittelten Reaktionen des Immunsystems auf Nahrungsmittel.

 

Kinder reagieren in Deutschland vor allem auf Ei, Milch, Weizen, Soja, Fisch und Nüsse, erklärte Amon. Bei ihnen äußert sich die Nahrungsmittelallergie meist in einer atopischen Dermatitis. Unter den Erwachsenen sind vor allem Pollenallergiker betroffen, weil sich Antigene auf Pollen und Nahrungsmittel ähneln. Besonders häufig sind solche Kreuzreaktionen bei Menschen, die auf Birkenpollen reagieren. Sie entwickeln häufig allergische Reaktionen auf Kern- und Steinobst, Hauptauslöser sind Äpfel. Die Beschwerden reichen von Schwellungen im Mund und einem pelzigen Gefühl auf der Zunge über akute Rhinitis, Asthmaanfälle, Bauchkrämpfe, Durchfälle, Urtikaria bis hin zum anaphylaktischen Schock.

Eine eigenständige Gruppe bilden die Latexallergiker, erklärte Amon. Ursprünglich entwickelten sie immunologische Reaktionen auf Latexproteine – meist als Folge ihrer Arbeit im Gesundheitswesen, wo in den 80er-Jahren nach dem Aufkommen von HIV Einweghandschuhe viel häufiger eingesetzt wurden. Viele Latexallergiker leiden unter Kreuzreaktionen mit Früchten wie Banane, Kiwi, Mango, Avocado und Melone, dem so genannten Latex-Frucht-Syndrom. Durch neue Verfahren bei der Herstellung von Einweghandschuhen erkranken derzeit jedoch weniger Menschen neu an Latexallergien, informierte Amon.

Keine echten Allergien, weil nicht über den immunologischen Mechanismus spezifischer IgE-Antikörper vermittelt, sind Enymopathien und Pseudoallergien. Die Symptome können einer Allergie jedoch sehr ähneln, allerdings treten sie dosisabhängig auf.

Typische Pseudoallergien sind Reaktionen auf Zusatzstoffe wie Farbstoffe und Geschmacksverstärker sowie auf Nahrungsmittelbestandteile wie biogene Amine (zum Beispiel Histamin). Nur wenige Menschen reagieren auf Nahrungsmittelzusatzstoffe, häufiger ist die Histaminintoleranz. Histamin ist in verarbeiteten Lebensmitteln wie Rotwein, gereiftem Käse, Rohwurst, Fisch, Tomaten und Sauerkraut in größeren Mengen vorhanden. Bei den Patienten kommt es nach Genuss dieser Nahrungsmittel zu einer enteralen Histaminose. Weil die Aktivität der Diaminoxidase im Darm gehemmt ist, wird dort weniger Histamin abgebaut. Folgen sind Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden und Hautausschlag. Zu den biogenen Aminen zählt zum Beispiel auch Serotonin, das unter anderem in Walnüssen, Bananen und Ananas verstärkt vorkommt.

Die Diagnostik spielt bei den Nahrungsmittelallergien eine wichtige Rolle. Dazu zählt eine ausführliche Anamnese, und auch ein Tagebuch zu den Ernährungsgewohnheiten kann sinnvoll sein. Stehen ein oder zwei Nahrungsmittel im Verdacht, kann man dies mit einer Eliminationsdiät prüfen. Außerdem sollten Nahrungsmittel-spezifische IgE-Antikörper im Vergleich zum Gesamt-IgE bestimmt werden, verbunden mit einem entsprechenden Hauttest (Prick-to-Prick-Test). „Positive Blut- und Hauttests alleine bedeuten jedoch nicht unbedingt eine Allergie“, so Amon. Goldstandard der Diagnostik und von allen internationalen Fachgesellschaften empfohlen, sind daher offene, doppelblinde Provokationstests (siehe auch PZ 27/02). „Außenseiterdiagnostik wie sie zum Beispiel im Vorfeld der Bioresonanztherapie eingesetzt wird, ist genauso sinnlos wie Pauschaldiäten“, sagte Amon.

Die beste Therapie bei einer Nahrungsmittelallergie ist die Karenz. Da jedoch vor allem Kinder Gefahr laufen, mangelernährt zu werden, ist dies nur nach entsprechender Diagnostik sinnvoll. Als medikamentöse Prophylaxe kann Cromoglycinsäure eingesetzt werden. Für die symptomatische Therapie stehen schnell wirksame Antihistaminika der zweiten und dritten Generation zur Verfügung, die 60 Minuten vor dem Essen eingenommen werden sollten. In bestimmten Fällen, zum Beispiel bei Milchallergien, kann auch eine Hyposensiblisierung sinnvoll sein, jedoch nur unter ständiger Überwachung in einer Spezialklinik. Ob die Gabe von Anti-IgE-Antikörpern (Omalizumab) können auch die Experten noch nicht sagen. Eventuell erfüllt IgE wichtige Funktionen, Wissenschaftler vermuten, dass es eine vor Tumoren schützende Wirkung hat. Aus diesem Grund fordern die Zulassungsbehörden vom Hersteller Novartis noch Daten zur Langzeitanwendung. Klar ist jedoch, dass zu einer Therapie von Nahrungsmittelunverträglichkeiten auch immer eine psychologische Betreuung gehören sollte, resümierte Amon.

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