Das Dilemma der pharmazeutischen Hochschulausbildung |
05.03.2001 00:00 Uhr |
Zum 1. Oktober 2001 tritt eine novellierte Approbationsordnung für Apotheker in Kraft. Ist damit nun der Ruin eines angesehenen Berufsstandes eingetreten, wie es einigen ängstlichen Münchner Kollegen schon 1995 schwante (siehe PZ 13/95, Seite 24). Mitnichten! Der bevorstehende Termin gibt Gelegenheit zu fragen: Wer hat was in der Novellierung der Approbationsordnung erreicht? Was wurde verfehlt? Wo kann, soll oder wird die Entwicklung künftig hingehen?
Es ist erfreulich, dass die Standesorganisationen der Apotheker ausgiebig mitgewirkt haben; zum Teil wohl im Streit mit den Hochschullehrern, wie die Münchner Ängste zeigen. Die pharmazeutischen Hochschullehrer müssen sich fragen lassen, wer beurteilen kann und soll, was der Apotheker im beruflichen Alltagsgeschäft an Wissen zum Umgang mit Arzneimittel, Patient und Arzt benötigt.
Wir, auch die Münchner Kollegen, haben doch die Damen und Herren in den Führungsgremien der Apothekerschaft ausgebildet, die an den hoffentlich regelmäßigen Novellierungen der Approbationsordnung maßgeblich beteiligt sind. Offensichtlich haben wir eine Menge Wissen vermittelt, mit dem sie in der Praxis wenig anfangen können. Das sollte uns nachdenklich stimmen. Die Apothekerschaft tut recht daran, weiter initiativ zu bleiben, denn die jüngere Generation der Hochschullehrer kennt die öffentliche Apotheke oft nur noch aus einem sehr kurzen Pflichtpraktikum.
Was bringt die neue Ausbildungsordnung?
Insgesamt wurden Praktikumszeiten vermindert und begleitende Seminare ausgeweitet, der chemische Bereich scheinbar von circa 60 auf 40 Prozent gestutzt. Scheinbar deshalb, weil man die Biochemie und Pathobiochemie - zwei chemische Sachgebiete - in den Bereich der biologischen Fächergruppe gestopft hat. Damit kann man sich fürs erste weiter darum drücken, Grundsätzliches an der chemischen Ausbildung zu hinterfragen. Wir sind der Chemie light ein Stück näher gerückt - eine merkwürdige Strategie.
Die pharmazeutische Biologie wurde etwas entrümpelt und will sich vermehrt die Molekularbiologie und Biotechnologie an die Brust drücken. Damit begibt sie sich auf den selben matschigen Pfad, auf dem schon die Pharmazeutische Chemie stecken zu bleiben droht. Denn ebenso, wie angehende Apotheker oft Vorlesungen über chemische Synthesen von Arzneistoffen anöden, wird es mit Details der Molekularbiologie und Biotechnologie sein. Obendrein wendet sich die Forschung schon von der Genexpression ab und dem exprimierten Produkt, also dem Protein, und seinen chemischen Eigenschaften zu.
Was wurde hier versäumt? Das zur Zeit boomende Gebiet ist die Zellbiologie. Es bleibt in der novellierten Approbationsordnung weitgehend vor der Tür der pharmazeutischen Biologie. Ein einfaches Beispiel zur Illustration: Die Chemie der Glykolyse/Gluconeogenese ist überaus wichtig (Biochemie), aber wo, wie und mit welchen Strukturkomponenten letztlich aus Einzelteilen eine regulierte Multifunktionseinheit in der Zelle wird, ist von entscheidender Bedeutung (Zellbiologie). Es gibt keinen Zweifel, dass dem zellulären Grundstücksmarkt mit seinen komplexen Verkehrswegen und Transportmodalitäten in Fragen des Gesundheits- und Krankheitsgeschehen eine wachsende Bedeutung zukommt. Wer soll das lehren? Chancen für die nächste Novellierung.
Eine virtuelle Neuerung ist die Einführung des Faches Klinische Pharmazie, das bislang meines Erachtens keine eigene Identität besitzt. Dies ist problematisch. Logischerweise ist dieser Teilbereich der pharmakologischen Fächergruppe zugeordnet worden. Mir scheint er die Pharmakologie korrigieren zu wollen im Sinne einer stärkeren Hinwendung zur Wirkung des Arzneimittels am real existierenden Patienten. Möglich, dass bei der Pharmakologie für Pharmazeuten die biochemischen Arzneistoffwirkungen anstelle der Wirkungen auf den Patienten zu sehr in den Vordergrund geraten sind. Die Apotheker hatten ein Recht darauf zu fordern, diese Lehrlücke zu schließen. Ob die Einrichtung des Faches Klinische Pharmazie dafür ausreicht und sinnvoll ist, wird sich weisen.
Zwei Professuren für dieses Faches sind bisher mit Vertretern aus der pharmazeutischen Chemie besetzt worden. Was das verheißen soll, ist mir schleierhaft. Wenn jemand den Bezug zum Patienten in der Klinik herstellen kann, dann doch wohl der Pharmakologe vor Ort, den es noch nicht flächendeckend in allen pharmazeutischen Fakultäten gibt.
Biochemie im Parkhaus der pharmazeutischen Biologie
Auf welche Trends kann man aus der Novellierung der Ausbildungsordnung schließen? In der Arbeitsgruppe "Apothekerausbildung" gab es Beweger und Bewegte. Für die Hochschullehrer stand, wie immer, allein das Arzneimittel im Mittelpunkt, für die Standesorganisationen dagegen vernünftigerweise das Arzneimittel zusammen mit dem Patienten. Das vorgelegte Resultat deutet an, dass die Beweger schon mit etwas Bewegung an sich zufrieden waren und etwas zu wenig auf die Richtung geachtet haben. Die Bewegten wiederum, teilweise zufrieden mit dem Status quo, waren sich weder einig in dem, was sie nicht wollten, noch wohin sie sich bewegen lassen wollen. Nur so kann ich mir erklären, dass die Biochemie im Parkhaus der pharmazeutischen Biologie untergestellt wurde und die Zellbiologie, eines der besonders rasant aufsteigenden Gebiete, auf dem Fabrikhof blieb. Ich denke, dass die riesige Chance noch ergriffen werden muss, die die moderne Wissenschaftsentwicklung den Apothekern für eine zeitgemäße und entwicklungsfähige Ausbildung anbietet: eine stark chemisch verankerte physiologische Chemie und eine darauf aufbauende Zellbiologie als Voraussetzung für ein naturwissenschaftlich begründetes Verständnis des Krankheitsgeschehens und der Arzneistoffwirkung am Patienten.
Nicht nur dies ist gegenwärtig die Grundlage aller neuen Arzneistoffentwicklungen. Es würde auch dazu beitragen, dass der Offizinapotheker für den Arzt ein sachkundiger Gesprächspartner und für den Patienten ein vernünftiger Ratgeber bleibt.
Wie es uns gelingt, verschiedene gesundheitsrelevante Wissenschaftsgebiete unter dem Blickwinkel Arzneimittel und Patient in die Ausbildung zu integrieren, wird über die Zukunft unseres Berufsstandes mit entscheiden. Die Zeit drängt. Die ersten CDs zur Selbstdiagnose (Beschwerden am virtuellen Körper per Mausklick) sind auf dem Markt. Also auf zur nächsten Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Joachim E. Schultz
Pharmazeutisches Institut
Universität Tübingen
Morgenstelle 8
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