Pharmazeutische Zeitung online

Impfung schützt vor Infektionen und vor Krebs

07.06.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-VerlagPHARMACON MERAN

Impfung schützt vor Infektionen
und vor Krebs

"Wir sind, so bitter das klingt, in Europa ein Schlußlicht bei der Durchsetzung des Impfprogramms", sagte Professor Dr. Wolfgang Raue aus Leipzig und beklagte damit die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung. Die meisten Patienten erlebten die Infektionskrankheiten nur noch imaginär.

Rötungen an der Einstichstelle und leichtes Fieber als Folge der Impfung scheine den meisten Menschen weit schlimmer als eine Erkrankung, die sie in ihrer direkten Umgebung noch nie erlebt haben. Für die Eradikation von Viruserkrankungen müsse die Durchimpfung in der Bevölkerung jedoch bei 95 Prozent liegen.

Die Menschen konsequent aufzuklären sei daher sehr wichtig. "Moderne Impfungen sind nicht so gefährlich wie vom Volksmund behauptet. Es gibt nichts effektiveres in der modernen Medizin", sagte Raue.

Häufig werde aus den falschen Gründen nicht geimpft. Selbst Kinder, die Antibiotika sowie niedrige Dosen an Glukokortikoiden einnähmen oder steroidhaltige Präparate lokal anwendeten, könne man impfen. Auch Frühgeborene sollten unabhängig von ihrem Geburtsgewicht entsprechend dem empfohlenen Impfalter geimpft werden. Für Kinder mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten sei eine Impfung mit Totimpfstoffen gefahrlos, meinte Raue. Patienten, denen die Milz entfernt wurde, müßten unbedingt einen Impfschutz gegen verschiedene bakterielle Infektionen haben. Für Kinder mit zystischer Fibrose seien Impfungen gegen Pertussis, Tuberkulose, Masern und Influenza sogar besonders wichtig. Ihre pulmonale Kondition werde dadurch nicht verschlechtert und eine Infektion mit den Erregern verlaufe bei den Mukoviszidose-Kindern besonders schwer.

Die STIKO empfiehlt im ersten und zweiten Lebensjahr Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae, Poliomyelitis, Hepatitis B, Masern, Mumps und Röteln (s. Tabelle). Man solle allerdings Kinder nicht mit Nadelkissen verwechseln und so häufig wie möglich Kombinationsimpfstoffe verwenden, meinte Raue. Wichtig sei ein frühzeitiger Beginn, ein zeitgerechter Abschluß und regelmäßige Wiederholungsimpfungen.

Die wenigsten Menschen in Deutschland hätten einen ausreichenden Schutz vor Diphtherie, obwohl die Erkrankung sich wieder verbreite. Zudem wüßten viele Ärzte nicht, wie die Erkrankung zu behandeln ist. Erst kürzlich sei daran ein Kind gestorben, so Raue. Diphtherie-Patienten müßten so schnell wie möglich mit antitoxischen Serum behandelt werden, das das Diphtherie-Toxin neutralisiert. Antibiotika seien hier zweitrangig. Die STIKO empfiehlt eine Auffrischung der Diphtherie-Impfung alle zehn Jahre.

Eine Impfung mit besonders hohem Nutzen für die Patienten, aber sehr geringer Akzeptanz ist die Hepatitis-B-Impfung. Jährlich würden in Deutschland 5000 bis 8000 Hepatitis-B-Erkrankungen gemeldet, die Dunkelziffer liege bei etwa 50000. Das Hepatitis-B-Virus sei sehr infektiös - ein Tropfen Blut eines Infizierten reiche aus, um jeden Tropfen Wasser einer randvollen Badewanne ansteckend zu machen. Infizieren könne man sich bereits beim Küssen oder einer geteilten Zigarette.

Die Erkrankung verlaufe besonders häufig chronisch und aus einer chronischen Hepatitis-B-Infektion entwickele sich bei vielen Patienten Leberkrebs. Mit der Hepatitis-B-Impfung könne man daher einer Krebserkrankung vorbeugen. "Hätte man einen solchen Impfstoff gegen HIV, das viel weniger infektiös ist, würden die Menschen Schlange stehen, um sich impfen zu lassen", kommentierte Raue sein Unverständnis für das geringe Interesse in der Bevölkerung. Man müsse allerdings sehr früh impfen, denn eine sehr frühe Infektion mit Hepatitis B erhöhe das Risiko für Leberkrebs drastisch.

Sowohl Keuchhusten als auch Polio seien keine Kinderkrankheiten, betonte der Pädiater. Bei Pertussis gebe es völlig atypische Verläufe, die Erkrankung sei dadurch oft schwierig zu diagnostizieren. Zudem verhindere die Impfung nur die Erkrankung, nicht die Infektion. Es gebe daher asymptomatische Keimträger in der Bevölkerung, die Menschen ohne Impfschutz infizieren können, ohne selbst krank zu sein. Daher denke man über eine zusätzliche Auffrischimpfung nach.

Die traditionelle Schluckimpfung gegen Polio sei heute ethisch nicht mehr zu vertreten, meinte Raue. Einige Patienten sind in den letzten Jahren dadurch an Poliomyelitis erkrankt - eine natürliche Polioinfektion sei jedoch in Deutschland seit zehn Jahren nicht mehr aufgetreten. Bei der oralen Impfung nach Sabin erhalten die Patienten vermehrungsfähige abgeschwächte Polioviren und scheiden sie für einige Zeit aus.

Die Viren können dann wieder in Richtung Wildtyp mutieren, was zu einer paralytischen Poliomyelitis führen kann. Die STIKO empfehle daher inzwischen den IPV-Impfstoff (Inactivated Polio Vaccine), der inaktivierte Viren enthält und daher nicht die Gefahr für vakzine-assoziierte Polioinfektionen birgt. Der Impfstoff muß parenteral appliziert werden, ist im Vergleich zur Schluckimpfung teuer und induziert im Gegensatz zur Schluckimpfung lediglich eine humorale Abwehr, die aber laut STIKO genauso gut vor einer Infektion mit Polio-Viren schützt wie die Schluckimpfung.

Infektionen mit Masern-, Mumps- und Röteln-Viren seien deshalb gefährlich, weil die meisten Menschen sie für harmlos halten. Bei Masern nähmen die Komplikationen in den letzten Jahren zu, da die Erkrankung immmer häufiger nach dem Kleinkindalter auftrete. Mumps sei die häufigste Ursache für eine bleibende Schwerhörigkeit.

Bei der Tuberkulose sei eine Impfung nicht zu empfehlen, obwohl ein Anstieg der Erkrankungen auch in Deutschland zu befürchten sei und die Erreger inzwischen multiple Resistenzen entwickelt hätten. Die Impfung, die derzeit auf dem Markt ist, biete jedoch einen zu geringen Impfschutz und Infektionen seien danach in einem frühen Stadium nicht mehr nachweisbar. Wie man hier weiter verfahren wolle, sei noch unklar.

Top

© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa