Aufklärung ist notwendiger denn je |
26.08.2002 00:00 Uhr |
Hormonersatz
von Gisela Dietz, Berlin
Die Negativschlagzeilen zum Thema Hormonersatztherapie häufen sich. Vor kurzem sorgte der Abbruch eines Studienarms der amerikanischen Langzeitstudie Womans Health Intitiative (WHI) für neuen Zündstoff. Forscher diskutieren seitdem kontrovers das Brustkrebs- und Infarktrisiko unter Hormontherapie.
Fehlendes Insulin wird seit langem mit Erfolg substituiert. Defizite an Schilddrüsenhormonen können ohne nennenswerte Probleme ausgeglichen werden. Das Ersetzen weiblicher Sexualhormone gerät dagegen immer mehr in die Kritik. Eine Ursache dafür sieht Professor Dr. Alfred Mueck von der Frauenklinik der Universität Tübingen und Vorstandsmitglied der Deutschen Menopausengesellschaft in der breiten Funktionalität der Hormone. „Die Sexualhormone haben nicht nur mit Sexualität zu tun. Sie übernehmen Schlüsselfunktionen im Stoffwechsel von Gefäßen, Bindegewebe, Knochen und dem Zentralen Nervensystem.“ Viele Frauen hätten vor 100 Jahren die Menopause gar nicht erlebt. Vor diesem Hintergrund würde therapiert und über Nutzen und Risiko gestritten.
Schwerpunkt der Diskussion ist nach wie vor das Brustkrebsrisiko. Es sei nicht auszuschließen, dass bereits vorhandene maligne Zellen in der Brust und im Endometrium durch die Gabe von Estrogen stimuliert werden können, bestätigte Mueck. Dabei spiele auch die Dosis eine Rolle. Aber auch die körpereigene Estrogenkonzentration in der Brust sei entscheidend.
Ähnlich kompliziert ist die Lage bei Herzkreislauf-Erkrankungen. Viele Ärzte und Wissenschaftler sind sich einig: Die Hormonersatztherapie schützt nicht zwangsläufig vor einem Herzinfarkt. Außerdem gibt es laut Mueck Hinweise auf ein verstärktes Re-Infarkt- und Thromboserisiko, wenn im ersten Jahr nach einem Infarkt weiter mit Hormonen behandelt wird. Er plädierte auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Weltmenopause-Kongresses dafür, zu den bisherigen Kontraindikationen für einen Hormonersatz - akute venöse Thrombose und Mammakarzinom - den akuten Myokardinfarkt und den akuten Hirninsult mit aufzunehmen.
Frauen mit internistischen Erkrankungen sollten besonders differenziert behandelt werden. Bei ihnen spielen Dosis und Applikationsform eine wesentliche Rolle. In diesen Fällen seien Hormonpflaster die Therapie der Wahl, erklärte Mueck.
Neben den Risiken nannte er auch die unbestrittenen Vorteile der Hormonbehandlung besonders im Urogenitaltrakt und zum Vorbeugen von Osteoporose. Probleme wie Scheidentrockenheit, Harninkontinenz, mangelnde Knochendichte oder Dekubitus und Bindegewebsschwäche könnten durch die Estrogengabe wesentlich verbessert werden. Muck empfahl schließlich, Patientinnen über Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie umfassend aufzuklären.
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de