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Die Blutversorgung kappen

11.10.2004  00:00 Uhr

PHARMAZIE

Angiogenesehemmung

Die Blutversorgung kappen

 

von Sabine Schellerer, München

Therapieansätze, die sich gegen die Gefäßneubildung von Tumoren richten, sind die großen onkologischen Hoffnungsträger. Dennoch gibt es bislang keinen Grund zur Euphorie. Mehr denn je sind Wissenschaftler gefordert, ihr Wissen um die komplexen Zusammenhänge im Tumor zu vertiefen.

Während sich ein Geschwür mit einem Durchmesser von weniger als einem Millimeter über Diffusion ernährt, benötigt eine größere Geschwulst ein Netz aus feinen Blutgefäßen, um wachsen zu können.

Die Gefäßneubildung von Tumoren wird zum Teil durch pro-angiogenetische Faktoren unterstützt, die der Tumor selbst, aber auch Zellen des umliegenden Gewebes ausschütten. In welchem Ausmaß sich die neuen Gefäße entwickeln, bestimmt dabei ein ausgeklügeltes und hoch komplexes Zusammenspiel zwischen stimulatorischen und inhibitorischen Faktoren. Ist die Angiogenese einmal in Gang, wächst ein Geschwür exponentiell.

Professor Dr. Judah Folkman, Childrens Hospital der Harvard Medical School, Boston, hatte bereits 1971 das Prinzip der Angiogenesehemmung entdeckt. Seine Idee war ebenso simpel wie genial: Ohne optimale Blutversorgung, verhungert der Tumor. Dennoch dauerte es Jahre, bis andere Wissenschaftler hier anknüpften. Erst 1989 mit der Entdeckung und Identifizierung des Schlüsselproteins der angiogenen Kaskade, dem VEGF (Vaskular Endothelial Growth Factor), rollte die Forschungswelle rapide an und gipfelte 15 Jahre später in der Zulassung des ersten VEGF-Inhibitors Bevacizumab.

Noch viele offene Fragen

„Trotz gewisser erfreulicher Teilerfolge können wir die Hände noch lange nicht zufrieden in den Schoß legen – zu komplex ist die Tumorangiogenese. Bislang hat sich uns nur ein winziger Ausschnitt offenbart“, mahnte Professor Dr. Dieter Marme, Zentrum für Tumorbiologie am Institut für molekulare Onkologie, Freiburg auf der ersten europäischen Konferenz für Tumorangiogenese und antiangiogenetische Therapie in München. Ein Tumor agiere nämlich tückisch: Wird ein Mechanismus blockiert, setzen wuchernde Zellen umgehend eine ebenso schlagkräftige Alternative in Gang. Vor diesem Hintergrund forderte Marme Forscher und Ärzte auf, neue Fragen zu stellen. So zum Beispiel, welche anderen Angiogenesesysteme es noch gebe und wie man auch diese hemmen könne? Oder ob die Kombination verschiedener antiangiogenetischer Faktoren möglicherweise weitere Vorteile offenbare?

Der Wissenschaftler selbst setzt auf eine Behandlungsstrategie, die weit über eine rein antiangiogenetische Therapie hinaus geht. Sein Konzept sieht im ersten Schritt eine Kombination von antiangiogentischen, pro-apoptotischen und zielgerichtete antimetastatischen Therapien vor. Anschließend wird in einem zweiten Schritt die Behandlung zum Beispiel mittels eines personalisierten Tumor-Fingerprintings auf den Patienten maßgeschneidert und die molekulare Signatur des Krebses durch genomische und proteomische Verfahren patientenspezifisch ermittelt.

Wirkstoffe prophylaktisch einsetzen

Professor Dr. Adrian L. Harris, Cancer Research UK Molecular Oncology Laboratories, Oxford sucht nach Möglichkeiten, die Signalübertragung in der Zelle zu beeinflussen und dadurch der Angiogenese den Boden zu entziehen. Der Forscher setzt hier bei der lokalen Hypoxie an, die sowohl im funktionellen als auch im Tumorgewebe Grundlage für Gefäßbildungsaktivitäten ist und unter anderem verschiedene wichtige Schlüsselgene im Tumorgewebe induziert.

Auch die Chemotherapie verfügt in Abhängigkeit von Dosierung und Verabreichungszeitplan über antiangiogenetische Wirkungen. „Hier gibt es noch viel Diskussionsbedarf bezüglich der optimalen minimalen Dosis“, sagte Professor Dr. Robert S. Kerbel, Department of Molecular and Cellular Biology, Toronto. Folkman, der Vater der Angiogenesehemmung, forderte hingegen ein vollkommen neues Denken. So bleibt es zu überlegen, ob Wirkstoffe in Zukunft nicht prophylaktisch angewendet werden können. So zum Beispiel bereits beim Wechsel der Tumorzelle hin zum „proangiogenen Phänotyp“, der die Gefäßneubildung initiiert.

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