NIR-Spektroskopie in der Apotheke |
24.03.2003 00:00 Uhr |
von Eckard Schleiermacher, Klingenberg
Die Nah-Infrarot-(NIR)-Spektroskopie eignet sich sehr gut zur Identitätsprüfung der meisten apothekenüblichen Rezeptursubstanzen. Seit mehr als fünf Jahren wird die sichere und schnelle Methode in der Apotheke des Autors routinemäßig eingesetzt. Der anfänglich hohe finanzielle und zeitliche Aufwand beginnt sich zu amortisieren.
Als nahes Infrarotlicht (NIR) bezeichnet man den Wellenlängenbereich von etwa 800 nm bis 2500 nm. Ohne Probenvorbereitung und Substanzverbrauch erhält man mit der NIR-Spektroskopie in Sekundenschnelle Reflexionsspektren bei Feststoffen und Transmissionspektren bei Flüssigkeiten, die Informationen zur Molekülstruktur enthalten. Teilchengröße, Polymorphie und Feuchtigkeit können die Spektren beeinflussen. Der chemometrische Vergleich mit den Daten einer validierten Referenzbibliothek führt zur Aussage „identisch“ oder „nicht identisch“.
Die NIR-Spektroskopie ist als allgemeine Methode im Europäischen Arzneibuch (2.2.40) enthalten und damit eine anerkannte pharmazeutische Regel, nach der Substanzen in der Apotheke zu prüfen sind. Theoretische Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten sind in (1, 2) dargestellt; im Folgenden werden Erfahrungen aus der öffentlichen Apotheke erörtert.
Unkompliziertes Verfahren
Von den vielfältigen Möglichkeiten wird in unserer Apotheke folgender Messaufbau verwendet: Die mittels Glasfaseroptik mit Strahlenquelle und Auswerteeinheit verbundene Messsonde wird bei Feststoffen unmittelbar im Lieferbehältnis auf die Substanzoberfläche gehalten. Um Flüssigkeiten zu prüfen, überführt man einen Tropfen in einen definierten Messspalt. Die Messung wird über Knopfdruck gestartet. Im angeschlossenen PC wird das Ergebnis automatisch mit dem in der Referenzbibliothek enthaltenen angefragten Spektrum verglichen und ein Ergebnisprotokoll ausgedruckt.
Der Zeitaufwand ist gering: Auswahl des angefragten Stoffes, Aufnahme des Leerspektrums, Eintragen von Lieferantenname und Chargenbezeichnung, Messung, Auswertung und Protokollausdruck dauern nur wenige Minuten. Beim Einschalten des Geräts startet dieses automatisch einen umfangreichen Selbsttest, der protokolliert wird. Dies ist die Voraussetzung für weitere Messungen.
Referenzbibliotheken nötig
Ein visueller Vergleich der Spektren von Probe und Referenz ist nicht aussagekräftig genug und auch in der Monografie des Europäischen Arzneibuchs nicht vorgesehen. Vielmehr wird gefordert: „Die Spektren einer ausreichend großen Anzahl verschiedener Chargen einer Substanz, die wie in der Monographie vorgeschrieben vollständig geprüft wurden und die für die Substanz typische Variation (zum Beispiel Hersteller, Teilchengröße) berücksichtigen, werden aufgezeichnet.“
In der Apotheke wurden handelsübliche Rezeptursubstanzen mit Zertifikat zum allmählichen Aufbau der Referenzdatenbanken verwendet. Als ausreichend erwies es sich, etwa zehn Spektren einer Substanz aus drei bis vier Chargen aufzunehmen. Mehrfachmessungen ein und derselben Chargen sind durchaus sinnvoll, da die Spektren von Feststoffen nie völlig deckungsgleich sind und somit ebenfalls zur (erwünschten) Varianz beitragen.
In die Referenzbibliothek wird ein Mittelwertspektrum mit der dazu gehörenden statistischen Streubreite eingetragen. Ist diese Streubreite zu gering (wenn beispielsweise nur eine Charge mit zwei bis drei Spektren aufgenommen wurde), ist es möglich, dass eine neue Probe fälschlich als „nicht identisch“ bewertet wird.
Im Rahmen einer Validierung, bei der jedes Einzelspektrum mit allen anderen Spektren der Bibliothek verglichen wird, überprüft die Software, ob es zwischen den „Vertrauenswolken“ der einzelnen Substanzen Überschneidungen gibt. In unserer Apotheke wurden drei Referenzbibliotheken aufgestellt: Feststoffe, Flüssigkeiten und halbfeste Stoffe.
Typische Spektren bei Feststoffen
Angelehnt an den Bedarf in der täglichen Apothekenpraxis umfasst die Feststoffdatenbank inzwischen 80 Stoffe. Die Validierung ergab, dass es zwischen den Spektren keine Überlappungen gibt, die Spektren aller Stoffe sich also deutlich voneinander unterscheiden.
Während der fünfjährigen Erfahrungszeit gab es nur äußerst selten Probleme. Eine Charge Betamethason-17-valerat (von etwa 25 untersuchten) wurde auch bei wiederholter Messung als „nicht identisch“ bewertet, obwohl die vorliegende Varianz bei über 20 Vergleichsspektren ausreichend hoch war. Der visuelle Vergleich gab keinen Anlass zu einer negativen Bewertung. DC-Untersuchungen sprachen ebenfalls für die Identität der Probe. Da Steroiden in polymorphen Formen vorliegen können, versuchten wir, durch Umlösen der Probe eine andere Modifikation zu erhalten. Das NIR-Spektrum wurde aber nicht „identischer“ und sah jetzt sogar im visuellen Vergleich deutlich anders aus. Offensichtlich war eine weitere Modifikation, aber auch nicht die „gewohnte“, entstanden. Das gleiche Phänomen trat einmal auch bei einer Charge Dexamethason auf.
Neomycinsulfat, ein Bestandteil von dermatologischen Rezepturen, hat ein außerordentlich informationsarmes Spektrum mit einer großen Varianz. Da es sich um ein Stoffgemisch handelt, ist dies teilweise erklärbar. Trotzdem wurde stets die Identität bestätigt. Die vorliegende Datenbank enthält keinen weiteren Stoff mit einem derart „ausdruckslosen“ Spektrum. Ob es bei einem weiteren zu Überlappungen kommen könnte, sei dahingestellt.
Alkohol-Wasser-Mischungen
Die Datenbank umfasst etwa 70 Stoffe. Die Aufnahme erfolgt hier als Transmissionsspektrum, wobei der Messsonde ein Messspalt vorgesetzt wird. Entweder wird ein Tropfen in diesen Spalt gebracht oder die Messsonde mit dem Vorsatz in das Probengefäß eingetaucht. Da bei Flüssigkeiten keine zusätzlichen Oberflächeneffekte wie bei Feststoffen auftreten, sind lediglich zwei bis vier Spektren je Substanz zum Aufbau der Bibliothek nötig.
Chemisch definierte Substanzen werden problemlos identifiziert. In der Apotheke geläufige Flüssigkeiten sind jedoch oft Stoffgemische.
Bei Alkohol-Wasser-Mischungen sind die handelsüblichen Konzentrationen, zum Beispiel 70-, 80-, 90- und 96-prozentiger Ethanol, jeweils als eigener Stoff in der Bibliothek enthalten und wurden stets ohne Probleme identifiziert. Das Gerät führt keine eigentliche Gehaltsbestimmung durch (was mit entsprechendem Validierungsaufwand und einer speziellen Software zwar möglich ist), sondern ganz schematisch eine Identitätsprüfung. Die Spektren unterscheiden sich auf Grund des Wassergehalts deutlich voneinander, ohne dass es zu Überlappungen kommt. Enthielte eine als 80-prozentig deklarierte Mischung tatsächlich nur 75 Prozent Alkohol, würde die Probe als „nicht identisch“ bewertet.
Fettes Öl oder „Nichtöl“?
Schwieriger wird es bei fetten Ölen. Die Signale eines NIR-Spektrums werden von NH-, CH- und OH-Bindungen des Moleküls erzeugt. Fette Öle sind chemisch für das Verfahren ziemlich ähnlich, so dass nur die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Ölen angezeigt wird. Umgekehrt bedeutet dies immerhin, dass keine Verwechslung mit einem „Nichtöl“ vorliegt.
Erdnussöl, Olivenöl, Rinderklauenöl lassen sich durch NIR-Spektroskopie nicht unterscheiden. Zusätzliche einfache organoleptische Untersuchungen (Geruch, Aussehen) führen jedoch meist schon zu einer sichere Differenzierung. Einige typische Öle wie Rizinusöl (OH-Gruppe) oder Leinöl (viele ungesättigte Bindungen) lassen sich im NIR-Spektrum dagegen eindeutig zuordnen.
Mit der Prüfung von ätherischen Ölen haben wir keine größeren Erfahrungen gesammelt. In der Bibliothek sind insgesamt zehn ätherische Öle enthalten, deren Spektren nicht überlappen, so dass man davon ausgehen kann, dass eine Identifizierung möglich ist. Kümmelöl als einzige regelmäßig untersuchte Probe wurde etwa zehnmal identifiziert.
Tinkturen kaum differenzierbar
Beim Versuch, einige gängige Tinkturen in die Bibliothek einzulesen, zeigte sich sehr schnell, dass diese Spektren sehr ähnlich sind und eine Differenzierung kaum möglich ist. Da diese Mischungen hauptsächlich aus Ethanol und Wasser bestehen, würde die „Identifizierung“ eher über das Ethanol-Wasser-Verhältnis erfolgen als über andere Inhaltsstoffe, zum Beispiel Leitstrukturen. Deren Konzentration ist zu gering, um für die NIR-Spektroskopie relevant zu sein. Mit der NIR-Spektroskopie kann man keine Spurenanalytik betreiben! Einige Gehaltsprozente müssen schon vorhanden sein, um im Spektrum erfasst zu werden.
Salben und Wachse im NIR
Auch für Salbengrundlagen und ähnliche halbfeste Zubereitungen erwies sich die NIR-Spektroskopie prinzipiell als geeignet. Die Messung erfolgt stets als Transmissionsmessung, da sich die Reflexionsmessung bei einigen transparenten Salben (Vaselin) als nicht günstig erwies. Nicht transparente Salbengrundlagen ließen sich dagegen problemlos aufnehmen, obwohl dabei eigentlich keine Transmissionsmessung stattfindet.
Die Bibliothek enthält etwa 25 Salbengrundlagen, Zäpfchenmassen und Wachse. Da es sich zum Teil um sehr ähnliche Stoffgemische handelt, werden einige, zum Beispiel Wollwachsalkoholsalbe, gelbes und weißes Vaselin oder Zinksalbe, nur zu einer Gruppe gehörig angezeigt. Durch zusätzliche Untersuchung ist eine weitere Differenzierung möglich. Salicylvaseline in unterschiedlichen (handelsüblichen) Konzentrationen lässt sich auch hier identifizieren. Eine 5-prozentige Zubereitung wird noch in einer Gruppe mit Vaselin ohne Zusatz aufgeführt; 10-, 20- und 50-prozentige zu erkennen, ist jedoch möglich.
Für Salze und Tees ungeeignet
Anorganische Salze, die keine NH-, OH- und SH-Strukturen aufweisen, lassen sich nicht per NIR-Spektroskopie identifizieren. Ein „Spektrum“ kann zwar aufgenommen werden, dies zeigt aber ausschließlich Oberflächeneffekte, zum Beispiel durch die Kristallstruktur, und kann nicht für eine Identitätsprüfung herangezogen werden.
Teedrogen ergeben zwar erst einmal ein Spektrum - schließlich enthält Zellulose genügend CH-Bindungen -, das man aber ebenfalls nicht zur Identifizierung nutzen kann. Versuche zeigten ganz schnell, dass einerseits die Varianz innerhalb einer Droge zu groß ist und andererseits unterschiedliche Drogen wieder zu ähnlich sind. Die Inhaltstoffe, nach der Drogen identifiziert werden könnten, sind fast immer in viel zu geringer Konzentration enthalten, als dass sie für die NIR-Spektroskopie nutzbar wären.
Fazit: robust und zuverlässig
Von 198 Eingangsprüfungen im Jahr 2002 in der Apotheke des Autors wurden 174 (88 Prozent) mit der NIR-Spektroskopie vorgenommen. Der zeitliche Aufwand der Methode ist fast zu vernachlässigen. Die Analyse kann auch „während“ Rezepturarbeiten, zum Beispiel beim Unguatorrühren, oder in kurzen Pausen zwischen anderen pharmazeutischen Tätigkeiten erledigt werden. Das Messsystem erwies sich als sehr robust, Reparatur- oder Wartungsarbeiten waren in den mehr als fünf Jahren der Nutzung nicht erforderlich.
Die Gesundheitsreform trägt sicher nicht zur weiteren Verbreitung der NIR-Spektroskopie in den öffentlichen Apotheken bei. Sollte aber die Apothekenbetriebsordnung eines Tages eine Identitätsanalytik außer Haus ermöglichen, wäre diese Methode sicher sehr sinnvoll und effektiv, da ein NIR-Lohnanalytiker zahlreiche Apotheken betreuen könnte.
Der Autor verwendet in seiner Apotheke folgende Messgeräte und Software: FT NIR-Spektroskop Vector 22N der Firma Bruker; Ge-Detektor, Messbereich 10000 bis 5300 cm-1, Auflösung 8 cm-1, Wellenzahlgenauigkeit über 0,01 nm, Pulvermesssonde N261;
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Dr. Eckard Schleiermacher
Flora-Apotheke
Bahnhofstraße 3a
01738 Klingenberg
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