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Volksseuche Vitamin-D-Mangel

27.05.2002  00:00 Uhr

PHARMAZIE

Volksseuche Vitamin-D-Mangel

von Wolfgang Kappler, Homburg

"Jeder Mensch sollte seinen Vitamin-D-Spiegel kennen". Michael Holick, Professor an der Boston University und einer der führenden Vitamin-D-Experten, hat gute Gründe für seine Forderung. Jüngste Forschungsergebnisse bestätigen den Zusammenhang zwischen einem niedrigen Spiegel von 1,25-Dihydroycolecalciferol, der aktiven Form des Hormons, und verschiedenen Erkrankungen bis hin zu Krebs.

Da Vitamin D zu 90 Prozent mit Hilfe von Sonnenlicht in der Haut gebildet wird, ist ein zehnminütiger Spaziergang pro Tag laut Holick eine praktikable und kostenlose Krankheitsprävention. Risikogruppen empfiehlt er die Einnahme von Vitamin-D-Ersatzpräparaten.

Holick war einer der Hauptredner beim ersten internationalen Symposium "Prävention und Behandlung von Krebs mit Vitamin-D-Ersatz", das von der Universitäts-Hautklinik Homburg/Saar organisiert wurde. Die Zeit war überreif. Vitamin D ist unter anderem für die Aufnahme von Calcium und Phosphor aus der Nahrung verantwortlich ist. "In der Osteoporose-Behandlung ist Calcium zwar das Mittel der Wahl, es wird aber oft vergessen, dass es ohne Vitamin D nicht im Knochen eingelagert werden kann", weist Holick auf einen immer noch verbreitete Nachlässigkeit der Medizin hin.

Weil Calcium auch für die elektrochemische Signalübertragung zwischen Gehirnzellen unabdingbar ist, hat Vitamin D inzwischen auch in Neurologie und Psychiatrie an Bedeutung gewonnen. Einen gewaltigen Aufschwung erlebte die Vitamin-D-Forschung seit den 70er Jahren, nachdem das Hormon auch im Kern von Zellen nachgewiesen wurde, die nicht zum klassischen Calcium-Regulationssystem gehören: weiße Blutkörperchen, Gehirn- und Hautzellen sowie in entarteten Geweben. "Über diese Beobachtung fanden Arbeitsgruppen heraus, dass die biologisch aktive Form des Hormons nicht nur in der Niere gebildet wird, sondern in einer ganzen Reihe verschiedener Gewebe", erklärt Profesoor Dr. Wolfgang Tilgen, Präsident der saarländischen Krebsgesellschaft und Gastgeber des Symposiums.

Im Zellkern steuert Vitamin D über komplizierte Mechanismen die Ausreifung und Spezialisierung von Zellen, es kann aber auch das Zellwachstum bremsen und sogar wie im Falle des Glioms, einem häufigen Hirntumor, Krebszellen in den Selbstmord treiben. Die wachstumshemmende Wirkung nutzen inzwischen Hautärzte mit Erfolg in der Behandlung der Schuppenflechte, die auf einer überschießenden Zellteilung beruht und sich mit Vitamin-D-haltigen Salben bremsen lässt.

Auch Krebszellen teilen sich unkontrolliert. Also müsste es einen Zusammenhang zwischen Krebsentstehung und Vitamin-D-Mangel geben, vermuteten Forscher. Dieser wurde offensichtlich, nachdem statistische Auswertungen zeigten, dass Dickdarm-, Prostata- und Brustkrebs deutlich häufiger in den lichtärmeren Regionen der nördlichen Halbkugel auftreten. Die Erklärung: Weniger Licht gleich weniger Vitamin D gleich weniger Zellwachstums-Kontrolle.

Mediziner behandelten Menschen mit erhöhtem Dickdarmkrebsrisiko mit Licht und verhinderten den Ausbruch der Krankheit in der Hälfte aller Fälle. Allerdings: Die direkte Behandlung von Krebs mit Vitamin-D-Präparaten ist bislang nicht von Erfolg gekrönt. "Dazu wären Konzentrationen nötig, die für den Organismus toxisch sind, weil sie gleichzeitig den Calcium-Spiegel nach oben treiben", meint Holick. Dennoch bieten sich auch für die Krebsbehandlung zwei Wege an. So hält Tilgen es für denkbar, Vitamin-D-Ersatzpräparate zu entwickeln, die zwar die Zellteilung verhindern, aber nicht in die Calciumregulation eingreifen.

Einen anderen Weg beschreitet Professor Dr. Inge Schuster vom Institut für theoretische Biochemie der Universität Wien. "Aktives Vitamin D wird in Zellen durch CYP 24 rasch abgebaut. Hemmen wir diese Enzyme, bleibt der Hormonspiegel länger oben", berichtete sie. Der von ihr entwickelte, klinisch aber noch nicht erprobte Enzymhemmer VID 400 soll dies leisten.

Auf einen dritten Weg, der vielversprechend für die Vorbeugung von Typ-1-Diabetes ist, weist Holick hin: Substanzen, die in Zellen Vitamin D aktivieren. Mit einem solchen Aktivator sei es im Tierversuch gelungen, das Krankheitsrisiko um 400 Prozent zu senken.

In Homburg waren sich die Experten einig: Mit dem richtigen Vitamin-D-Spiegel könnte man Krankheiten wie Osteoporose, Bluthochdruck, Autoimmunerkrankungen, Rachitis, Fibromyalgien, Multiple Sklerose, Rheumatische Arthritis, Schuppenflechte, Depressionen, Wundheilungsstörungen, Diabetes und Krebs in den Griff bekommen. Zur Vorbeugung reiche oft ein täglicher Spaziergang oder Lichtbehandlungen mit UV-B-Strahlen aus. Vitamin-D-Ersatzpräparate und Stoffe, die den Hormonspiegel regulieren, würden künftig eine wichtige Rolle in der Krebsbehandlung spielen.

 

Schlüsselhormon für Calciumhaushalt Vitamin D entsteht zu 90 Prozent in der Haut mit Hilfe von Sonnenlicht. Zusätzlich benötigtes Hormon muss über Fisch, Lebertran und Medikamente zugeführt werden. Vitamin D wird in der Leber zu 25-Hydroxycolecalciferol oxydiert und in der Niere und in zahlreichen Zellen in die aktive Form 1,25-Dihydroxycolecalciferol umgebaut. Für die Einschätzung von Krankheitsrisiken wird in einer Blutprobe die Konzentration von 25-Hydroxycolecalciferol bestimmt. Bereits ein Wert zwischen 10 und 20 ng/ml weist auf einen Vitamin-D-Mangel hin. Für die Knochengesundheit empfiehlt sich ein Mindestwert von 20 ng/ml, für die Krebsvorbeugung 25 bis 30 ng/ml. Wird Vitamin D eingenommen, sollte generell ein Zielbereich von 25 bis 45 ng/ml angestrebt werden. Eine zweimalige Kontrollmessung pro Jahr halten die Experten dabei für erforderlich. Laboruntersuchungen können über die Kassen abgerechnet werden. Von Vitamin-D-Präparaten profitieren im Winter prinzipiell alle Menschen, da das Hormon mangels Licht kaum gebildet wird. Ansonsten wird die Vitamin-D-Gabe Senioren, Menschen mit starker Pigmentierung oder dunkler Haut, Säuglingen, Kleinkindern, Schwangeren und Übergewichtigen empfohlen. Deren Körperfett entzieht dem Blut das fettlösliche Hormon. Darüber hinaus profitieren alle Menschen über 50 auf Grund des erhöhten Osteoporoserisikos von den Präparaten.

 

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