Interaktionen bei der Methadon-Substitution |
18.10.1999 00:00 Uhr |
Für den Erfolg einer Substitutionsbehandlung mit Methadon oder Levomethadon ist es wesentlich, dass die Patienten anhand der klinischen Wirkung auf eine individuelle, stabile Plasmakonzentration eingestellt werden, bei der weder Entzugserscheinungen noch Überdosierungssymptome auftreten. Die Patienten leiden aber nicht selten an weiteren Krankheiten. Deshalb ist häufig die Therapie mit zusätzlichen Arzneimitteln angezeigt ist. Dabei sollte sorgfältig auf Wechselwirkungen geachtet werden. Treten häufig Entzugssymptome infolge von Interaktionen auf, beeinträchtigt das die Motivation und Compliance der Patienten.
Methadon ist wie Morphin ein Agonist an den Opiatrezeptoren vom m- und vom k-Typ. Es gehört damit zu den klassischen Opioiden mit Morphin-ähnlichem Wirkungsspektrum: Analgesie, Atemdepression, Euphorie und Dysphorie, Sedierung, Miosis, antitussive Wirkung, Toleranz und Abhängigkeit sowie Entzugssymptome nach Absetzen oder Gabe von Antagonisten. Bei der oralen Substitutionsbehandlung soll Methadon die Opiat-Entzugssymptome unterdrücken, aber keine wesentlichen psychotropen, euphorisierenden Wirkungen hervorrufen. Zeichen einer Überdosierung sind maximale Miosis, Sedierung, Atemdepression und verminderte Darmgeräusche beziehungsweise Darmatonie. Bei ungenügender Dosierung von Methadon treten als Symptome des Entzugs Rhinorrhöe, Tränenfluss, Gähnen, Übelkeit, Erbrechen, gastrointestinale Beschwerden, Muskelkrämpfe, Tachykardie, Schmerzen, Erregung, Dysphorie und Angstzustände auf.
Die perorale Bioverfügbarkeit von Methadon liegt bei 85 Prozent. Spitzenkonzentrationen werden ein bis vier Stunden nach Einnahme erreicht. Die Substanz bindet zu 85 Prozent an Plasmaalbumin. Das lipophile Methadon wird umfassend durch Cytochrom-P-450-abhängige Enzyme (CYP1A2, CYP2D6, CYP3A4) oxidativ metabolisiert. Die Metaboliten werden - zum Teil glukuronidiert - sowohl renal als auch biliär eliminiert. Die Halbwertszeit liegt mit großen interindividuellen Schwankungen im Mittel bei 22 Stunden.
Entzugssymptome durch Interaktionen Die Wirkungen von Methadon können sowohl durch pharmakodynamische als auch pharmakokinetische Wechselwirkungen abgeschwächt werden. Opioid-Agonisten mit antagonistischen Eigenschaften wie Buprenorphin (Temgesic®), Pentazocin (Fortral®) oder Tilidin (zum Beispiel Valoron® N) können die Wirksamkeit von vollen Agonisten wie Methadon einschränken. Die partiellen Opioid-Agonisten blockieren die Opioid-Rezeptoren kompetitiv, so dass sich die Dosis-Wirkungs-Kurven der vollen Agonisten zu höheren Dosen verschieben. Das heißt, um die gleich Wirkung zu erzielen, sind bei Gabe eines partiellen Opioid-Antagonisten wesentlich höhere Methadon-Dosen erforderlich. Diese Stoffe können also Entzugserscheinungen bei den Patienten hervorrufen. Daher dürfen Opioid-Analgetika mit antagonistischen Eigenschaften während einer Methadon-Substitutionsbehandlung nicht gegeben werden. Benötigen die Patienten ein zusätzliches Analgetikum, ist Paracetamol Mittel der ersten Wahl. Reicht dies nicht aus, sind perorale Gaben kurzwirksamer Opioid-Analgetika wie Morphin (zum Beispiel MST®) oder Hydromorphon (beispielsweise Dilaudid®) angezeigt. Es ist nicht sinnvoll die Methadon-Dosis bei gleichzeitiger Gabe eines partiellen Antagonisten zu erhöhen.
Auch reine Opioid-Antagonisten wie Naloxon (zum Beispiel Narcanti®) antagonisieren die Methadon-Wirkung. Deshalb sind sie bei Intoxikationen indiziert. Hier handelt es sich um eine erwünschte pharmakodynamische Interaktion. Die Kombination Tilidin/Naloxon (zum Beispiel Valoron® N) ist als Analgetikum bei Patienten unter Methadon-Substitution kontraindiziert. Der zur Unterstützung der Opiat-Entwöhnung eingesetzte Opioid-Antagonist Naltrexon (Nemexin®) darf während der Methadon-Substitution ebenfalls nicht gegeben werden.
Arzneistoffe, die die Cytochrom-P450-abhängigen Enzyme induzieren, können auf pharmakokinetischem Wege die Wirkungen von Methadon abschwächen und so Entzugserscheinungen hervorrufen. Derartige Wechselwirkungen sind für Induktoren von CYP3A4 dokumentiert. Methadon und Levomethadon werden bei gleichzeitiger Gabe dieser Arzneistoffe schneller abgebaut. Verminderte Methadon-Plasma- und Urinkonzentrationen sowie ein vermehrter Gehalt von Methadon-Metaboliten im Urin wurden bei gleichzeitiger Gabe von Nevirapin (Viramune®), Phenytoin (zum Beispiel Zentropil®) und Rifampicin (Rifa® und andere) gefunden.
Aber auch von Barbituraten und Carbamazepin (beispielsweise Tegretal®) ist bekannt, dass sie CYP3A4 induzieren. Erhalten Methadon-behandelte Patienten zusätzlich solche Arzneistoffe, sollte auf Entzugssymptome geachtet und bei Bedarf die Methadon-Dosis erhöht werden. Beschweren sich Betäubungsmittel-Abhängigen in Substitutionsprogrammen über zu niedrige Methadon-Dosen wird bei gleichzeitiger Gabe eines Enzyminduktors die Kontrolle der Methadon-Plasmakonzentrationen empfohlen. Werden die Enzyminduktoren abgesetzt, muss die Methadon-Dosis wieder verringert werden.
Verstärkte oder unerwünschte Wirkungen durch Interaktionen
Die Anwendung zentraldämpfend wirkender Arzneistoffe wie Neuroleptika, Antidepressiva, Tranquilizern, Hypnotika und anderen sowie der Genuß von Alkohol können während der Methadon-Substitution eine verstärkte Sedation und eine stärkere Atemdepression hervorrufen. Es handelt sich um eine pharmakodynamische Wechselwirkung, die bei allen Arzneistoffen erwartet werden muss, die eine zentraldämpfende Wirkungskomponente haben können.
Bei gleichzeitiger Gabe von irreversiblen Monoaminoxidase-A-Hemmern wie Tranylcypromin (Jatrosom® N) und Morphin beziehungsweise Pethidin (zum Beispiel Dolantin®) kam es zu schweren Zwischenfällen wie Exzitation, Krämpfen, Blutdruckabfall, Hyperthermie, Schweißausbrüchen, kardiovaskulärer Instabilität, Koma und Atemlähmung. Es wird vermutet, dass die Wechselwirkung auf einer Erhöhung der Serotonin-Konzentration im ZNS beruht. Einige Opioid-Analgetika blockieren die neuronale Wiederaufnahme von Serotonin, MAO-Hemmer hemmen den Serotonin-Abbau durch die Monoaminoxidase A. Die Symptome der Wechselwirkung ähneln dem "Serotonin-Syndrom". Es ist nicht auszuschließen, dass diese Interaktion auch bei Methadon auftritt. Während einer Substitutionsbehandlung mit Methadon sollen daher keine irreversiblen MAO-A-Hemmer eingesetzt werden. Vorsichtshalber soll auch auf den reversiblen MAO-Hemmer Moclobemid (Aurorix®) und auf den MAO-B-Hemmer Selegilin (zum Beispiel Movergan®) verzichtet werden. Alle Monoaminoxidase-Hemmer sollen vierzehn Tage vor Beginn der Methadon-Substitution abgesetzt werden.
In den Fachinformationen Methadon- und Levomethadon-haltiger Fertigarzneimittel (Methaddict® , L-Polamidon®) ist außerdem angegeben, dass die Antihypertonika Clonidin (zum Beispiel Catapresan®), Reserpin (beispielsweise in Briserin®), Prazosin (zum Beispiel Minipress®) und Urapidil (Ebrantil®) die Wirkungen von Methadon verstärken und verlängern können. Es soll sich um eine pharmakodynamische Interaktion handeln.
Arzneistoffe mit hemmenden Wirkungen auf die Cytochrom-P450-abhängigen Enzyme, können die Methadon-Wirkungen verstärken. Nachgewiesen ist dies für die Serotonin-Reuptake-Hemmer Fluoxetin (beispielsweise Fluctin®) und Fluvoxamin (zum Beispiel Fevarin®). Als Alternativen in der antidepressiven Therapie kommen die Serotonin-Reuptake-Hemmer Sertralin (zum Beispiel Zoloft®) oder Citalopram (Cipramil®) in Frage.
Auch für andere Arzneistoffe, die bekanntermaßen die Cytochrom-P450-abhängigen Enzyme hemmen, wie der H2-Blocker Cimetidin (Tagamet® und andere) und die Azol-Antimykotika Ketoconazol (Nizoral®) und Itraconazol (beispielsweise Sempera®), muss mit Wechselwirkungen gerechnet werden. Cimetidin kann durch Famotidin (zum Beispiel Pepdul®) oder Ranitidin (Zantic® und andere) ersetzt werden. Das Azol-Antimykotikum Fluconazol (beipsielsweise Diflucan®) erhöhte die Methadon-Plasmakonzentrationen nur in geringem Ausmaß (27 Prozent), und es traten keine Überdosierungs- beziehungsweise Entzugssymptome nach dem Absetzen auf.
Auch die Makrolid-Antibiotika Erythromycin (Monomycin® und andere) und Clarithromycin (zum Beispiel Klacid®) hemmen CYP3A4. Obwohl bislang keine Interaktion zwischen Methadon und Makrolid-Antibiotika dokumentiert ist, kann bei gleichzeitiger Gabe die Methadon-Plasmakonzentration wahrscheinlich ansteigen. Wenn enzyminhibitorisch wirksame Arzneimittel während einer Substitutionsbehandlung mit Methadon gegeben werden, muss daran gedacht werden, dass die Methadon-Plasmakonzentrationen ansteigen und die eventuell die Dosis reduziert werden muss. Beim Absetzen der Arzneimittel können eventuell Entzugssymptome auftreten, so dass die Dosierung wieder angehoben werden muss. Es kann dann sinnvoll sein, die Methadon-Plasmakonzentrationen zu messen.
In Publikationen wird teilweise auch angegeben, dass die Antiarrhythmika Chinidin (zum Beispiel Chinidin Duriles®) und Amiodaron (zum Beispiel Cordarex®) sowie hormonale Kontrazeptiva und b-Blocker den Abbau von Methadon hemmen können. Für diese Arzneistoffe sind zum Teil Interaktionen mit anderen Arzneistoffen durch inhibitorische Wirkungen auf Cytochrom-P-450-abhängige Enzyme bekannt, nicht jedoch mit Methadon. Es ist unsicher, ob hier tatsächlich klinisch relevante Wechselwirkungen mit Methadon auftreten können. Für fundierte Analogieschlüsse liegen zu wenig Daten vor.
Einfluss von Methadon auf andere Arzneistoffe In einzelnen Studien wurden während einer Substitutionsbehandlung mit Methadon erhöhte Plasmakonzentrationen des trizyklischen Antidepressivums Desipramin (zum Beispiel Pertofran®) und des reversen Transkriptase-Hemmers Zidovudin (Retrovir®) gefunden. Das bedeutet nicht, dass diese Arzneistoffe während der Substitutionsbehandlung nicht eingesetzt werden dürfen. Es sollte aber an die Möglichkeit einer Interaktion gedacht werden.
Literatur
© 1999 GOVI-Verlag
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