Listige Liposomen bringen Doxorubicin zum Tumor |
07.05.2001 00:00 Uhr |
von Elke Wolf, Rödermark
Vor den Mauern der Stadt blieb der Inhalt des Trojanischen Pferdes völlig unerkannt, während nach dem Einbringen in feindliches Gebiet dessen Inhalt vollständig entleert wurde und zum Sieg gegen die feindliche Übermacht führte. Ähnliches scheint pharmazeutischen Technologen mit der Einbettung von Doxorubicin in pegylierte Liposomen in der Krebstherapie gelungen zu sein.
Doxorubicin, ein Zytostatikum vom Anthrazyklin-Typ, hat seit Jahren einen festen Platz in der Onkologie, es kommt bei einer Vielzahl von malignen Erkrankungen zum Einsatz, allerdings beschneiden Nebenwirkungen wie Kardiotoxizität, Knochenmarksdepression, Stomatitis, Übelkeit/Erbrechen und Alopezie seine therapeutische Wirksamkeit und Akzeptanz. Dosislimitierend ist die Kumulation im Herzgewebe und die daraus resultierende Kardiotoxizität.
Galenische Tüftler in den Laboratorien der Pharmafirmen versprachen sich von liposomalen Carriern, die die zytotoxischen Substanzen direkt zum Tumor führen sollen, eine höhere Dosierungsmöglichkeit bei gleichzeitig verringerter Nebenwirkungsrate. Was sie zunächst nicht beachteten: Die Pharmakokinetik dieser arzneistoffhaltigen Liposomen wird entscheidend von ihrer absoluten Größe bestimmt. Liposomen mit einem Durchmesser über 1 mm wurden nach intravenöser Gabe sehr schnell in die Zellen des retikuloendothelialen Systems (RES) der Leber und Milz aufgenommen. Anthrazyklinhaltige Liposomen der zweiten Generation, wie liposomales Daunorubicin (DaunoXome®) oder liposomales Doxorubicin (Myocet®), sind wesentlich kleiner (50 nm bis 100 nm) und überstehen die Zellen des RES relativ unbeschadet. Folge: Die liposomal verpackten Anthrazykline zirkulieren länger unversehrt in der Blutbahn. Im Herzgewebe reichern sie sich so gut wie nicht an.
Neues Profil dank PegLiposomen
Um die Liposomen noch besser vor der Clearance durch das RES zu bewahren, hat man in den Forschungslaboratorien von Essex Pharma die Doxorubicin-haltigen Liposomen mit Polyethylenglykol (PEG) beschichtet (Caelyx®), informierte Dr. Hans-Peter Lipp von der Universitäts-Apotheke Tübingen auf einer Pressekonferenz des Herstellerunternehmens. "Im Gegensatz zu nicht pegylierten Liposomen ähnlicher Größe verlängert sich durch die zusätzliche hydrophile PEG-Modifikation die intravasale Verweilzeit des eingebetteten Doxorubicins. Offensichtlich werden die phagozytierenden Zellen des RES durch diese Galenik am besten überlistet. Man nennt diese Technologie deshalb auch stealth-technology." (engl. stealth = List)
Die mit Doxorubicin beladenen PegLiposomen zirkulieren noch mehrere Tage nach der Injektion im Blut. Während dieser Zeit bleibt nahezu die gesamte Wirkstoffmenge im Liposom eingeschlossen. Tumorzellen, die infolge einer ausgeprägten Neubildung von Blutgefäßen gut durchblutet werden, kommen deshalb lange mit den pegylierten Liposomen in Kontakt. Tumorversorgende Blutgefäße haben im Gegensatz zu Gefäßen in normalem Gewebe Lücken, so genannte Gaps. Die intakten Liposomen schlüpfen durch die Gaps hindurch, treten ins Gewebekompartiment ein und bleiben im Interstitium des Tumors in der Nähe des Gefäßes.
Bestimmte Bedingungen in der die Tumoren umgebenden interstitiellen Flüssigkeit, wie niedriger pH-Wert, Oxidantien, Enzyme oder Aufnahme durch Makrophagen, bauen die Liposomenmembran ab, und der Wirkstoff wird freigesetzt. Die freien Doxorubicin-Moleküle dringen in die Tumorzelle ein, interagieren mit dem Phosphatgerüst von Nukleinsäuren und greifen somit in die DNA-Synthese ein. Mit der Gammakamera lässt sich die Anreicherung von Indium-markierten Stealth-Liposomen verfolgen. Das Tumor-Targeting durch die Pegliposomen erfolgt über mehrere Tage nach der Injektion, wobei die Anreicherung im Tumor bis zu zehn Tage nach Injektion erfolgt.
"Die PEG-veredelten Liposomen verändern die Pharmakokinetik und damit das Toxizitätsspektrum von Doxorubicin", informierte Dr. Ralf Hilger vom Universitätsklinikum Essen. Durch die ausgeprägte intravasale Lokalisation der anthrazyklinhaltigen PegLiposomen sei die Verteilung in das Herzgewebe kaum gegeben, so dass unter Caelyx® selbst bei etwa doppelt so hohen kumulativen Dosen wie beim nackten Doxorubicin bisher nur sehr selten Symptome einer chronischen Herzinsuffizienz aufgetreten sind. Man habe eine um das mehr als 20-fach reduzierte maximale Peak-Plasmakonzentration. Gleichzeitig konnte eine erheblich verlängerte terminale Halbwertszeit ermittelt werden. Die Fläche unter der Konzentratons-Zeit-Kurve für Doxorubicin nach Caelyx-Gabe war, im direkten Vergleich zur herkömmlichen Doxorubicin-Applikation, um mindestens das Doppelte erhöht. "Der Pluspunkt von Caelyx liegt in einer simulierten Dauerinfusion, obwohl man es nur einmal in vier Wochen infundiert", sagte Hilger. Derzeitiges Manko: Pharmakokinetische und klinische Studien, die liposomales Doxorubicin mit pegyliertem liposomalen Doxorubicin ,vergleichen fehlen bislang.
Günstiges Nebenwirkungsprofil
Caelyx ist in Deutschland zur Behandlung des Aids-assoziierten Kaposi-Sarkoms und zur Therapie von Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom nach Versagen einer Firstline-Behandlung mit einer platinhaltigen Chemotherapie zugelassen. In einer multizentrischen randomisierten Phase-III-Studie mit 481 Ovarialkarzinom-Patientinnen, die nach einer platinhaltigen Firstline-Therapie ein Rezidiv erlitten hatten, wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Caelyx mit Topotecan, das bisher oft als bestmögliche Therapie in diesem Stadium eingesetzt worden war, verglichen.
Die Auswertung von 474 Patientinnen zeigte, dass Caelyx Topotecan bezüglich Ansprechrate, progressionsfreiem Intervall und Gesamtüberlebenszeit gleichwertig ist. Bei Patientinnen mit Platin-sensiblen Tumoren - das heißt Tumoren, die auf die initiale platinhaltige Chemotherapie angesprochen hatten und die ein progressionsfreies Intervall von mehr als sechs Monaten hatten -, ergab sich sogar ein signifikanter Überlebensvorteil für die mit Caelyx behandelten Patientinnen. Die Patientinnen unter Caelyx lebten im Durchschnitt über neun Monate länger als die mit Topotecan behandelten Patientinnen. Derzeit wird die Wertigkeit von Caelyx für die First-line-Therapie des Ovarialkarzinoms in Kombination mit anderen Zytostatika evaluiert.
"Bei mindestens vergleichbarer Effektivität zu den Standardtherapeutika zeichnet sich die pegliposomale Formulierung von Doxorubicin durch ein kleineres Nebenwirkungsspektrum aus", sagte Dr. Andreas du Bois, Gynäkologische Onkologie der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden. Unter Caelyx träten so gut wie keine Kardiotoxizität, Neurotoxizität, Übelkeit/Erbrechen, Alopezie oder eine Myelosuppression auf.
Hauptnebenwirkung einer Therapie mit Caelyx ist eine Hautreaktion, die bislang bei Zytostatika eher selten beobachtet wurde: das so genannte Hand-Fuß-Syndrom. Typischerweise an Fußsohlen und Handflächen, aber auch an Ellenbogen oder unter Achselhöhlen kommt es zu einem unbestimmten Taubheitsgefühl und Kribbeln, gefolgt von Ödemen. Die Haut schmerzt und schuppt, es bilden sich Ulzera und Nekrosen. Die Hautsymptome treten zumeist erst nach längeren Caelyx-Infusionsintervallen auf. Durch ein Herabfahren der Dosis und Dexamethason-Gaben bekomme man die unangenehme Nebenwirkung meist in den Griff, sagte du Bois.
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