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Virus mit immunologischen Spätfolgen

02.08.2004  00:00 Uhr
RSV-Infektion

Virus mit immunologischen Spätfolgen

von Elke Wolf, Ulm

RS-Viren (Respiratory Syncytial Viren) sorgen bei Risikokindern für massive Atemwegsbeschwerden wie Bronchiolitiden und Pneumonien und machen überdurchschnittlich häufig einen Aufenthalt auf der Intensivstation notwendig. Nicht nur, dass manche Kinder selbst nach mehreren Jahren noch Probleme mit der Atmung haben. Mehr noch scheint bei ihnen auch die Asthma- und Allergierate erhöht zu sein.

Während RS-Viren bei reifen und gesunden Kindern meist nur für eine banale Erkältung sorgen, sind Frühgeborene, Kinder mit chronischen Lungenerkrankungen oder angeborenen Herzfehlern besonders gefährdet. Im Extremfall ist eine intensivmedizinische Betreuung notwendig. Symptome sind Keuchen, erschwerte, rasselnde Atmung bis hin zur Atemnot und tiefsitzender Husten. Die Mortalitätsrate unter den Risikokindern liegt zwischen 3 und 4 Prozent, bei gesunden Kindern versterben weit weniger als 1 Prozent.

Inwieweit einmal durchgemachte schwere RSV-Infektionen Langzeiteffekte zur Folge haben können, war Thema eines Symposiums im Rahmen der 30. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin in Ulm. Wie Professor Dr. Jürgen Seidenberg vom Elisabeth Kinderkrankenhaus in Oldenburg ausführte, haben noch 40 Prozent der kleinen Patienten nach einer 10 bis 13 Monate lang durchgemachten RSV-Bronchiolitis eine deutlich überblähte Lunge. In den ersten zwei Jahren danach erleiden 75 Prozent der Kinder mindestens noch eine weitere und 60 Prozent der Kinder mindestens drei weitere obstruktive Episoden (versus 4,2 Prozent bei gesunden Kindern).

Auch eine Metaanalyse aus dem Jahr 2000, die Langzeiteffekte über zwanzig Jahre vereint, gibt keine Entwarnung. Kinder, die wegen einer RSV-Bronchiolitis bis zu einem Jahr im Krankenhaus behandelt worden waren, hatten noch fünf Jahre später auffällig häufig mit Atemproblemen zu kämpfen (40 versus 11 Prozent Giemen). Selbst zehn Jahre später besteht noch ein erhöhtes Risiko (22 versus 10 Prozent Giemen). Das heißt: Zehn Jahre danach sind die Atemwege noch obstruktiv und hyperreagibel.

Mehr Allergien und Asthma

Wie sieht es mit der allergischen Sensibilisierung nach einer RSV-Bronchiolitis aus? Nach den Ausführungen Seidenbergs gibt es viele Studien, die keine erhöhte Sensibilisierungsrate aufweisen. Untersucht wurde ein Zeitraum von sieben bis zwölf Jahren. Zwei Studien zeigen jedoch andere Ergebnisse und sorgten in der Fachwelt für Aufsehen. So beweisen Bochumer Daten aus dem Jahr 2002, dass stationär behandelte RSV-Kinder nach einem Jahr signifikant häufiger rezidivierende Obstruktionen der Atemwege, atopische Dermatitiden sowie IgE-Antikörper gegen inhalative und Nahrungsmittelallergene aufweisen. Das relative Risiko für eine rezidivierende Obstruktion lag im Alter von einem Jahr bei 9, das für eine allergische Sensibilisierung gar bei 20, informierte Seidenberg. Die allergische Sensibilisierungsquote nimmt jedoch ab, je länger die RSV-Bronchiolitis zurückliegt. Auch die Autoren einer schwedischen Studie konnten 2000 deutlich mehr positive Allergieteste bei Kindern nach durchgemachter RSV-Bronchiolitis nachweisen, und zwar sowohl nach 3 als auch nach 7,5 Jahren.

Was das Asthmarisiko betrifft, bewirkt eine RSV-bedingte Bronchiolitis oder Pneumonie eine über acht bis zehn Jahre anhaltende Asthmasymptomatik mit abnehmender Ausprägung, und zwar unabhängig von einer genetischen Atopiebelastung. Je schwerer die initiale Erkrankung verläuft, desto stärker ausgeprägt sind auch die Asthmabeschwerden. Umgekehrt warf Seidenberg die Frage auf, wie viele unter den Asthmatikern früher wohl eine Bronchiolitis gehabt haben mögen. Seidenberg: „Man schätzt den Anteil der RSV-Erkrankung an der gesamten Asthmasymptomatik im Schulkindalter auf bis zu 20 Prozent.“ Das bedeutet: Könnte man die RSV-Infektionen verhindern, könnten bis zu 20 Prozent der Asthmaerkrankungen vermieden werden.

Schließlich stehe mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis®) eine effektive Prophylaxemaßnahme zur Verfügung. Durch die Immunisierung lasse sich die Inzidenz schwerer RSV-Infektionen und ihrer Folgeschäden reduzieren. Palivizumab ist zur Vorbeugung von RSV-Infektionen bei Säuglingen und Kleinkindern zugelassen, die entweder in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind; außerdem bei Kindern unter zwei Jahren, die mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen sind oder die innerhalb der letzten sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden. Da die RS-Viren im Herbst bis Frühjahr besonders virulent sind, wird Palivizumab während der RSV-Saison einmal monatlich intramuskulär injiziert. Wenn möglich sollte die erste Injektion vor Beginn der RSV-Saison verabreicht und fünf Monate lang durchgehalten werden.

 

Zukunftsmusik Subgruppenanalyse Ob eine RSV-Infektion Langzeitschäden anrichtet, scheint nicht unerheblich davon abhängig zu sein, welche Spezies an RS-Viren für die Beschwerden verantwortlich sind, informierte Seidenberg. RS-Viren ohne Sekretion eines G-Proteins bedingen einen 50fach erhöhten Virustiter, einen gesteigerten Eosinophilen- und Makrophagen-Influx und erhöhte Werte von Interferon-g sowie IL-10. Auch die allgemeine Lungenfunktion ist bei Infektionen mit der genannten RS-Virusvariante schlechter.

Die Analyse von Subgruppen unter den Patienten hinsichtlich ihrer Immunreaktion könnte helfen, das Risiko für spätere Erkrankungen wie Asthma abzuschätzen, wagte Seidenberg einen Blick in die Zukunft. So haben Studien ergeben, dass zum Beispiel Säuglinge mit rezidivierenden obstruktiven Episoden im ersten Jahr im Vergleich zu Säuglingen ohne nachfolgende Symptomatik während der akuten Bronchiolitis niedrigere Werte für den löslichen CD14-Rezeptor aufwiesen. Ein weiteres Beispiel: Erhöhte Werte für Entzündungsfaktoren während der Akutphase bedeutet ein über 9fach höheres Asthmarisiko in den folgenden fünf Jahren.

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