Radioimmuntherapie mit Ibritumomab Tiuxetan |
15.11.2004 00:00 Uhr |
*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke
Bei der Radioimmuntherapie (RIT) bindet ein Antikörper an ein spezifisches Antigen, das möglichst selektiv auf Tumorzellen lokalisiert ist. Der Antikörper ist mit einer radioaktiven Substanz verbunden, die gezielt die Zielzellen bestrahlt. Mit Yttrium-90-markiertem Ibritumomab-Tiuxetan wird erstmals die RIT für das CD20-positive follikuläre Non-Hodgkin-Lymphom vom B-Zell-Typ realisiert.
Unter Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) werden alle bösartigen Erkrankungen des lymphatischen Systems außer den Hodgkin-Lymphomen zusammengefasst. Diese sehr heterogenen Krankheitsbilder unterscheiden sich stark in Histologie und Krankheitsverlauf.
Wenn die Erkrankung nur sehr langsam fortschreitet, keine oder nur geringe Beschwerden verursacht und eine frühzeitige Therapie keine Vorteile gegenüber einem verzögerten Behandlungsbeginn bietet, kann zunächst auf eine Therapie verzichtet und beobachtet werden. Dagegen ist bei aggressiv verlaufenden Lymphomen ein sofortiger Therapiebeginn notwendig.
Die Wahl der Behandlung eines NHL hängt von dem Stadium der Erkrankung (Staging), der Histologie und Einschätzung der Bösartigkeit (Grading), dem Alter des Patienten und seinem Allgemeinbefinden ab. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen hoch und niedrig malignen Lymphomen. Niedrig maligne Lymphome werden bei lokalisiertem Stadium (1 und 2) nur mit Bestrahlung behandelt, im generalisierten Stadium (3 und 4) erfolgt eine Chemotherapie (1, 2).
Arzneimittelprofil Das Fertigarzneimittel Zevalin® wird als Zubereitungs-Kit (1,6 mg/ml) zur Herstellung von mit radioaktivem Yttrium-90-markiertem Ibritumomab-Tiuxetan von der Firma Schering angeboten. Eine Durchstechflasche zur Infusion enthält 3,2 mg Ibritumomab-Tiuxetan. Die endgültige Formulierung nach Radiomarkierung enthält 2,08 mg Ibritumomab-Tiuxetan in einem Gesamtvolumen von 10 ml (3).
Mit Chemotherapie keine Heilung
Die Chemotherapie wird beim niedrig malignen NHL nur mit palliativer Zielsetzung und nebenwirkungsarmen Schemata eingesetzt. Als Standard gilt das so genannte CHOP-Schema (Cyclophosphosphamid, Doxorubicin, Vincristin [Oncovin] und Prednison) oder das MCP-Schema (Mitoxantron, Chlorambucil und Prednisolon). Bei älteren Patienten kann eventuell nur eine Monotherapie mit Chlorambucil durchgeführt werden. Eine Heilung ist durch Chemotherapie nicht möglich. In klinischer Erprobung sind Interferone, Purin-Analoga wie Fludarabin, autologe Stammzelltransplantation nach myeloablativer Therapie und monoklonale Antikörper gegen das CD20-Antigen auf B-Zellen, B-Zelllymphomen wie Rituximab (Mabthera®).
Aggressive und sehr aggressive Lymphome (hoch maligne Lymphome) werden immer mit Chemotherapie behandelt. Als Standard gilt das CHOP-Schema, von dem sechs bis acht Zyklen gegeben werden. Bei hoch malignen lymphoplastischen Lymphomen ist zusätzlich die Prophylaxe von ZNS-Rezidiven durch Schädelbestrahlungen, intrathekale Gabe von Methotrexat im klinischen Stadium 1 und eventuell eine verminderte Zykluszahl in Kombination mit einer so genannten Involved-Field-Bestrahlung anzuraten. Eine risikoadaptierte Behandlung erfolgt zum Beispiel in Abhängigkeit von Alter sowie Stadium und Allgemeinzustand des Patienten. Durch eine Kombination von CHOP mit Rituximab lassen sich die Behandlungsergebnisse bei CD20-positiven NHL verbessern (R-CHOP-Schema). Bei Hochrisiko-Patienten und der Sekundärtherapie (von primär refraktären Patienten und Rezidiven) werden Hochdosis-Therapien mit nachfolgender autologer Stammzellen-Transplantation (ST) eingesetzt. Durch Gabe hämatopoetischer Wachstumsfaktoren wird die Regeneration der Hämatopoese beschleunigt. Bei B-Zell-Lymphom können Residual-Lymphomzellen im autologen Transplantat durch Reinigungsverfahren (Purging) entfernt werden (1, 2).
Die Radioimmuntherapie mit Yttrium-90-([90Y])-radiomarkiertem Ibritumomab-Tiuxetan (Y-90-IT, Zevalin®) kombiniert biologische und radiologische Mechanismen, um Tumorzellen zu erreichen und zu zerstören. Dadurch steht eine neue therapeutische Alternative für ein bislang therapierefraktäres NHL zur Verfügung.
Strahlung im Radius von 5 mm
Ibritumomab ist ein murines Derivat des chimären Rituximab. Der rekombinante monoklonale Antikörper (IgG1-kappa) ist zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einem nach einer Behandlung mit dem CD20-Antikörper Rituximab (Mabthera®) rezidivierenden oder refraktären CD20-positiven follikulären NHL vom B-Zell-Typ zugelassen. Eine Vorbehandlung mit Rituximab ist notwendig, um zirkulierende B-Zellen zu entfernen, sodass eine zielgerichtete Bestrahlung des Lymphomgewebes mit Y-90-IT ermöglicht wird (3).
Ibritumomab bindet an das B-Zell-Antigen CD20, das auf der Oberfläche von malignen und normalen B-Lymphozyten lokalisiert ist. Während der B-Zellreifung wird CD20 erstmals im Vorläuferstadium der B-Lymphoblasten (Prä-B-Zellen) exprimiert und geht erst in der letzten Phase der B-Zell-Reifung während der Ausdifferenzierung zu Plasmazellen als Oberflächenmarker verloren. Ibritumomab ist über das Verbindungschelat Tiuxetan mit Yttrium-90-([90Y]) verbunden. Nachdem [90Y]-markiertes Ibritumomab-Tiuxetan spezifisch an B-Zellen, einschließlich CD20-exprimierender maligner Zellen, gebunden hat, kann das Radioisotop [90Y] als reiner b-Strahler mit einer mittleren Reichweite von zirka 5 mm sowohl die Zielzellen als auch benachbarte Zellen zerstören. Zum Imaging und zur Dosimetrie wird Ibritumomab-Tiuxetan mit Indium 111 ([111In]) verbunden (3, 4).
Mit einer initialen Response ist innerhalb von vier Wochen zu rechnen. Wahrscheinlich besteht keine Korrelation zwischen der AUC und dem klinischen Ansprechen oder der Schwere der hämatologischen Toxizität. Die mittlere effektive Halbwertszeit im Serum liegt im Bereich von 27 bis 30 Stunden. Die Strahlung tritt im Radius von 5 mm um das Isotop auf (3, 4).
Häufige Nebenwirkungen sind Kraftlosigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Hautblutungen, Fieber, Erkältung, Dyspnoe, Husten, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Reizungen im Hals, und Schmerzen in verschiedenen Körperregionen und allgemeine Schmerzen.
Als schwerwiegende Nebenwirkungen sind vor allem Anämien, Neutropenien, Thrombozytopenien, Angioödeme, Bronchospasmen Hämorrhagien, Infektionen und Sekundärneoplasien zu nennen. Mindestens einmal pro Woche ist zur Therapieüberwachung ein Blutbild notwendig. Ein Monitoring auf Zytopenien und Komplikationen einer febrilen Neutropenie und Hämorrhagie für bis zu drei Monate nach Ende der Therapie sind anzuraten (3, 4).
Vorsicht bei Grunderkrankungen
Überempfindlichkeit gegenüber Wirk- oder Hilfsstoffen des Fertigarzneimittels sind Gegenanzeigen. Antikörpertiter sind vor Behandlungsbeginn zu bestimmen, wenn andere murin-basierte (Radio-)Immuntherapien bereits durchgeführt wurden.
Die radioaktiv markierten Antikörper sind plazentagängig. Deswegen muss vor Beginn der Behandlung bei Frauen eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Frauen und Männer müssen während der Behandlung und bis zu 12 Monate danach eine wirksame Verhütungsmethode anwenden. Während der Anwendung darf nicht gestillt werden.
Unter anderem ist Vorsicht angebracht bei Beeinträchtigung des Knochenmarks zum Beispiel durch frühere myeloablative Therapien oder frühere Bestrahlungen. Zur wiederholten Behandlung liegen derzeit keine ausreichenden Erfahrungen vor. Kardiovaskuläre Vorerkrankungen können auf Grund der Effekte auf den Blutdruck oder durch die Auslösung von Arrhythmien durch Antikörpertherapien, gegen eine Anwendung sprechen (3, 4).
Formelle Untersuchungen zu Arzneimittelinteraktionen wurden nicht durchgeführt. Wechselwirkungen könnten insbesondere mit Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern auftreten (3, 4).
Überzeugende Gesamtansprechrate
In einer Phase-III-Studie (5) wurde Yttrium-90-Ibritumomab-Tiuxetan (Y-90-IT) mit Rituximab an 143 Patienten verglichen, die ein rezidivierendes oder therapierefraktäres, niedriggradiges, follikuläres oder transformiertes CD20-postives NHL aufwiesen. Die Patienten erhielten eine einzelne intravenöse Applikation von Y-90-IT 0,4 mCi/kg (n = 73) oder Rituximab 375 mg/m2 i. v. wöchentlich in vier Dosierungen (n = 70). Die Radioimmuntherapiegruppe wurde mit zwei Rituximab-Gaben (250 mg/m2) vorbehandelt. Primärer Endpunkt war die Gesamtansprechrate, die von einem unabhängigen Experten-Panel festgestellt wurde. Die objektive Responserate betrug in der Y-90-IT-Gruppe 80 Prozent gegenüber 56 Prozent in der Rituximab-Gruppe (p = 0,002). Vollständige Responseraten wurden bei 30 Prozent unter Y-90-IT beziehungsweise bei 16 Prozent unter Rituximab erreicht (p = 0,04). Die mediane Dauer der Therapieantwort betrug 14,2 Monate in der Y-90-IT-Gruppe und 12,1 Monate in der Kontrollgruppe (p = 0,6). Auch die Zeit bis zur Progression unterschied sich mit 11,2 versus 10,1 Monate nicht signifikant (p = 0,173). Längere Therapieantworten von mindestens sechs Monaten wurden bei 64 Prozent gegenüber 47 Prozent (p = 0,03) erreicht.
In einer weiteren Studie (6) zeigten 57 Patienten mit follikulärem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) objektiv keine Response mehr auf Rituximab oder bis zur Progression waren maximal sechs Monate vergangen. Das Y-90-IT-Behandlungsregime bestand aus einer Vorbehandlung mit Rituximab (250 mg/m2 intravenös an Tag 1 und 8 und einer Y-90-IT (0,4 mCi/kg maximal 32 mCi) intravenös an Tag 8. Die allgemeine Therapieresponse betrug bei 54 Patienten mit follikulärer NHL 74 Prozent - 15 Prozent in kompletter Response und 59 Prozent in partieller Response. Die Zeit bis zur Progression betrug 6,8 Monate für alle Patienten und 8,7 Monate für die Responder. Unerwünschte Wirkungen waren primär hämatologischer Art, die Inzidenz von Grad 4 Neutropenien, Thrombozytopenien und Anämie war 35 Prozent, 9 Prozent und 4 Prozent respektive.
Fazit
Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) sind eine heterogene Gruppe maligner Erkrankungen des Lymphsystems mit stark zunehmender Inzidenz. Mit [90Y]-radiomarkiertem Ibritumomab-Tiuxetan ist erstmals eine Radioimmuntherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einem nach einer Behandlung mit dem CD20-Antikörper Rituximab rezidivierenden oder refraktären CD20-positiven follikulären Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) vom B-Zell-Typ zugelassen.
Ibritumomab ist ein rekombinanter muriner IgG1-kappa monoklonaler Antikörper, der sich spezifisch gegen das B-Zell-Antigen CD20 richtet. CD20 ist auf der Oberfläche von malignen und normalen B-Lymphozyten lokalisiert und als Oberflächenmarker vor allem auf frühen Zellstadien zu finden. Das zu Beginn verabreichte Rituximab bindet vorwiegend an periphere CD20-positive-B-Zellen im Blutkreislauf und verhindert eine Bindung des im weiteren Verlauf applizierten über Tiuxetan mit radioaktivem Yttrium-90 [90Y] verbundenem Ibritumomab an diese Zellen. Das Isotop [90Y], ein b-Strahler, tötet diese Lymphomzellen, schädigt aber ebenfalls umliegende Zellen und gesunde CD20-positive Zellen. Letztere können sich aber binnen Monaten wieder regenerieren.
Vor allem die Gesamtansprechrate überzeugt in Studien als Zielparameter bei Rituximab-refraktären Patienten. Eine Verbesserung der Überlebenszeit ist bislang nicht bekannt. Während und nach der Therapie ist auch wegen möglicher Nebenwirkungen ein hämatologisches Monitoring anzuraten. Die Behandlungskosten sind mit circa 13.000 Euro pro Kit ebenso erheblich wie der Applikations- und Entsorgungsaufwand.
[90Y]-Ibritumomab-Tiuxetan ist ein spezielles Radiopharmazeutikum, das nur vom erfahrenen Hämatologen in speziell indizierten Fällen zu verordnen und unter besonderer Überwachung zu applizieren ist. Die zukünftig zu behandelnden Fälle sollten wissenschaftlich begleitet werden, um weiteres Erkenntnismaterial zu gewinnen.
Literatur
Anschrift der Verfasser:
Dr. Thilo Bertsche und Dr. Martin Schulz
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
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