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Eine Krankheit mit hohem Leidensdruck

22.11.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag

MIGRÄNE

Eine Krankheit mit hohem Leidensdruck

von Christiane Berg, Damp

Der Migräne widmete die Apothekerkammer Schleswig-Holstein ihren diesjährigen Herbstkongress in Damp. Unter Moderation von Dr. Martin Abel, Reinbek, informierten sich die 150 Teilnehmer über die Pathogenese sowie biochemischen und pharmakologischen Grundlagen von Migräne und Kopfschmerz sowie über vorbeugende und begleitende Therapie.

In einem gemeinsamen Vortrag grenzten Dr. Katja und Dr. Axel Heinze-Kuhn , Kiel, die Migräne von anderen Schmerzformen ab. 14 Prozent aller Frauen und 7 Prozent aller Männer sind betroffen. Migräne sei jedoch nicht etwa eine Frauenkrankheit, so die Referenten. Vielmehr gäben Männer oft nicht zu, dass sie unter den quälenden Beschwerden leiden.

Die Referentin warnte vor Symptomen, die auf andere Primärerkrankungen deuten könnten: Fieber, ein explosiver Beginn der Beschwerden, erstmaliges Auftreten, Nackensteifigkeit, schweres Krankheitsgefühl, zunehmende Müdigkeit, Wesenveränderung und morgendliches Erbrechen können beispielsweise Hinweis auf eine Meningitis, Hirntumore, Subarachnoidalblutungen, Schädelhirntrauma, Infektionen, Gefäß- oder Stoffwechselstörungen sein. Kopfschmerzkalender und Kopfschmerzfragebögen sowie das strukturelle Interview und die Computeranalyse seien geeignete Hilfsmittel zur Diagnosestellung.

Weltweit 165 verschiedene Kopfschmerztypen

Als Vorboten, die bis zu 48 Stunden vor Beginn der eigentlichen Migräneattacke auftreten können, zählte Heinze-Kuhn Heißhungerattacken, Euphorie, Gähnen oder niedergeschlagene Stimmung auf. Die sich anschließende Phase der Aura könne zu Sehstörungen, einseitigen Parästhesien oder Paresen, und Sprachstörungen führen. Charakteristisch für die eigentliche Kopfschmerzphase sei ein starker, pulsierender und hämmernder Schmerz, der durch körperliche Aktivität verstärkt wird. Als Begleiterscheinungen treten Übelkeit und Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit auf.

Heute unterscheidet man weltweit zwischen 165 unterschiedlichen Kopfschmerztypen. Im Gegensatz zur Migräne ist der Kopfschmerz vom Spannungstyp beidseitig, dumpf-drückend, nicht pulsierend und leicht bis mittelstark. Die Schmerzen verstärken sich nicht durch körperliche Aktivität, und die Patienten leiden nicht unter Übelkeit und Erbrechen.

Die Trigeminus-Neuralgie zeichnet sich durch plötzliche, heftige, scharfe, stechende oder brennende Schmerzen von sehr starker Intensität aus. Ursache für eine symptomatische Trigeminusneuralgie können neben Multiplen Sklerose ein Tumor beziehungsweise Gefäßmissbildungen oder Herpes zoster sein.

Ambivalenzen im sozialen Beziehungsgefüge

Eine geschwollene und druckschmerzhafte Stirnarterie mit extrem starken Schmerzen ist Kennzeichen der Arteritis temporalis. Mit Corticoiden können die Beschwerden sofort gelindert werden. Beim Clusterkopfschmerz kann es bis zu acht Attacken pro Tag mit einer mittleren Attackendauer von 45 Minuten kommen. Der starke Schmerz mit (supra-)orbitaler oder temporaler Lokalisation ist Seiten-konstant. Häufig treten die Anfälle aus dem Schlaf heraus oder immer zur gleichen Uhrzeit auf.

Zwar zeichnet sich die Migräne durch einen hohen Leidensdruck aus, doch das Gefahrenpotential ist gering, bestätigte Dr. Volker Lindner, Kiel. "Der Patient ist heute schwer krank und morgen fit wie ein Turnschuh". Lindner beklagte, dass Migräne-Patienten deshalb oftmals zu Unrecht als Drückeberger und Hypochonder abgetan werden.

Migräne und Kopfschmerzen sind nicht banal

Für Betroffene sei es sinnvoll, Auslösefaktoren wie Stress, Sorgen, Wetterwechsel, Alkohol-, Schokoladen- oder Käsekonsum, aber auch verqualmte Räume und intensive Gerüche zu meiden. Die bewusste Lebensplanung mit dem Wissen, dass Migräne im Leben von Betroffenen immer eine "feste Größe" ist, könne helfen, das Leid zu lindern. Lindner: "Migränekranke Menschen vereinen extreme Lebensmerkmale in sich. Sie sind einerseits enorm leistungsfähig, aktiv und dynamisch. Sie zeichnen sich andererseits durch eine große Schutz-, Betreuungs- und Hilfsbedürftigkeit aus. Sowohl die Betroffenen selbst, aber auch die Angehörigen und Therapeuten müssen lernen, diese Extreme zu vereinen".

Auch Professor Dr. Hartmut Göbel, Leiter der Schmerzklinik in Kiel, betonte, dass Kopfschmerzen keineswegs immer als banal abgetan werden dürfen. Besonders die Migräne müssen ernst genommen werden, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Migräniker um 2 bis 3 Prozent häufiger einen Schlaganfall erleiden. Göbel nannte Reizabschirmung und Entspannungsinduktion als effektive Verhaltensmaßnahmen. Bei leichter Migräne verabreicht er seinen Patienten 20 mg Metoclopramid peroral oder 20 mg Domperidon peroral sowie nach 15 Minuten 1000 mg ASS als Brausetablette, 400 mg Ibuprofen beziehungsweise 1000 mg Paracetamol peroral oder als Zäpfchen.

Triptane wirken effektiv und schnell

Früher therapierte man in der Schmerzklinik schwere Migräne mit Ergotamin und Dihydroergotamin, so Göbel. Heute erhielten die Patienten Triptane, da diese effektiver und schneller wirkten und deutlich besser vertragen würden. Detailliert ging der Referent auf die selektiven 5-HT-Rezeptor-Agonisten Sumatriptan, Naratriptan, Rizatriptan und Zolmitriptan ein. Mit der Zulassung von Eletriptan, dem stärksten funktionellen Agonisten am 5-HT1B- und 5-HT1D-Rezeptor, sei im nächsten Jahr zu rechnen. Eletriptan sei am lipophilsten und werde fünfmal schneller resorbiert als Sumatriptan. Auch die craniovaskuläre Selektivität sei größer als die von Sumatriptan. Es komme zu dosisproportional vorhersagbaren Plasmaspiegeln.

Mit dem Patienten ins Gespräch kommen

Auf die große Bedeutung der Pharmazeutischen Betreuung bei Migräne-Patienten verwies Sabine Gnekow, Hamburg. Migränepatienten sind zumeist nur schlecht über ihre Erkrankung informiert und neigen aufgrund des hohen Leidensdrucks zu einer auffälligen Selbstmedikation, sagte sie. Falsche Vorstellungen über die Migräneproblematik führen oft dazu, dass die Patienten resignieren.

Dem Apotheker müsse es gelingen, mit dem Migränekranken beim Analgetikaverkauf, über das Rezept oder die Kundenkarte ins Gespräch zu kommen. Dabei seien offene Fragen ( Wie? Warum? Wann? Wo? Welche?) das "ideale Handwerkszeug, um an den Patienten heranzukommen". "Nehmen Sie die Kopfschmerzen Ihrer Patienten nicht einfach hin", so die Apothekerin, die betonte, dass eine effektive Pharmazeutische Betreuung nicht nur zur größeren Zufriedenheit des Kunden, sondern auch der Apothekerin oder des Apothekers führt. Top

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