Pharmazie |
17.07.2000 00:00 Uhr |
"Ein glücklicher Zufall hat uns ein Präparat in die Hände gespielt", freuten sich 1886 die Forscher Cahn und Hepp, als sie Acetanilid im Steinkohlenteer entdeckten. Unter dem Namen Antifebrin machte es Karriere als Antipyretikum. Auf den Zufall mag sich heute kein Forscher mehr bei der Arzneistoffsuche verlassen. Molecular Modelling, Naturstoff-Screening und Kombinatorische Chemie sind moderne Ansätze, die schnell zu neuen Wirkstoffen führen sollen.
Wie sich Pharmazeutische Analytik und die Medizinische Chemie ergänzen, diskutierte Professor Dr. Ulrike Holzgrabe bei der dritten Lesmüller-Vorlesung am 13. Juli in Würzburg. Heute kombiniert man je nach Fragestellung chromatographische Methoden wie Dünnschicht-, Gas- oder Hochleistungsflüssigkeits-Chromatographie (DC, GC, HPLC) mit spektroskopischen Verfahren wie Massen- (MS) oder Kernspinresonanz-Spektroskopie (NMR).
Manchen Forschern gilt die struktur- und computergesteuerte Auswahl von Stoffen aus virtuellen Substanz-Bibliotheken als Königsweg der Arzneistoff-Findung. Der HIV-1-Proteasehemmer Saquinavir ist einer der ersten vom Computer maßgeschneiderten Arzneistoffe. Zunächst identifizierte man aus der Röntgenstruktur des Kokristallisats von Enzym und Ligand die Struktur des Minimalsubstrats der HIV-Protease und entwickelte diese weiter zum Arzneistoff. Die Analyse der chemischen Wechselwirkung zwischen Protein und Substrat führte zu optimierten nicht peptidischen Inhibitoren, von denen sich DMP-450 in klinischer Prüfung befindet.
Der Natur auf der Spur
Das Naturstoff-Screening hat im letzten Jahrzehnt eine Renaissance erlebt. "Dabei entdeckt man ganz neue Strukturen und neue Targets", schwärmte die Chemikerin und Apothekerin in ihrem anspruchsvollen Vortrag. Gegen die strukturelle Vielfalt der Naturstoffe, die Biodiversität, verblassen selbst die größten Bibliotheken aus der kombinatorischen Chemie. Beispiele neuer Naturstoffe sind Zytostatika wie Taxol oder Epothilone, das Malariamittel Artemisinin oder Immunsuppressiva wie Tacrolimus oder Rapamycin.
Statt Einzelsubstanzen aus einem Drogenextrakt mühsam zu isolieren, zu reinigen und zu analysieren, unterwirft man den Extrakt heute der HPLC und fertigt von jedem Peak MS-, NMR- und CD-Spektren an (CD: Circulardichroismus) an. Die automatisierte Analyse liefert die komplette Struktur eines Naturstoffs, noch bevor der Forscher den Stoff überhaupt in Händen hält. Die biologische Prüfung erfolgt parallel im Hochdurchsatz-Screening (High-Throughput; HTS).
Die kombinatorische Chemie ahmt die Natur in ihrer Vielfalt nach, erläuterte Holzgrabe. Das Prinzip, aus wenigen Bausteinen unendlich viele neue Kombinationen zusammenzusetzen, kennt man von RNA und DNA. Zunächst synthetisierte man Mischungen aus vielen Substanzen. Daraus musste eine gute Substanz (Hit) erkannt und mühsam isoliert werden. Das verhindert die Parallelsynthese, bei der viele Einzelsubstanzen entstehen, die auf Reinheit und Identität und dann erst auf biologische Wirkung geprüft werden. Die Vielfalt neuer Strukturen ist faszinierend, jedoch eignet sich die Methode nur für polare wasserlösliche Stoffe, schränkte die Pharmazeutische Chemikerin ein.
Erfolgreich mit Methoden-Mix
Bei den kombinatorisch-rationalen Ansätzen werden Methoden der kombinatorischen Chemie und des gezielten Drugdesign verknüpft. Holzgrabe zeigte dies am Beispiel des "Combinatorial target-guided ligand assembly". Zunächst werden mögliche Strukturelemente synthetisiert, die für die gesuchte Substanz essenziell sein könnten. In Tests werden diejenigen Einzelstücke identifiziert, die am Zielmolekül andocken. Diese Treffer-Moleküle werden dann in allen möglichen Kombinationen miteinander verknüpft. Aus dieser Bibliothek sucht der Forscher nun die nach seinen Vorstellungen beste Verbindung heraus.
Ebenfalls neu ist der Ansatz "SAR by NMR", zu deutsch Struktur-Wirkungsbeziehungen durch Kernspin-Resonanz. Dabei vergleicht man die NMR-Spektren von freien und Liganden-gebundenen Proteinen. In der Nähe der Bindungsstelle ändern sich die Mess-Signale. Variiert man die chemische Struktur des Liganden, verschieben sich diese Signale; daraus kann man auf die biologische Aktivität eines Substrates schließen, erklärte Holzgrabe. Mit Hilfe dieser Methode entstand das Immunsuppressivum FK-506 aus Ascomycin.
Auf die Kinetik kommt es an
Abschließend ging die Referentin am Beispiel von Erythromycin A auf die Analyse von Arzneistoffen und ihren Metaboliten ein. Die Kombination von HPLC und MS hilft, das Antibiotikum und seine Metaboliten im Humanplasma zu quantifizieren. Kombinatorisch kann man auch die Pharmakokinetik von elf verschiedenen Chinolonen im Humanplasma simultan bestimmen und spart so viele Tierversuche.
Medizinische Chemie und Analytik ergänzen sich als Werkzeuge bei der Arzneistoffsuche,
fasste Holzgrabe ihre Ausführungen zusammen. Einen Königsweg gibt es nicht, jedoch
werden kombinierte Methoden bei vielen Fragen weiterhelfen.
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