Individuelle Beratung statt kommentarloser Abgabe |
14.01.2002 00:00 Uhr |
UMFRAGE
von Tom Anwand und Marion Schaefer, Berlin
Patienten wollen von ihrer Apotheke individuell und umfassend über ihre Arzneimittel aufgeklärt werden und setzen das als selbstverständlich voraus. Das zeigt eine Umfrage, die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Arzneimittelepidemiologie und Sozialpharmazie während des Wissenschaftssommer in Berlin starteten. Die Gruppe hatte interessierte Besucher im Rahmen der Veranstaltung am Potsdamer Platz an einem Stand über die Möglichkeiten softwaregestützter Beratung und Pharmazeutischer Betreuung in der Apotheke aufgeklärt.
Trotz der tragischen Ereignisse in Amerika herrschte in den Arkaden am Potsdamer Platz auch außerhalb der normalen Ladenöffnungszeiten großer Publikumsandrang. Medizinische Themen, zum Beispiel die Bestimmung des individuellen Herz-Kreislauf-Risikos, standen im Mittelpunkt des Interesses. Die Besucher nutzen aber auch die Gelegenheit, einmal mit in den "Apothekencomputer" zu schauen und sich individuell zu informieren. Parallel konnten die Passanten gemeinsam mit den Standbetreuern nach Arzneimittelinformationen im Internet suchen. Ein "Gesundheits-Surfkurs" für Neulinge zeigte anschaulich, dass Informationen aus dem Internet auch Risiken in sich bergen können, wenn die fachliche Interpretation und Bewertung der gefundenen Inhalte fehlt.
Neben dieser Beratungs- und Informationsdienstleistung erfasste die Arbeitsgruppe, welche Fragen potenzielle Apothekenkunden zu ihren Arzneimitteln haben. Mit Dokumentationsbögen, einer EDV-gestützten Datenerfassung am simulierten Handverkaufskassenplatz und persönlichen Gesprächsnotizen dokumentierte das Standteam die Anfragen.
Insgesamt konnten Anfragen von 193 Patienten dokumentiert werden. Davon hatten 97 Prozent einen direkten Bezug zur Arzneimitteltherapie. Fragen zu Nebenwirkungen und möglichen Wechselwirkungen von Arzneimitteln standen im Vordergrund. 62 Prozent der Patienten informierten sich über ein einziges, 19 über zwei und 12 Prozent über drei Arzneimitteln Die restlichen Patienten hatten Fragen zu vier und mehr Arzneimitteln, wobei der Extremfall bei neun Präparaten lag.
Infos zu Herzkreislauferkrankungen sehr gefragt
Die am häufigsten angesprochenen Indikationsgruppen sind in der Tabelle zusammengefasst. Die Auflistung spiegelt die Bedeutung von Herzkreislauferkrankungen und Lipidsenkern wider. Bei den Herz-Kreislauf-Medikamenten lagen b-Blocker und ACE-Hemmer vorne (28 beziehungsweise 26 Prozent). Spitzenreiter bei Anfragen zu b-Blockern war der Wirkstoff Metoprolol, es folgten die ACE-Hemmer Captopril und Verapamil sowie der Calciumantagonist Nifedipin. Erwartungsgemäß standen bei den Lipidsenkern vor allem die Statine im Vordergrund.
Tabelle: Angesprochene Indikationsgruppen
Anzahl Prozent Herz-Kreislauf-Mittel 76 26 Lipidsenker 35 12 Hormone 30 10 Psychopharmaka 20 7 Blut beeinflussende Pharmaka 19 6 Antiasthmatika 12 4 Antidiabetika 10 3 Migränemittel 6 2 Sonstige 85 30
Bei den Hormonen (10 Prozent der erfassten Anfragen) verteilte sich das Interesse zu 40 Prozent auf Sexualhormone, zu 33 Prozent auf Corticoide und zu 27 Prozent auf Schilddrüsenhormone. Informationen zur Hormontherapie im Klimakterium waren gefragter als Beratung über Kontrazeptiva. Bei den psychischen Erkrankungen ( 7 Prozent der Anfragen) standen Antidepressiva gefolgt vom Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin®) im Zentrum des Interesses.
Die Bearbeitung der 61 Anfragen zu möglichen Wechselwirkungen mit der ABDA-Datenbank führte bei 28 Prozent zu einer Interaktionsmeldung. Davon ließen sich 55 Prozent als mittelschwer, 33 Prozent als geringfügig und jeweils 4 Prozent als schwerwiegend, unbedeutend oder auf Fremdangaben beruhend einzustufen.. Gerade bei den relativ häufigen mittelschweren Interaktionen war ein deutliches Informationsbedürfnis der Patienten zu spüren, die nach konkreten Anhaltspunkten für ein Gespräch mit ihrem Arzt suchten.
Gute Beratung gilt als selbstverständlich
Aus den Gesprächen mit den Besuchern des Informationsstandes lassen sich folgende Eindrücke zusammenfassen: In den meisten Fällen konnte schon zu Gesprächsbeginn der qualitative Unterschied zwischen reiner Arzneimittelabgabe, detaillierten Erläuterungen über die Anwendung von Medikamenten und der Prüfung auf Interaktionen wie sie im Rahmen der pharmazeutischen Betreuung erfolgt, deutlich gemacht werden. Entsprechende Informationen zu Nutzen und Risiken der Pharmakotherapie werden zumindest von diesem als sehr interessiert einzuschätzenden Patientenkreis als selbstverständlich angesehen und erwartet. Die Standbesucher bemängelten eine kommentarlose Arzneimittelabgabe, wie sie in manchen Apotheken noch erlebt wird.
Die Mehrzahl der Patienten hat eine Stammapotheke und einen festen Hausarzt. Kunden wechseln die Apotheke, wenn Sie mit der Beratung nicht zufrieden sind. Sie stellen gerne ihre Medikationsdaten zur Verfügung, wenn dies für eine bessere und individuellere Beratung notwendig ist. Auf den Schutz der persönlichen, gesundheitsrelevanten Daten legt man jedoch größten Wert. Einige vor allem ältere und chronisch kranke Standbesucher wünschten sich zudem, dass diagnostische Daten und Laborwerten sowie Röntgenbildern gespeichert werden. Diese Patientengruppe steht auch den Gesundheitsinformationen aus dem Internet aufgeschlossen gegenüber, wenn diese Quellen aufbereitet und kommentiert in eine Beratung und Betreuung einbezogen werden.
Dem häufig explizit geäußerten Wunsch nach mehr Sicherheit in der Arzneimitteltherapie, zum Beispiel durch einen Allergiecheck, Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und bereits vorliegenden Erkrankungen kommt die Software zur pharmazeutischen Betreuung entgegen.
Gefragt waren am Stand patientengerechte individuelle Infotexte zu Arzneimitteln, Interaktionen, Krankheitsbildern und Therapieansätzen. Arzneimittelinformationen aus der ABDA-Datenbank - besonders den Wirkstoffdossiers -, individuelle Medikationsprofile und kritisch kommentierte Inhalte aus dem Internet wurden der rein verbalen Information vorgezogen.
Auch wenn die vermutlich gesundheitsbewussten Besucher des Infostandes nicht repräsentativ sind, zeigt die Auswertung das steigende Interesse an Gesundheitsthemen. Eine fachlich kompetenten Beratung und Betreuung bei der Arzneimittelanwendung wird grundsätzlich erwartet. Umfangreiche Studie zur Einstellung von Patienten zur Pharmazeutischen Betreuung könnte dazu beitragen, die einzelnen Schritte des Betreuungskonzeptes stärker an den Informationsbedürfnissen der Patienten auszurichten. Gleichzeitig muss das Betreuungskonzept im Detail erläutert werden, damit mögliche Vorbehalte abgebaut und der offenkundige Nutzen für den Patienten erlebbar wird. Insofern wäre es wünschenswert, wenn Apotheker bundesweit ähnliche Gelegenheiten nutzten, um das Leistungsangebot der Apotheken zu präsentieren.
Danksagung
Besonderer Dank gilt der Firma Dr.-Ing. Stahl GmbH, die den
Informationstand mit zwei Mitarbeiterinnen sowie der Computertechnik und
der Software unterstützt hat. Die fachliche Beratung zur Pharmazeutischen
Betreuung erfolgte durch folgende Mitglieder der Arbeitsgruppe
Arzneimittelepidemiologie/Sozialpharmazie der HU Berlin: Roland Jopp, Kay
Gehrke, Tom Anwand, Ulrike Kahmen, Ralf Göbel, Marion Schulte van Werde,
Ulrike Birnbaum und Michael Heindl. Der Förderinitiative Pharmazeutische
Betreuung wird für die Bereitstellung einer zweckgebundenen Spende von
Frau Professor Dr. Marion Schaefer gedankt.
Anschrift des Verfassers:
Tom Anwand
Arbeitsgruppe Arzneimittelepidemiologie/Sozialpharmazie
Humboldt-Universität
Goethestraße 54
13086 Berlin
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