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Klinische Pharmazie für Offizinapotheker

25.10.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag

Klinische Pharmazie für
Offizinapotheker

von Stephanie Czjaka, Berlin

Der Begriff "Klinische Pharmazie" ist nicht gleichzusetzen mit Krankenhauspharmazie. Klinische Pharmazie bedeutet individuell auf den Patienten zugeschnittene Pharmazie. Damit ist sie auch ein Fach für Offizinapotheker. Das wurde auf dem 28. Symposium der Europäischen Gesellschaft für Klinische Pharmazie (ESCP) in Berlin immer wieder betont.

In Deutschland ist die Weiterbildung für Krankenhausapotheker mit dem Begriff Klinische Pharmazie verbunden. Damit sei der Begriff unglücklicherweise zu eng gefasst, bemerkten einige deutsche Teilnehmer am Rande des Kongresses. Der Trend gehe jedoch weg von dieser strengen Einteilung, bestätigte Dr. Roland Radziwill, Krankenhausapotheker der Städtischen Kliniken in Fulda. Aus Ländern, die mehr Erfahrung mit Klinischer Pharmazie haben, kommen deutlichere Worte: Jeder Apotheker, der sich um die individuellen Medikationsprobleme seiner Patienten bemühe, arbeite "klinisch", sagte Stephen Hudson, Professor für Pharmaceutical Care an der Universität von Strathclyde, Schottland. Klinische Pharmazie sei daher kein Spezialfach. Der Begriff Pharmazeutische Betreuung beschreibt seiner Auffassung nach ein System zur Therapieverbesserung und Qualitätssicherung.

Einer deutscher Presseerklärung zufolge ist Pharmazeutische Betreuung die "Umsetzung der Erkenntnisse der Klinischen Pharmazie in die Praxis". Unabhängig vom Begriff, sei die Philosophie überall dieselbe: "sich als Anwalt des Patienten und seiner Belange zu begreifen."

Wie soll nun die Brücke von der Klinik in die öffentliche Apotheke geschlagen werden? Bei einer schottischen Treuhandgesellschaft (Lothian Primary Care Trust), die psychisch Kranke versorgt, gibt es feste Organisationstrukturen für alle beteiligten Apotheker, berichtete Patricia Murray aus Edinburgh. Über Vertreter stehen sie in Kontakt mit Kollegen der Nachbarregion und mit einem Koordinator aus dem Krankenhaus. Durch diese Zusammenarbeit entstanden Projekte wie zum Beispiel die Überwachung von Methadon-Patienten.

Wünschenswert für Deutschland wäre, dass der Apotheker bei der Einweisung die Medikationsdaten des Patienten an das Krankenhaus schickt, meinte Professor Dr. Marion Schaefer, Humboldt Universität Berlin. Umgekehrtes gilt für die Entlassung. Elektronische Medien würden dies erleichtern. In Holland praktiziere man das zum Teil schon, in Deutschland möchte Dr. Gerhard Carstens, Apotheker aus Hannover, diesen Service demnächst einführen.

Mehrere Untersuchungen ergaben, dass Medikationsdaten oft nur ungenau übermittelt werden. Bei 765 Verschreibungen stellte Dr. Randi Myhr, Krankenhausapothekerin aus Oslo, 83 Übertragungsfehler bei Dosierung oder Identität des Arzneistoffs fest. Manche Medikamente wurden ganz vergessen. Ein Patient erhielt beispielsweise ein Antihistaminikum statt eines Gichtmittels (Zyrtecâ statt Zyloricâ). Von 135 Verordnungen für Chemotherapeutika einer Schweizer Kinderkrebsstation wurden 16 von den Schwestern falsch abgeschrieben, bei den übrigen Medikamenten stimmten 76 von 198 Verordnungen nicht mit dem Original überein.

Evidenzbasierte Pharmazie Inhaltlich wollen sich die klinischen Apotheker für eine rationalere Arzneimitteltherapie einsetzen. Dazu müsse die Datenlage verbessert werden, sagte Schaefer. Studien sind nicht nur sorgfältig durchzuführen, sonder es sollten auch systematische Fehler bei der Auswertung mehrerer Studien vermieden werden, erklärte Dr. Gerd Antes, Direktor des deutschen Cochrane Centers, Freiburg. Oft würden Arbeiten mit nicht signifikanten Ergebnissen unveröffentlicht, manche Studien seien schwieriger zu finden oder nicht in englischer Sprache verfügbar. Für Professor Dr. Nick Barber von der School of Pharmacy in London ist Evidenz relativ. Die Apotheker als kleine Gruppe müssten mehr und bessere Beweise erbringen als stärkere Berufsgruppen.

In Berlin wurden die unterschiedlichsten Untersuchungen präsentiert: es gab rein fachliche Studien zu Pharmakokinetik oder zur Dosierung einzelner Arzneistoffe, zur Pharmakotherapie oder zu Pharmakogenomics. Daneben stellten Autoren aber auch Kosten-Nutzen Analysen oder reine Datensammlungen (zum Beispiel zum Antibiotikaverbrauch) sowie Untersuchungen über den Erfolg pharmazeutischer Interventionen vor. Die Apotheker des Klinikums Fulda beispielsweise zeigten, dass Patienten seltener unter Nebenwirkungen wie Durchfall oder Erbrechen litten, nachdem in der Klinik Richtlinien zur enteralen Ernährung eingeführt wurden.

Auch die deutsche Asthma-Studie zur Pharmazeutischen Betreuung wurde vorgestellt (siehe PZ 37/99, Seite 11). Mit weniger als 5 Prozent aller Posterbeiträge war die deutsche Beteiligung allerdings eher gering. In Arbeitsgruppen während dem Berliner Symposium beschäftigten sich die Teilnehmer mit Detailfragen; zum Beispiel wie pharmakokinetische Parameter von Antiinfektiva richtig bestimmt werden. Von Antibiotikum zu Antibiotikum gebe es große Unterschiede beim Proteinbindungsvermögen. Es sei daher falsch, allein aus der totalen Serumkonzentration die Dosierung abzuleiten, sagte Professor Dr. Hartmut Derendorf von der University of Florida. Auch bei der Berechnung der Arzneistoffkonzentration im Gewebe sei das Proteinbindungsvermögen zu berücksichtigen. Der Konzentrationsgradient für die Diffusion ins Gewebe verändere sich durch ungebundenen Arzneistoff.

Der Kongress wollte "Brücken schlagen". Brücken vom Krankenhaus in die Praxis, vom Apotheker zum Arzt, von der Forschung in die Praxis und auch vom Studenten zum Klinischen Pharmazeuten. Auf dem gemeinsamen Symposium der europäischen Studentenorganisation (EPSA) mit der ESCP wurde deutlich, wie in England oder in den Niederlanden unterrichtet wird: Studenten lernen an Fallbeispielen oder durch Rollenspiele, sie gehen im Krankenhaus mit auf Visite und öffentliche Apotheker tragen ihre Fälle in der Universität vor. Von seiten der ESCP könnte mehr für die Weiterbildung getan werden, meinte deren Präsidentin Dr. Giovanna Scroccaro, Poliklinik Verona, in ihrem Jahresbericht. "ESCP braucht eine stärkere Beteiligung seiner Mitglieder."

Arbeitsgruppen für alle

Innerhalb der Europäischen Gesellschaft für klinische Pharmazie (ESCP) beschäftigen sich Arbeitsgruppen (SIG) mit speziellen Themenbereichen wie beispielsweise Infektionskrankheiten, Geriatrie, Ernährung oder Pharmakokinetik. An diesen Arbeitsgruppen können Apotheker aus Krankenhaus und öffentlicher Apotheke teilnehmen, betonte Professor Dr. Ulrich Jaehde, Bonn. Vorraussetzung ist die Mitgliedschaft bei der ESPC. Nähere Informationen gibt es im ESPC-Sekretariat in Leiden in der Theda Mansholtstraat 5b, 2331 JE Leiden, NL, Telefon: 0031-71-5722430 oder im Internet unter http://www.escp.nl

Master-Kurs in England

Die Universität Strathclyde in Schottland bietet Masterkurse in Klinischer Pharmazie an. Der Kurs dauert ein Jahr, kann aber in getrennten Blocks absolviert werden. Vorausgesetzt wird ein abgeschlossenes Studium, eine mindestens einjährige Tätigkeit in einer Apotheke und eine Englisch-Prüfung (TOEFL) mit passablem Ergebnis. Der Kurs kostet rund 2700 englische Pfund. Weitere Informationen gibt es bei: Lothian Pharmacy Practice Unit, Western General NHS Trust, Crewe Road Edinburgh, EH4 2XU. Telefon: 0031-537-1216/1212, E-Mail: wghpharm@sporan.u-net.com oder im Internet unter http://www.strath.ac.uk/Departments/PharmSci/ Top

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