Keine Lobby für Phytoforscher |
22.04.2002 00:00 Uhr |
von Ulrich Brunner, Bonn
Noch immer können viele pflanzliche Präparate den Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht standhalten. Es fehlen nicht nur aussagekräftige klinische Studien, sondern auch um die Lobby der Phytotherapieforschung ist es schlecht bestellt.
Die in der letzten Woche veröffentlichten Daten der Meinungsforscher in Allensbach zeigen, dass immer mehr Menschen in der Bundesrepublik auf die grüne Medizin setzten. Dennoch attestieren Wissenschaftler den pflanzlichen Arzneimitteln im vereinten Europa eine unsichere Zukunft. Der Grund: Nach wie vor spiele die Arzneipflanzenforschung an deutschen Hochschulen eine untergeordnete Rolle, bedauerte Professor Dr. Theodor Dingermann bei einem Forum der Kooperation Phytopharmaka vergangenen Dienstag in Bonn. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sei nicht bereit, entsprechende Forschungsvorhaben zu fördern. Offensichtlich räume sie dieser Disziplin keinen wissenschaftlichen Stellenwert ein.
In Deutschland werde Naturstoffanalytik zwar auf einem sehr hohen Niveau betrieben. Klinische Studie seien aber oft von zweifelhafter Qualität, nicht zuletzt, weil Geld fehlt. "Es müssen endlich öffentliche Gelder für solche Studien bereitgestellt werden", forderte der Hochschullehrer. Ansonsten müsse man über Alternativen wie zum Beispiel zweckgebundene Stiftungen nachdenken.
Dingermann empfahl, die rationale Phytotherapie durch ein Arsenal geprüfter Präparate zu etablieren. Bei Bedarf müssten Hersteller ihre Ressourcen bündeln, indem sie gemeinsam einen Pflanzenextrakt nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin prüfen und dann zusammen vermarkten.
Auch Professor Dr. Lutz Heide von der Universität Tübingen bedauerte das schlechte Image der Phytoforschung. Zum einen sei es extrem schwierig, Drittmittel einzuwerben, zum anderen fast unmöglich, Publikationen in renommierten Fachjournalen zu platzieren. Heide: "Die Resonanz in der Fachöffentlichkeit ist das reinste Desaster". Er wünscht sich daher nicht nur mehr Forschungsqualität, sondern auch eine Versachlichung der wissenschaftlichen Diskussion um Phytopharmaka.
Manko in der ärztlichen Ausbildung
Die Phytotherapie sei in chemisch-pharmazeutischen Fakultäten wesentlich stärker vertreten als in der Medizin, bemängelte Professor Dr. Hilke Winterhoff, Pharmakologin an der Universität Münster. Ihrer Meinung nach ist das ein großes Manko in der ärztlichen Ausbildung. Dabei sei die Zusammenarbeit zwischen Pharmakologen und Pharmazeuten bei der Suche nach wirksamen Inhaltsstoffen elementar.
Sie warnte davor, vorschnell von In-vitro-Daten auf die klinische Wirkung zu schließen. Oft verließen sich Forscher zu sehr auf die Wirkeffekt im Zellmodell. "Manchmal wissen wir aber noch nicht einmal, ob die Substanzen überhaupt bioverfügbar sind." Erfolgreiche Forschung mit pflanzlichen Inhaltsstoffen sei nur möglich, wenn Pharmakologen und pharmazeutische Analytiker Schulter an Schulter arbeiten.
Der Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Präparate sei grundsätzlich Basis für die Beratung in der Apotheke, stellte Karin Wahl klar. Zwar gebe es inzwischen immer mehr gut dokumentierte Arzneimittel, aber nach wie vor auch ein Arsenal "alter Präparate", so die Präsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Sie wünschte sich, dass Hersteller neue Erkenntnisse über ihre Produkte nicht nur den Zulassungsbehörden, sondern auch der Fachöffentlichkeit zur Verfügung stellen. Schließlich seien Apotheker bei der Beratung auf solche Informationen angewiesen.
Der Phytopharmaka-Markt werde eine Bereinigung erfahren, prognostizierte Wahl. Das wertete die Präsidentin als positiven Trend. Wahl appellierte zudem an die Hochschullehrer, bei Lehrveranstaltungen zur klinischen Pharmazie die Phytotherapie zu berücksichtigen. Zwar habe man im Fächerkatalog der Approbationsordnung die "rote Chemie" zu Gunsten der "grünen" Fächer zurückgedrängt, viele junge Pharmazeuten würde aber inzwischen nicht einmal mehr die wichtigsten Heilpflanzen kennen.
Echte Phytopharmaka-Forschung gibt es in Deutschland nicht, resümierte
Dr. Konstantin Keller vom Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Dafür fehlten die Anreize. Bislang sei
es nicht möglich, den wirtschaftlichen Erfolg ausreichend durch Patente
zu sichern, so auch der Tenor der anwesenden Vertreter aus der
pharmazeutischen Industrie. Es bleibt offen, welchen Stellenwert
pflanzliche Arzneimittel künftig in Europa einnehmen. Die Experten sind
sich auf alle Fälle einig: Die Märkte werden sich verschieben.
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