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Arsentrioxid zur Leukämiebehandlung

08.09.2003  00:00 Uhr
Arzneistoffprofil

Arsentrioxid zur Leukämiebehandlung

von Thilo Bertsche und Martin Schulz*, Berlin

Lange als Arzneimittel in Vergessenheit geraten, erlebt Arsentrioxid in der onkologischen Hämatologie ein Revival. Seit Juni 2002 steht Arsentrioxid (Trisenox®) auch in Deutschland zur Secondline-Therapie der rezidivierenden oder refraktären akuten Promyelozyten-Leukämie zur Verfügung.

*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck und Petra Zagermann-Muncke

Napoleon I. (1769 bis 1821) könnte in seinem Exil auf der Atlantikinsel St. Helena einem Giftmord durch eine Arsenverbindung zum Opfer gefallen sein. Dafür sprächen eine Neutronenaktivierungs-Analyse in Garching bei München, die erhöhte Arsenkonzentrationen im gereinigten Haar nachweisen konnte. Bonaparte könnte jedoch auch an Magenkrebs verstorben sein. Dafür sprächen der damalige Autopsiebefund und die Familienanamnese. Zudem liegen die gefundenen Arsenkonzentrationen weit unter denen von „überlebten Arsenvergiftungen“. Das Arsen in der Haarprobe könnte auch von einer Arsen-haltigen Tapetenfarbe, Haarfärbemitteln, oder nachträglich zugesetzten Konservierungsmitteln für die Haare des bereits Verstorbenen herrühren. Vielleicht wurde auch eine Arsenverbindung in medizinischer Behandlungsabsicht verabreicht.

Woran Napoleon nun wirklich gestorben ist, können wir nicht beantworten. Im folgenden beantworten wir jedoch die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Anwendung mit dem als Gift bekannten Trioxid des Arsens zur Behandlung von bestimmten leukämischen Krebserkrankungen gerechtfertigt ist (1 bis 3).

Chemische Klassifikation

Arsentrioxid kommt in der Natur in den zwei kristallinen Formen Arsenolith (kubisch) und Claudetit (monoklin) vor. Daneben gibt es noch eine amorphe Form. Die Substanz wird auch weißer Arsenik, Arsenigsäureanhydrid, Arsenblüte, Hüttenrauch oder Giftmehl genannt. Es wird durch Rösten Arsen-haltiger Erze gewonnen. Die Summenformel lautet As2O3; das Molekulargewicht beträgt 197, 8 (4, 5).

Indikationen und Anwendungen

Arsentrioxid dient zur Induktion einer Remission und Konsolidierung bei erwachsenen Patienten mit rezidivierender oder refraktärer akuter Promyelozyten-Leukämie (APL). Die APL stellt eine der acht Unterarten der akuten myeloischen Leukämie (AML) dar. Sie ist durch das Vorhandensein einer abnormalen Translokation von Chromosom 17 auf 15 und/oder des Promyelozyten-Leukämie/Retinsäurerezeptor-a-(PML/RAR-a)-Gens gekennzeichnet. Diese genetische Veränderung führt zur Bildung eines anormalen Proteins, welches das normale Zellwachstum verhindert und die Reifung von Leukozyten-Vorläuferzellen im Knochenmark unterdrückt.

Die Therapie mit Arsentrioxid ist nach Versagen einer Standardtherapie indiziert. Als Standardprotokoll bei APL gilt eine Kombinationstherapie mit all-trans-Retinoiden und Anthracyclinen. Für 20 bis 30 Prozent der Patienten mit diagnostiziertem Rezidiv ist jedoch eine Salvage-Therapie (Definition siehe Kasten) erforderlich. Für andere Subtypen der AML wurde Arsentrioxid bislang klinisch nicht untersucht (6, 7).

 

Formen einer Chemotherapie (15) Adjuvante Therapie Chemotherapie nach potenziell kurativer Operation und/oder Bestrahlung zur Vermeidung eines Rezidivs. Neoadjuvante Therapie Chemotherapie, die vor einer Operation oder Bestrahlung zur Reduktion der Tumormasse durchgeführt wird. Salvagetherapie Induktionstherapie, die nach dem Versagen der Standardtherapie mit kurativer Intention eingesetzt wird. Induktionstherapie Hochdosierte Chemotherapie zur Erzielung einer kompletten Remission. Konsolidierungstherapie Wiederholung einer Induktionstherapie nach Erreichen einer kompletten Remission. Intensivierungstherapie Induktionstherapie in erhöhter Dosierung oder sonstige hoch dosierte Kombinationstherapie zu bestimmten Zeitpunkten in der kompletten Remission. Erhaltungstherapie Niedrigdosierte Chemotherapie über einen längeren Zeitraum bei bestehender kompletter Remission. Hochdosistherapie Dosiseskalierte, myoloablative Chemotherapie, an die im Anschluss eine Knochenmarktransplanation (KMT) oder Stammzelltransplantation aus peripherem Blut (SZT) durchgeführt wird. Mobilisierungstherapie Tumorspezifische Chemotherapie in Kombination mit Zytokinen zur Stimulation der Hämatopoese. Konditionierungstherapie Chemotherapie mit oder ohne Bestrahlung zur Vorbereitung auf die KMT oder SZT unter anderem mit der Zielsetzung der Immunsuppression.

 

Arsentrioxid ist intravenös über einen Zeitraum von ein bis zwei Stunden zu infundieren. Bei akuter vasomotorischer Reaktion kann die Infusionsdauer auf bis zu vier Stunden ausgedehnt werden. Ein zentraler Venenkatheter (ZVK) ist nicht erforderlich. Auf Grund ihrer Symptomatik und zur angemessenen Überwachung müssen die Patienten zu Beginn der Therapie hospitalisiert werden. Für Kinder, Erwachsene und ältere Patienten wird die selbe Dosierung empfohlen. Sicherheit und Effektivität bei Kindern unter fünf Jahren wurden noch nicht untersucht (6, 8).

Da die Behandlung mit Arsentrioxid eine Reservetherapie darstellt, ist sie in der Behandlung akuter Leukämien erfahrenen Ärzten in der Klinik vorbehalten. Die speziellen Überwachungsvorschriften sind stets einzuhalten. Eine Auslieferung des Präparates erfolgt daher nur an Krankenhausapotheken und Krankenhaus versorgende Apotheken (6).

Induktionstherapie

Arsentrioxid wird täglich intravenös mit einer gleich bleibenden Dosierung von 0,15 mg/kg Körpergewicht pro Tag infundiert, bis eine so genannte Knochenmarksremission erreicht wird, das heißt, bis der Blastenanteil weniger als 5 Prozent der Knochenmarkzellen ausmacht und keine leukämischen Zellen mehr nachweisbar sind. Tritt bis zum 50. Behandlungstag keine Knochenmarksremission ein, muss die Therapie abgesetzt werden (6).

Konsolidierungstherapie

Die Konsolidierungsbehandlung ist 3 bis 4 Wochen nach Beenden der Induktionstherapie einzuleiten. Arsentrioxid wird intravenös in einer Dosierung von 0,15 mg/kg Körpergewicht pro Tag bis zu 25-mal gegeben. Arsentrioxid wird täglich an fünf aufeinander folgenden Tagen, gefolgt von zwei Tagen Pause, für eine Dauer von fünf Wochen angewendet (6).

Wirkungen und Wirkmechanismus

Arsentrioxid besitzt Effekte auf den programmierten Zelltod (Apoptose) und auf ein anormales Protein, das die Ausreifung der Leukozyten inhibiert. Es konnte gezeigt werden, dass die Substanz in vitro morphologische Veränderungen und eine Fragmentierung der DNS induziert, wie sie für die Apoptose von NB4-Zellen der menschlichen Promyelozytenleukämie charakteristisch sind. Arsentrioxid verursacht außerdem eine Schädigung beziehungsweise den Abbau des Fusionsproteins PML/RAR-a. Es zerstört das durch eine genetische Veränderung bedingte anormale Protein, ermöglicht eine normale Zellreifung und den natürlichen Zelltod. Der genaue Wirkmechanismus von Arsentrioxid ist noch nicht vollständig geklärt (6 bis 12).

 

Arzneimittelprofil Arsentrioxid ist der wirksame Bestandteil des Arzneimittels Trisenox® der Firma Cell Therapeutics (UK) Limited, 100 Pall Mall, London SW1Y 5HP-UK. Das Konzentrat dient zur Herstellung einer Infusionslösung mit Arsentrioxid 1 mg/ml. Als Hilfsstoffe werden Natriumhydroxid, Salzsäure zur pH-Einstellung, Wasser für Injektionszwecke verwendet (6).

 

Nebenwirkungen

Nebenwirkungen traten bei 37 Prozent der Patienten in klinischen Studien auf. Die häufigsten Nebenwirkungen umfassten Hyperglykämie, Hypokaliämie, Neutropenie und erhöhte Alaninaminotransferase-Spiegel (ALT). Wie aus hämatologischen Bestimmungen und weniger aus den Nebenwirkungsmeldungen hervorging, kam es bei 50 Prozent der APL-Patienten zu einer Leukozytose. Erwartungsgemäß traten in dieser Patientengruppe schwerwiegende Nebenwirkungen häufig auf (1 bis 10 Prozent). Dabei wurden Fälle von APL-Differenzierungssyndrom, Leukozytose, QT-Zeitverlängerung, Torsades de Pointes, Vorhofflimmern/Vorhofflattern, Hyperglykämien und verschiedene schwerwiegende Reaktionen, die mit Blutungen, Infektionen, Schmerzen, Diarrhö und Übelkeit verbunden waren, dem Arsentrioxid zugeschrieben.

Generell gingen die während der Behandlung auftretenden unerwünschten Reaktionen im Laufe der Behandlung zurück. Dies könnte jedoch möglicherweise auch durch eine Besserung der Grunderkrankung bedingt gewesen sein. Insgesamt vertrugen die Patienten die Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie besser als die Induktionstherapie. Dies ist wahrscheinlich auf eine Überlagerung der Nebenwirkungen und dem in der früheren Behandlungsphase nicht beherrschten Krankheitsprozess sowie auf die zahllosen Arzneimittel zurückzuführen, die zur Kontrolle der Symptome und des Krankheitsgeschehens erforderlich sind.

Folgende unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden bei insgesamt 107 in klinischen Studien mit Arsentrioxid behandelten Patienten beobachtet.

Häufigkeit > 1 von 100 und < 1 von 10:

Neutropenie, Thrombozytopenie, Hyperglykämie, Hypokaliämie, Parästhesie, Dyspnoe, pleuritische Schmerzen, Arthralgie, Knochenschmerzen, Müdigkeit, Pyrexie, erhöhte ALT- und AST-Werte, QTc-Verlängerung im EKG.

Häufigkeit > 1 von 1000 und < 1 von 100:

Febrile Neutropenie, Leukozytose, Leukopenie, Hypermagnesiämie, Hypernatriämie, Ketoazidose, Perikarderguss, Tachykardie, Vaskulitis, Hypoxie, Pleuraerguss, Blutungen der Lungenalveolen, Oberbauchschmerzen, Diarrhö, Erythem, Pruritus, Rückenschmerzen, Myalgie, Schmerzen in den Gliedmaßen, Brustschmerzen, verstärkte Müdigkeit, Schmerzen an der Applikationsstelle, Knochenmarksveränderungen in der Biopsie, erhöhtes Bilirubin im Blut, vermindertes Magnesium im Blut.

Bei 25 Prozent der mit Arsentrioxid behandelten APL-Patienten kam es zu Symptomen, die dem Syndrom einer Retinsäure-aktivierten akuten Promyelozytenleukämie oder einem APL-Differenzierungssyndrom vergleichbar waren. Das Syndrom ist durch Fieber, Dyspnoe, Gewichtszunahme, Lungeninfiltrate und Pleura- sowie Perikardergüsse mit oder ohne Leukozytose gekennzeichnet und kann einen tödlichen Verlauf nehmen. Eine wirksame Behandlung ist nicht bekannt. Bei den ersten Anzeichen sollten 10 mg Dexamethason zweimal täglich intravenös für die Dauer von mindestens 3 Tagen oder länger gegeben werden, bis die Symptome abgeklungen sind. Ein Absetzen von Arsentrioxid während der Behandlung eines APL-Differenzierungssyndroms ist in der Regel nicht erforderlich. Eine andere Chemotherapie sollte parallel zur Steroidbehandlung jedoch nicht durchgeführt werden (6).

Akute Arsenintoxikationen äußern sich in heftigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt und Brechdurchfällen. Chronische Vergiftungen zeigen sich vor allem in neurologischen Erscheinungen, Hautveränderungen und Sekundärneoplasien (5).

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegenüber Arsen oder einem der Hilfsstoffe des Fertigarzneimittels. Da sich Arsentrioxid im Tiermodell als embryotoxisch und teratogen erwiesen hat, ist eine Anwendung in der Schwangerschaft kontraindiziert. Da Arsentrioxid in die Muttermilch übergeht, darf vor und während des gesamten Behandlungszeitraums nicht gestillt werden (6).

 

Frühere Anwendungen von Arsentrioxid Während elementares Arsen ungiftig ist, wurde Arsentrioxid (Arsenik) früher als Rodentizid (Rattengift) und Insektizid verwandt und hat in der Rechtsmedizin auch als potenzielles (Selbst-) Mordgift eine wichtige Rolle gespielt. Davon zeugen Kriminalromane und zahlreiche Analyseverfahren wie die Marsh’sche Probe, die der Pharmazeut heute immer noch – zumindest in der Theorie – in seinem Studium kennen lernt.

Arsentrioxid wurde früher innerlich bei Eisenmangelanämie, als Roborans, bei Psoriasis und bis vor kurzem bei Ekzemen empfohlen. Äußerlich diente es als Ätzmittel bei Geschwüren, Kondylomen und in der Zahnheilkunde zur Devitalisierung der Zahnpulpa. Als maximale Tagesdosis wurden 0,015 g eingesetzt. Tödliche Dosierungen werden mit 0,1 bis 0,3 g angegeben (4, 5).

 

Wechselwirkungen

Eine systematische Untersuchung pharmakokinetischer Interaktionen zwischen Arsentrioxid und anderen Pharmaka ist nicht erfolgt. Da Arsentrioxid zu einer Verlängerung der QTc-Zeit, Torsades de Pointes und totalem Herzblock führen kann, ist bei der Gabe von weiteren Arzneimitteln, Vorsicht geboten. Beispielsweise sollten Patienten unter Amphotericin-B, Schleifen- oder Thiaziddiuretika, die bekanntermaßen eine Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie verursachen, besonders sorgfältig beobachtet werden. Das gleiche gilt für Arzneistoffe, die ihrerseits das QTc-Intervall verlängern. Namentlich wird zum Beispiel eine Komedikation mit Klasse I- und III-Antiarrhythmika, Haloperidol, Thioridazin oder Ziprasidon aus diesem Grund nicht empfohlen.

Der Einfluss von Arsentrioxid auf die Wirksamkeit anderer antileukämischer Arzneimittel ist nicht bekannt (6, 8).

Pharmakokinetik

Nach intravenöser Einzel- oder Mehrfachgabe von 0,06 bis 0,3 mg/kg Körpergewicht täglich wurden die pharmakokinetischen Parameter an Patienten aus drei klinischen Arsentrioxid-Prüfungen untersucht. Die Patienten litten an APL, fortgeschrittenen malignen hämatologischen Systemerkrankungen oder fortgeschrittenen soliden Tumoren. In diesen Studien wurden lediglich die Arsen-Gesamtkonzentrationen im Plasma analysiert. Die Pharmakokinetik von dreiwertigem Arsen, der Wirkform von Arsentrioxid, wurde nicht dargestellt.

Der Grad der Arsenexposition schien proportional zur Dosis anzusteigen. Konzentrationsspitzen im Plasma wurden gegen Ende der Infusionszeit erreicht und sanken danach langsam ab. Bei täglicher Gabe schien sich das Fließgleichgewicht innerhalb von acht bis zehn Tagen einzustellen. Arsen wird überwiegend in Leber, Nieren, Herz, Lunge, Haaren und Nägeln gespeichert. Dreiwertige Arsenverbindungen werden im menschlichen Organismus methyliert und größtenteils über den Urin ausgeschieden. Bei täglicher Gabe von Arsentrioxid mit 0,15 mg/kg Körpergewicht stieg die Arsenausscheidung im Urin von APL-Patienten innerhalb zwei bis vier Wochen auf das etwa Vierfache des Ausgangswertes.

Wie Studien mit markiertem Arsentrioxid gezeigt haben, werden nach peroraler Gabe von 0,06 ng Arsen innerhalb von acht Tagen etwa 60 Prozent der Radioaktivität im Urin wieder gefunden. Als mittlere Eliminationshalbwertszeit wurden bei Patienten 92 Stunden ermittelt, was mit der für Arsen beschriebenen Eliminationshalbwertszeit von drei bis fünf Tagen übereinstimmt (6).

Klinische Prüfung

In einer kontrollierten Studie (13) wurde Arsentrioxid bei Patienten mit rezidivierender akuter promyeloischer Leukämie (APL) untersucht. Im bereits veröffentlichten Studienteil erhielten 40 Patienten mit ein oder mehreren Rückfällen tägliche Infusionen von Arsentrioxid bis zu maximal 60 Dosen oder bis alle leukämischen Zellen im Knochenmark eliminiert waren. Patienten mit kompletter Remission wurde ein Konsolidierungszyklus mit Arsentrioxid angeboten, der drei bis vier Wochen später begann. Patienten mit weiterbestehender Komplettremission erhielten weitere Zyklen.

34 Patienten (85 Prozent) erreichten eine Komplettremission. Bei 31 dieser Patienten verliefen zytogenetische Tests zum Nachweis des chromosomalen Defekts nach Behandlung negativ. Bei einigen Patienten standen Ergebnisse aus einer Untersuchung mittels Reverser Transkriptase-Polymerase Kettenreaktion (RT-PCR) zur Verfügung. Bei 86 Prozent der Patienten, die zunächst auf das für die APL verantwortliche Gene positiv getestet waren, war das Ergebnis nach der Arsentrioxid-Behandlung negativ.

32 Patienten erhielten eine Konsolidierungstherapie und 18 erhielten Arsentrioxid als Erhaltungstherapie. 11 Patienten wurden einer allogenen (n = 8) oder autologen (n = 3) Stammzelltransplantation nach Arsentrioxidtherapie unterzogen.

Das 18-monatige Gesamt- und rückfallsfreie Überleben wird mit 66 und 56 Prozent angegeben.

20 Patienten (50 Prozent) zeigten eine Leukozytose (> 10,000 weiße Blutzellen/µl) während der Induktionstherapie. 10 Patienten entwickelten Symptome eines APL-Syndroms, konnten jedoch effektiv mit Dexamethason behandelt werden. Eine QTc–Zeitverlängerung im EKG wurde häufig beobachtet (bei 63 Prozent). Ein Patient zeigte Torsade-de-pointes-Rhythmusstörungen. Zwei Patienten verstarben während der Induktionstherapie. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen seien hierfür jedoch nicht der Grund gewesen.

In einer weiteren Studie (14) wurden 12 Patienten mit APL und Rezidiv nach Vortherapie mit 0,06 bis 0,20 mg/kg Körpergewicht Arsentrioxid pro Tag behandelt, bis leukämische Zellen aus dem Knochenmark verschwunden waren. Mittels RT-PCR wurde auf PML-RAR-a-Fusionstranskripte untersucht. Weiterhin wurde die Expression der Apoptose-assoziierten Proteine Caspase 1, 2 und 3 dokumentiert. Arsentrioxid induzierte die Expression der Proenzyme der Caspase 2 und 3 und die Aktivierung der Caspase 1 und 3.

11 von 12 Patienten erreichten eine komplette Remission, die 12 bis 39 Tage dauerte. Unerwünschte Wirkungen zeigten sich beispielsweise in Unruhe, Verwirrtheit, Müdigkeit oder Muskelschmerzen. 8 von 11 Patienten waren in Bezug auf das PML-RAR-a-Fusionstranskript nach der Therapie negativ. Drei andere Patienten, die weiterhin positiv waren, erlitten ein frühes Rezidiv.

Arsentrioxid kann eine komplette Remission bei Patienten mit APL induzieren, die bereits ein Rezidiv erlitten haben.

 

Wertende Zusammenfassung Arsentrioxid ist eine seit langem toxikologisch und arzneilich bekannte Substanz. Vor kurzem wurde sie zur Anwendung in der onkologischen Hämatologie neu entdeckt. Die Zulassung erstreckt sich derzeit nur auf eine spezielle Form der akuten myeloischen Leukämie (AML), nämlich die akute Promyelozyten-Leukämie (APL). Auch dann ist eine Therapie nur zulässig, wenn eine Standardtherapie versagt hat. Die Anwendung darf nur unter stationären Bedingungen von hämatologisch-onkologisch erfahrenen Ärzten erfolgen. Das Risiko für erhebliche Nebenwirkungen vor allem im kardialen Bereich ist groß. Interessant ist Arsentrioxid bei refraktären und rezidivierenden Patienten besonders deshalb, weil bislang außer einer allogenen Stammzelltransplantion (SZT) nur wenige Behandlungsoptionen für solche Patienten zur Verfügung stehen.

 

Literatur

  1. Gersmann, G., Vorlesung Napoleon und Europa im WS 2002/03, unter: www.histinst.rwth-aachen.de/content/1053/Napoleon12.pdf, Stand 13. 06. 2003.
  2. Rheinische Post, unter: www.rp-online.de/news/wissenschaft/allgemein/2002-1029/napoleon.html, Stand 29. 10. 2002.
  3. ZDF Wissen und Entdecken, unter: www.zdf.de/ZDFde/inhalt/7/0,1872,2027591,00.html, Stand 13.06.2003.
  4. Blaschek, W., et al., HagerROM, Hagers Handbiuch der Drogen und Arzneistoffe. Springer Heidelberg, 2002.
  5. Burger, A., Wachter, H., Hunnius - Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gryter, Berlin, 7. Auflage 1993.
  6. Fachinformation Trisenox®, Cell Therapeutics (UK) Limited, Stand 11. 04. 2002.
  7. Brunner, U., Gensthaler B. M., Neu auf dem Markt. Pharm. Ztg. 147 (2002) 768.
  8. Micromedex® Healthcare Series Vol. 116 expires 6/2003.
  9. N. N., Arsenic study sparks concern at CTI. Scrip 2629 (2001) 20.
  10. Miller, W. H., et al., Mechanisms of action of arsenic trioxide. Cancer Res. 62 (2002) 3893 - 3903.
  11. Mayorga, J., et al., Arsenic trioxide as effective therapy for relapsed acute promyelocytic leukaemia. Clin. J. Oncol. Nurs. 6 (2002) 341 - 346.
  12. Moore, S., Neue Daten zu Arsentrioxid zeigen hohe Remissionsrate bei Patienten mit rezidierter und refraktärer Leukämie. Cell Therapeutics, Inc. 201 Elliot Ave West Suite #400, Seattle, WA 98119 USA. Unter www.cticseattle.com/pdf/med_PR_Deutsch.pdf, Stand 10. 04. 2003.
  13. Soignet, S. L., et al., United States multicenter study of arsenic trioxide in relapsed acute promyelocytic leukemia. J. Clin. Oncol. 19 (2001) 3852 - 3860.
  14. Soignet, S. L., et al., Complete remission after treatment of acute promyelocytic leukemia with arsenic trioxide. N. Engl. J. Med. 339 (1998) 1341 - 1348.
  15. Jaehde, U., et al., Lehrbuch der Klinischen Pharmazie. Wis. Verlagsges., Stuttgart, 2. Auflage 2003.

 

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