Diagnostika in der Apotheke |
29.11.2004 00:00 Uhr |
Am 22. November 2004 hatte das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) in Eschborn zum fünften Mal zu einem Expertengespräch eingeladen. Das Thema „Diagnostika in der Apotheke“ wurde vor dem Hintergrund des wachsenden Angebots an modernen gentechnischen Untersuchungsmethoden beleuchtet.
Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, der die Veranstaltung moderierte, verdeutlichte, dass Laboruntersuchungen in Apotheken weit verbreitet sind. Das ZL biete in diesem Bereich Apothekern mit der Durchführung von Ringversuchen zu Blutwertbestimmungen ein Instrument zur Qualitätssicherung an. Das Interesse der Apotheker an solchen Maßnahmen spiegele sich in der diesjährigen hohen Zahl an teilnehmenden Apotheken wider. 2000 Apotheken hatten am Ringversuch teilgenommen und es zeigte sich, dass die Qualität erfreulich hoch ist. Inzwischen umfasse die Diagnostik jedoch weitergehende Möglichkeiten. Vor allem prädiktive Gentests könnten zum Erhalt der Gesundheit beitragen sowie die Arzneimittelsicherheit erhöhen.
Auf Grund von individuellen Enzymausstattungen metabolisieren Menschen Arzneistoffe nicht gleich. Die Ausstattung mit Enzymen der Cytochrom-P-450-Familie ist genetisch festgelegt. So werden über das Isoenzym CYP 2D6 rund 25 Prozent aller heute bekannten Arzneistoffe abgebaut. Aber nicht alle Menschen verfügen über eine vergleichbare CYP-2D6-Aktivität, so dass es bei Nichtwissen darüber zu schweren Arzneimittelkomplikationen kommen könne. Mit prädiktiven Gentests ließen sich solche Zwischenfälle vermeiden. Des Weiteren gebe es bereits Ansätze von Diagnostika, die potenzielle Verläufe von Erkrankungen wie der Adipositas voraussagen können.
Auch Nutzung für Apotheker
„Tests in der Apotheke müssen den wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und den Qualitätskriterien entsprechen“, betonte Constanze Schäfer von der Apothekerkammer Nordrhein. Dies gelte sowohl für die in der Apotheke durchgeführten Untersuchungen, als auch für Produkte, die der Endverbraucher zu Testzwecken erwirbt und deren Auswertung er entweder eigenständig zu Hause vornimmt oder in ein Labor einschickt. Dabei sollten nur Untersuchungen angeboten und durchgeführt werden, die einen Bezug zur apothekerlichen Arbeit haben. Die wissenschaftlichen Grundlagen für solche Tests sollten in Aus-, Fort- oder Weiterbildung gelegt sein. Dabei sei ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation zu legen. Gerade weil der Apotheker auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen keine Diagnosen stellen darf, müsse er die Ergebnisse in geeigneter Form dem Kunden vermitteln können.
„Diagnostik – damit verbindet man das Erkennen von Krankheiten, aber seit dem Genomprojekt umfasst Diagnostik auch das Erkennen von Gesundheitsrisiken“, sagte Professor Dr. Theo Dingermann von der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main. Alle Erbkrankheiten ließen sich auf diese Weise analysieren. Bei Erbkrankheiten sei die korrelierende genetische Abweichung in allen Zellen des Organismus nachzuweisen. Aber auch alle erworbenen Erkrankungen zeigten ein genetisches Korrelat. Hier bestehe die Schwierigkeit, die richtige somatische Zelle, in der der genetische Defekt auftaucht, zu finden.
„Zahlreiche dieser genetischen Defekte sind Polymorphismen, also Punktmutationen. Man spricht auch von single nucleotide polymorphism, kurz SNP“, sagte Dingermann. Mittels der prädiktiven Diagnostik würden diese SNP erkannt und unterschiedlichen Risiken zugeordnet werden. Eine solche Punktmutation habe zum Beispiel Einfluss auf die Ausstattung von bestimmten CYP-Enzymen. „Nicht alle genetischen Veränderungen (Genotyp) können bislang jedoch einem Krankheitsbild oder Gesundheitsrisiko (Phänotyp) zugeordnet werden“, erklärte der Referent. Deshalb würden in der SNP-Datenbank eines Consortiums verschiedener Pharmahersteller beobachtete Veränderungen dokumentiert und die Häufigkeit sowie auftretenden Risiken oder Ereignisse miteinander verknüpft werden. In einigen Fällen ließen sich heute bereits eindeutige Aussagen machen, zum Beispiel über die CYP-Ausstattung oder die Veranlagung zu Chorea-Huntington. In anderen Fällen könne nur eine Risikoeinschätzung erfolgen. Außerdem, das mache Chorea Huntington deutlich, gebe es nicht unbedingt eine wirksame Therapie, mit der sich das Auftreten einer Erkrankung vermeiden oder zumindest verzögern lässt. Bei anderen Erkrankungen wie Diabetes mellitus sei durch eine angepasste Lebensführung oder engmaschigere Kontrollen eine Beeinflussung des Verlaufs möglich. „Eine zuverlässige Quantifizierung des gefundenen Risikos wird seriös dennoch nicht möglich sein“, sagte Dingermann.
Er machte darauf aufmerksam, dass derzeit auf politischer Ebene das Gentest-Gesetz diskutiert wird. Der Entwurf räume nur der Ärzteschaft die Möglichkeit der Nutzung solcher neuen diagnostischen Verfahren ein. „Da eine Reihe dieser Untersuchungen aber für die Arzneimittelsicherheit von entscheidender Bedeutung sein werden und die gesamte Arzneimitteltherapie sich in den nächsten Jahren mehr und mehr an genetischen Faktoren orientieren wird, muss die Apothekerschaft ihr berechtigtes Interesse hinsichtlich der Nutzung prädiktiver Gentests einfordern“, betonte er.
Recht auf Nichtwissen
Vorbehaltlich der möglichen gesetzlichen Regelungen stellte Dr. Anna Eichhorn, humatrix AG, Frankfurt am Main, die Möglichkeit, prädiktive Tests über die Apotheke zu vertreiben, zur Diskussion. Seit 2001 biete die humatrix AG verschiedene postnatale prädiktive Gentests an. Der Versuch, entsprechende Screenings in die Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen zu integrieren, sei bislang gescheitert, so dass Interessenten die Kosten für diese Untersuchungen selbst tragen müssen. Die Tests könnten individuell zusammengestellt werden. Eine Kombination für Neugeborene enthalte zum Beispiel ein Screening auf Hämochromatose, AAT-Mangel, Lactoseunverträglichkeit, Medikamentenunverträglichkeit sowie Erkrankungsrisiken für beispielsweise Parodontitis und Osteoporose. Sehr wichtig sei es, nur Antworten auf gestellte Fragen zu geben. „Sicherlich kann man mit den vorhandenen technischen Mitteln einen Menschen komplett screenen. Jedoch ist nicht nur das Recht auf Wissen des Einzelnen, sondern auch das Recht auf Nichtwissen zu respektieren“, sagte Eichhorn. Eine besonders hohe Verantwortung sei es, den Datenschutz und die Beratung zu erfüllen. Es reiche nicht aus, das Produkt zu verkaufen, sondern es müssen die für den Interessenten möglichen resultierenden Konsequenzen vor der Durchführung einer solchen Untersuchung besprochen werden. Derzeit würden dafür lediglich Ärzte eingebunden. Jedoch seien für bestimmte Tests ebenso Apotheker attraktive Ansprechpartner.
In der lebhaften Diskussion der Teilnehmer mit den Experten wurde deutlich,
dass der Einsatz verantwortungsvoll eingesetzter prädiktiver Diagnostik als
eine zukünftige Aufgabe in der Apotheke gesehen wird. Dabei wurden vor allem
die Möglichkeiten einer Verringerung unerwünschter Arzneimittelrisiken als
Chance hervorgehoben.
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