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Tradition mit Zukunft

03.11.2003  00:00 Uhr
PETN

Tradition mit Zukunft

von Gudrun Heyn, Berlin

Pentaerythrityltetranitrat (PETN) lässt trotz seines langjährigen Einsatzes in der Prophylaxe und Langzeitbehandlung der Angina pectoris immer wieder aufhorchen. Neueste Ergebnisse aus Grundsatzforschung und klinischen Studien diskutierten Wissenschaftler auf der Jubiläumsveranstaltung zum 10. PETN-Expertentreffen.

Seit über 50 Jahren wird die organische Nitroverbindung PETN in der Anfallsprophylaxe der Angina pectoris eingesetzt. „In den neuen Bundesländern gilt sie als das führende Antianginosum aus der Gruppe der Nitro-Vasodilatoren“, sagte Professor Dr. Dr. Dres. h.c. Ernst Mutschler von der Universität Frankfurt am Main. Es ist ein Nitrat, praktisch ohne Nitrattoleranz, ein Nitrat, das die reaktive Sauerstoffspezies nicht signifikant erhöht, ein Nitrat mit deutlich geringerem Nitratkopfschmerz und trotzdem bei koronaren Herzerkrankungen wirksam, so Mutschler.

Das lipophile PETN, das vier Nitro-Gruppen enthält, wird zu 60 Prozent intestinal resorbiert und unterliegt einem starken First-Pass-Effekt. Dieser ist verbunden mit der Bildung biologisch wirksamer Metabolite. Als verantwortlich für den raschen Wirkungseintritt des PETN gilt inzwischen das Dinitrat, die lange Wirkdauer des Langzeitnitrats wird durch das Mononitrat sichergestellt.

Das freigesetzte Stickstoffmonoxid (NO) wirkt vasodilatierend. Außerdem hat es atheroprotektive und endothelprotektive Eigenschaften. Die Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid ist allerdings stark abhängig von der Bildung freier Sauerstoffradikale (ROS). Die ROS können NO binden und es so seiner Funktionen berauben.

 

Nitrat ohne Toleranz Die Nitrattoleranz der NO-Donatoren wird mit oxidativem Stress assoziiert. Doch während etwa die Wirkstoffe Isosorbidmononitrat (ISMN) und Isosorbiddinitrat (ISDN) auf Empfehlung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft wegen der Toleranzentwicklung eine intermittierende Therapie mit zwölfstündiger Pause verlangen, kann PETN ohne Nitratpause appliziert werden. Der Grund für die fehlende Toleranzentwicklung unter PETN ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Doch zeigten Studien, dass die NO-Freisetzung beim PETN auch auf einem redoxgeförderten, nicht enzymatischen Weg möglich ist. So kann NO trotz Enzymsättigung weiter gebildet werden.

 

Weniger Radikale

Unter der Gabe organischer Nitrate werden im Allgemeinen vermehrt Radikale produziert, nicht so bei PETN. Es wurde beobachtet, dass es die Produktion der ROS sogar zusätzlich senkt.

So konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden, dass sowohl PETN als auch sein aktiver Metabolit PETriN die Bildung endogener antioxidativer Prozesse stimuliert. Dabei kommt es zu einer Aktivierung des Enzyms Hämoxygenase 1 (HO 1) infolgedessen die HO-1-Metaboliten Bilirubin und Kohlenmonoxid werden freigesetzt werden.

In physiologischen Konzentrationen übernimmt Bilirubin offensichtlich eine wichtige antioxidative Funktion, dessen Effekt mit dem von HDL-Cholesterol gleichzusetzen ist. Neugeborene, die an einer durch Bilirubin hervorgerufenen leichten Gelbsucht erkranken, werden so vor dem ersten oxidativen Stress geschützt. Ihre Prognose ist deutlich besser, als diejenige von Säuglingen ohne Gelbsucht.

Nach neuesten klinischen Befunden gilt Bilirubin als Marker und Mediator vasoprotektiver Wirkungen. Patienten, deren Bilirubinspiegel im oberen Referenzbereich (high normal values) liegt, haben nachweislich ein geringeres kardiovaskuläres Risiko, während die Häufigkeit koronarer Erkrankungen bei niedrigen Bilirubin-Werten zunimmt.

Freies Eisen wird abgefangen

Die zweite Säule des antioxidativen Effekts von PETN basiert auf der Stimulation der Ferritin-Produktion. Oxidativer Stress ist an einer Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen beteiligt. „Neu ist, dass der eigentliche Übeltäter in dem Geschehen und der Produktion von wirklich gefährlichen, zelltoxischen Radikalen freies zytosolisches Eisen ist“, sagte Professor Dr. Henning Schröder von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Eisenionen sind essenzielle Katalysatoren bei der Bildung von Sauerstoffradikalen. Hier greift Ferritin als Schutzfaktor ein, indem es dem Zytosol freie Eisenionen entzieht. Die Umwandlung von ungefährlichem Superoxid in zelltoxische Hydroxyl-Radikale wird gebremst und so oxidativ verursachte Endothelläsionen verhindert.

Durch PETN wird die Ferritin-Expression signifikant erhöht, da der NO-Donor ein sehr potenter Induktor der Ferritin-Synthese ist. Die Langzeitnitrate ISMN und ISDN zeigen diesen Effekt dagegen nicht.

PETN wirkt damit sowohl über die Induktion der Ferritin-Synthese als auch der HO-1-Aktivität antioxidativ und zellprotektiv. Dabei ist das von HO 1 ebenfalls freigesetzte Kohlenmonoxid gleichzeitig vasodilatierend, antiinflammatorisch und antiapoptotisch.

Auf Grund ihrer protektiven Eigenschaften gelten Ferritin und HO-1 als potenzielle Zielstrukturen bei der Entwicklung neuer Therapiekonzepte, etwa für die Atherosklerose. Schließlich kann unter der Gabe von PETN die endotheliale Dysfunktion auf dem Weg zur Atherosklerose gestoppt werden.

Endothel muss funktionieren

Endothelschäden gelten als Ausgangspunkt einer Reihe von Erkrankungen. So zeigt sich endotheliale Dysfunktion bei Hypertonikern wie auch bei Patienten mit Diabetes, metabolischem Syndrom oder Niereninsuffizienz und bei Menschen mit koronarer Herzkrankheit.

 

NO-Synthase Bei chronischer Herzinsuffizienz ist die Endothelfunktion vermindert. Dabei spielt die endotheliale Verfügbarkeit von NO für die Vasomotorik eine entscheidende Rolle. In Experimenten konnte gezeigt werden, dass durch Hemmung der NO-Synthase der Blutfluss in den Gefäßen reduziert werden kann. Auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz wird weniger NO bereitgestellt, wodurch die Dilatation deutlich vermindert ist. Außerdem kann NO so die Hypertrophie im Herzen nicht mehr inhibieren und die Angiogenese beeinflussen.

 

Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist die Expression der NO-Synthase im Herzen und in den peripheren Systemen weitgehend vermindert. Gleichzeitig konnte in Studien aber auch nachgewiesen werden, dass NO verstärkt abgebaut wird. So zeigte sich, dass etwa die Xanthinoxidase, die bei der Produktion von ROS eine Rolle spielt, bei Herzinsuffizienten eine doppelt so hohe Aktivität aufweist. Wissenschaftler sehen daher in der Inaktivierung von NO durch ROS ein Hauptproblem der Erkrankung.

„Die Endothelfunktion ist ein unabhängiger Parameter für das Überleben“, resümierte Professor Dr. Helmut Drexler von der Universität Hannover. „Wer in der Lage ist, die Endothelfunktion therapeutisch zu beeinflussen, der wird wahrscheinlich eine Verbesserung der Prognose erreichen“. Statine tun dies, weshalb derzeit mit dieser Wirkstoffklassen große Studien laufen – für PETN steht der Beweis noch aus.

Gut zu kombinieren

Obwohl die erste Anwendung von PETN als Medikament bereits 1943 beschrieben wurde, liegen erst jetzt doppelblinde randomisierte Untersuchungen zur Wirksamkeit bei stabiler Angina pectoris vor. „Damals gab es noch keine Dosisfindungsstudien, bis jetzt war alles empirisch“, sagte Professor Dr. Walter Lehmacher von der Universität Köln.

In einer -Studie wurde add-on Pentalong® mit ISDN verglichen. ISDN ist in der im Studiendesign verwendeten Dosierung (zweimal 20 mg/d, slow release) der derzeit meist verschriebene Wirkstoff aller Koronarmittel in Deutschland. Bei dem Vergleich zeigte sich, dass die Wirksamkeit von ISDN und PETN auch von der Begleittherapie beeinflusst wird. Insbesondere bei gering belastbaren Patienten konnte eine vorteilhafte therapeutische Wechselwirkung zwischen PETN und ACE-Inhibitoren beobachtet werden. Bei ISDN trat dieser Effekt nicht auf. Dagegen hatte ISDN in der Gruppe der Patienten mit Angina-pectoris-Anfällen in der Eingewöhnungsphase einen Vorteil gegenüber PETN. Daher wird vermutet, dass hier unterschiedliche Wirkmechanismen zum Tragen kommen.

Im Verlauf der Studie nahm die Zahl der Patienten mit Angina-pectoris-Anfällen ab, wobei sich ein statistisch signifikanter Vorteil für PETN herausstellte. Auch war PETN am Ende der Beobachtungszeit von zwölf Wochen ISDN generell überlegen: Die Belastbarkeitswerte der Patienten unter ISDN waren nach dieser Zeit wieder auf die Ursprungswerte zu Therapiebeginn zurückgefallen. „Hier zeigt sich vermutlich eine Nitrattoleranz, obwohl dies nach den bisherigen Kenntnissen über die übliche Therapie nicht zu erwarten war“, sagte Lehmacher.

 

Breite Dosisspanne PETN wurde in der Studie ebenfalls in der üblicherweise angewandten Dosis verabreicht: Zweimal 80 mg PETN pro Tag gelten als Standarddosis. Daneben sind auch dreimal 50 mg PETN pro Tag durchaus üblich. Die Tagesdosisempfehlungen reichen heute bis 240 mg. „Der Kliniker kann die Dosis aber noch darüber hinaus steigern“, sagte Mutschler. 400 mg sollten jedoch nicht überschritten werden, denn dort beginnt die Toleranzschwelle von PETN. Diese liegt somit weit über dem, was normalerweise therapeutisch eingesetzt wird. Der No-effekt-Level wird bei 20 mg pro Tag angesetzt.

 

Generell sind Nitrate mit anderen Therapieprinzipien gut kombinierbar und zeigen nur geringe unerwünschte Wirkungen. Deshalb können Nitrate im Unterschied zu Betablockern und Calciumantagonisten auch bei den wichtigsten Begleiterkrankungen der Angina pectoris, wie Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Hyperlipoproteinämie und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung ohne Einschränkungen empfohlen werden, so die 20. Auflage (2003) der „Arzneiverordnungen – Empfehlungen der rationalen Pharmakotherapie“. Dabei kommt es unter PETN seltener und zu weniger schwerem Nitratkopfschmerz, als dies bei anderen Nitraten der Fall ist. Top

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