Kolloidale Kieselsäuren als Gelbildner |
17.12.2001 00:00 Uhr |
von Klaus Knop, Düsseldorf und Holger Reimann, Eschborn
Während für wässrige Hydrogele eine Reihe unterschiedlicher organischer Verdickungsmittel verwendet werden kann, ist man bei stark sauren Zubereitungen (1) und flüssigen Lipiden (2) meist auf anorganische Gelbildner wie kolloidale Kieselsäure angewiesen. Nach mehreren, voneinander unabhängigen Hinweisen auf Rezepturprobleme mit bestimmten Charge des häufig verwendeten Produktes AerosilÒ 200 wurde dem Laboratorium des NRF aus einer Apotheke ein Prüfmuster eingesandt. Es hatte in der Rezeptur nicht die gewohnte Verdickungsleistung erbracht. Überraschend stellte sich heraus, dass die Monographien des geltenden Arzneibuchs nur unzureichende Prüfungen zur Identität und anwendungstechnisch wichtigen Eigenschaften beschreiben.
Kolloidale Kieselsäure ist als "Hochdisperses Siliciumdioxid" im Europäischen Arzneibuch neben "Siliciumdioxid zur dentalen Anwendung" (beide in Ph. Eur., Nachtrag 2001) und "Siliciumdioxid-Hydrat" (Ph. Eur.1997) monographiert. Im DAB 2001 ist "Gefälltes Siliciumdioxid" beschrieben. Die Identitätsprüfung auf Silicat (Ph.-Eur.-Prüfung 2.3.1) und die Forderung an den SiO2-Gehalt der geglühten Substanz sind für alle Stoffe gleich.
Die Obergrenzen für den Glühverlust der Kieselsäuren unterscheiden sich zwar mit 5 bis zu 25 Prozent, sind aber zur differenzierten Beurteilung der Gebrauchseigenschaften wenig geeignet. Insbesondere zur näheren Spezifikation des hochdispersen Siliciumdioxids enthält die Arzneibuchmonographie keine verbindlichen Prüfvorschriften. Lediglich im Abschnitt "Eigenschaften" wird auf eine "Teilchengröße von etwa 15 nm" hingewiesen. Schon gar nicht lassen sich die handelsüblichen Typen des hochdispersen Siliciumdioxid mit ihren spezifischen Merkmalen (3) voneinander unterscheiden (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Firmen-Spezifikation unterschiedlicher Aerosil-Typen (3)
Typ
spezifische Oberfläche
(BET + Grenzwerte)
[m2/g]
mittlere Größe
der Primärpartikel
[nm]
Stampfdichte
(typischer Wert)
[g/ml]
150
150 (135 - 165)
14
0,05
200
200 (175 - 225)
12
0,05
300
300 (270 - 330)
7
0,05
380
380 (350 - 410)
7
0,05
150 V
150 (135 - 165)
14
0,12
200 V
200 (175 - 225)
12
0,12
300 V
300 (270 - 330)
7
0,12
380 V
380 (350 - 410)
7
0,12
Die Zahl beim Warenzeichen der Firma Degussa-Hüls gibt den Nominalwert der spezifischen Oberfläche des Produktes an.
Gelbildungsvermögen
Da sowohl die spezifische Teilchenoberfläche als auch die Primärteilchengröße nur aufwändig zu bestimmen sind, bietet sich die Messung der Auslaufzeit von Kieselsäure-Solen an, wie sie im DAB 8 beschrieben und gefordert war (4). Bei dieser einfachen Methode zur Ermittlung der Viskositätserhöhung einer Prüfflüssigkeit durch hochdisperses Siliciumdioxid werden 9 g der Substanz unter genau definierten Bedingungen in 150 g Butandiol dispergiert und die Auslaufzeit aus einem Aluminiumbecher bei 24 °C bestimmt. Tabelle 2 gibt die gemessenen Auslaufzeiten verschiedener Aerosil-Typen wieder, darunter drei unterschiedliche Chargen der spezifischen Oberfläche 200 m²/g und des beanstandeten Prüfmusters. Alle Werte der "normalen" Ware liegen innerhalb der Spezifikation des DAB 8. Das Prüfmuster und Aerosil 150 mit seiner geringeren spezifischen Oberfläche hatten relativ kurze Auslaufzeiten. Die Aerosil-V-Typen - hierbei handelt es sich um mechanisch verdichtete Ware - zeigen deutlich geringere Verdickungswirkungen und damit kürzere Auslaufzeiten. Insgesamt erlaubt diese DAB-8-Prüfung zwar eine Abgrenzung zu Fällungskieselsäuren, zur näheren Spezifikation unterschiedlicher Kieselsäuretypen erscheint die Methode zumindest mit den angegebenen Grenzwerten bei 45 und 150 Sekunden nur bedingt geeignet.
Tabelle 2: Gemessene Auslaufzeiten sowie Schütt- und Stampfdichten
Typ
mittlere
Auslaufzeit [s]
Spannweite
Auslaufzeit [s]
Schüttdichte
[g/ml]
Stampfdichte
[g/ml]
Charge
"200"
70,1
3,1
0,050
0,063
beanstandetes Muster
150
66,3
5,0
-
-
2112
200
92,8
2,3
0,038
0,049
2110
200
101,3
7,4
-
-
1024
200
84,4
10,7
0,038
0,048
1776
300
94,3
1,2
-
-
2098
380
95,4
0,6
-
-
2077
150 V
41,7*
0,5
-
-
2127
200 V
47,0
0,7
0,120
0,139
2124
300 V
53,6
1,9
-
-
2107
380 V
50,7
0,3
-
-
1968
Auslaufzeit nach DAB 8, acht Wiederholungen bei Charge 1776, ansonsten zwei;
Schüttdichte m/V0 und Stampfdichte m/V1250 nach Ph.-Eur.-Prüfung 2.9.15, drei Wiederholungen bei Charge 2124, ansonsten zwei
*) unter dem zulässigen Bereich
Einfluss von Verdichtung und Lagerung
Wie die Unterschiede zwischen verdichteter und unverdichteter Ware zeigen, hängt die Gelbildung der kolloidalen Kieselsäure nicht nur von der Größe der Primärpartikel - und damit von der Oberfläche -, sondern auch noch von Sekundäragglomeraten ab, die durch mechanische Verdichtung entstanden sind. Mit solchen Agglomeraten wird der sehr starke Einfluss der zur Einarbeitung angewendeten Dispergierkräfte auf die Verdickungswirkung erklärt (5, 6). Die Leistung des Flügelrührers bei 1500 U/min reicht offensichtlich nicht aus, um die Typen mit großer Oberfläche (Aerosil 300 und 380) in Primärteilchen zu zerteilen. Dagegen zeigt die Lagerung des hochdispersen Siliciumdioxids bei unterschiedlichen Luftfeuchten im untersuchten Bereich (eine Woche Lagerung bei Luftfeuchten unter 10 beziehungsweise 80 Prozent relative Feuchte) keinen Einfluss auf das Gelbildungsvermögen in Butandiol.
Stampfvolumen
Die Bestimmung des Schütt- und Stampfvolumens beziehungsweise der Schütt- und Stampfdichten (Ph.-Eur.-Prüfung 2.9.15) ermöglicht eine einfache und deutliche Abgrenzung zwischen Aerosil 200, 200 V und dem Prüfmuster (Tabelle 2). Während die Aerosil-Typen als Referenz die Hersteller-Spezifikation bezüglich der Stampfdichte halten, zeigt das Prüfmuster einen deutlich höheren Wert.
Praktische Bedeutung
Die Prüfungen der Auslaufzeit und des Stampfvolumens zeigen bei dem beanstandete Muster Aerosil 200 markante Unterschiede zu authentischer Ware beziehungsweise der Herstellerspezifikation und damit gegenüber der erwarteten Qualität. Offen bleibt zunächst, ob es sich um eine Verwechselung oder eine eventuelle nachträglich Verdichtung des Produktes durch Transport-, Lagerungs- oder Umpackvorgänge handelt. Wenn nur solche, zwar arzneibuchkonforme, aber untypische Ware erhältlich ist, muss betroffenen Apotheken vorerst geraten werden, die Konzentration des hochdispersen Siliciumdioxid bei Bedarf zu erhöhen. Diese Kompensation ist aber nicht ad hoc möglich, da die Gelbildung zumindest im Falle des Phosphorsäure-Ätzgel nach NRF (1) zeitverzögert abläuft. Ob dies auch für Oleogele zutrifft, wäre zu prüfen. Selbstverständlich sind primär die Händler der Ausgangsstoffe aufgerufen, spezifikationsgerechte Ware zu liefern.
Für die Zukunft wäre aber auch die Aufnahme einer Prüfung in das Arzneibuch zu fordern, um unterschiedliche Qualitäten innerhalb der Monographie "Hochdisperses Siliciumdioxid" differenzieren zu können, insbesondere hinsichtlich der Verdickungsleistung. Wie gezeigt, lassen sich bei entsprechend engen Grenzen mit der "alten" Auslaufbecher-Methode des DAB 8 relevante Unterschiede feststellen. Ähnlich sinnvoll erscheint die Spezifikation des Stampfvolumens beziehungsweise der Stampfdichte, um zwischen verdichteter und unverdichteter Ware unterscheiden zu können.
Literatur
Für die Verfasser:
Dr. Klaus Knop
Institut für Pharmazeutische Technologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf
© 2001 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de