Von einer Laborspielerei zur Biotechnologie |
18.11.2002 00:00 Uhr |
von Hans-Peter Hanssen, Hamburg
Die Geschichte zur Untersuchung flüchtiger Stoffwechselprodukte in Mikroorganismen, die zum Teil für die Lebensmittelindustrie, aber auch als Bestandteile etherischer Öle höherer Pflanzen für die Komposition von Parfümen und Essenzen von erheblicher Bedeutung sind, ist eng mit den Arbeiten Ewald Sprechers verbunden.
Die grundlegenden Untersuchungen beschäftigten sich mit der Strukturaufklärung der einzelnen Komponenten in „Pilzölen“, die sich damals ungleich schwieriger gestaltete als mit den heute zur Verfügung stehenden Methoden, mit der Beeinflussbarkeit der Produktion dieser Metabolite durch Veränderung der Kulturbedingungen und mit den qualitativen und quantitativen Unterschieden innerhalb einer Art („Stammesspezifität“), die bei der Bildung von Sekundärstoffen zu beobachten sind.
Duft- und Aromastoffe in Pilzen
Die Vielfältigkeit unterschiedlicher Pilzdüfte hat Pilzfreunde und Mykologen schon immer fasziniert. Dabei denkt man natürlich zunächst an das charakteristische angenehme Aroma unserer Speisepilze, das vor allem durch „C8-Verbindungen“ mit dem pilztypischen Geruchsstoff (-)-(R)-1-Octen-3-ol bestimmt wird, der schon in geringer Konzentration die Geruchsimpression „frischer Champignon“ hervorruft. Wer sich jedoch einmal ernsthaft mit dem Pilze sammeln beschäftigt hat, der ist sicher auch verschiedenen Arten begegnet, die durch einen weniger „pilzartigen“ Geruch auffallen. Die Duftnoten reichen dabei von blütenartigen über obst- und gewürzähnliche oder holzartige Eindrücke bis zu unangenehmen Geruchsimpressionen unterschiedlichster Art (Tabelle). Häufig weisen schon die Namen der betreffenden Pilze auf diese typische Eigenheit hin.
Tabelle: Großpilze mit charakteristischen, nicht pilzartigen Duftnoten
PilzartDuftnote Grüner Anis-Trichterling (Clitocybe odora) Anis Würziger Schleimkopf (Cortinarius percomis) Lavendel, Orangenblüten, Majoran Wohlriechender Gürtelfuß (C. torvus) getrockneten Pflaumen Fencheltramete (Gloeophyllum odoratum) Fenchel; Anis Orangeroter Goldnabeling (Haasiella venutissima) getrocknete Aprikosen Duftender Risspilz (Inocybe bongardii) reife Birnen oder Pflaumen Fleischfarbener Risspilz (I. incarnata) Jasmin Birnen-Risspilz (I. pyriodora) Jasmin, Lerchensporn Runzliger Zwerg-Milchling (Lactarius cremor) Efeu, Campher Bruchreizker (L. helvus) geröstete Zicchorien; Maggiwürze Veilchen-Rötelritterling (Lepista irina) Veilchenwurzel, Iris Langstieliger Knoblauch-Schwindling (Marasmius alliaceus) Knoblauch Zedernholz-Täubling (Russula badia) Zedernholz Honig-Täubling (R. melliolens) Honig Sellerie-Ritterling (Tricholoma luteovirens) stark sellerieartig
Aber auch zahlreiche Mikropilze produzieren in Kultur charakteristische Duftnoten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren bei der Kultivierung verschiedener Hefen und Fadenpilze vor allem die fruchtigen Noten aufgefallen, die man mit „apfelartig“, „pfirsichartig“, „birnenartig“, „melonenartig“, „pfirsichartig“ oder “bananenartig“ beschrieb. Natürlich war der Geruch der entsprechenden Kulturen weitgehend auf Stoffwechselprodukte zurückzuführen, die im Verlauf von Gärungsvorgängen gebildet worden waren.
Aber gerade die blüten- und fruchtähnlichen Duftnoten in Pilzen und Pilzkulturen waren es, die immer wieder die Fantasie von Forschern anregten, die sich gleichzeitig mit den etherischen Ölen in höheren Pflanzen beschäftigten. Warum sollten Mikroorganismen nicht auch Mono- und Sesquiterpene bilden können, die häufig die Hauptkomponenten etherischer Öle darstellen und für den charakteristischen Duft dieser Öle verantwortlich sind? Es herrschte aber tatsächlich bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts die Ansicht vor, dass Pilze auf Grund fehlender spezifischer Akkumulationsorte, wie sie bei höheren Pflanzen zu finden sind (Ölzellen, -behälter und -gänge), nicht in der Lage sind, solche flüchtigen Terpene zu produzieren. So war es fast eine kleine Provokation, als Ewald Sprecher 1963 eine Veröffentlichung zu seinen Untersuchungen „Über ätherisches Öl aus Pilzen“ nannte (1).
Auf der Suche nach terpenoiden Riechstoffen
Das „Haustier“ der Arbeitsgruppe war Ceratocystis coerulescens (Münch) Bakshi. Zahlreiche Arten der Ascomyceten-Gattung Ceratocystis gehören zu den Bläuepilzen, die von erheblicher ökonomischer Bedeutung sind, da das von ihnen verfärbte Holz von deutlich geminderter Qualität ist. Schon früh war der charakteristische Geruch von C. coerulescens aufgefallen und bei der taxonomischen Zuordnung berücksichtigt worden. Der Nachweis der beiden ubiquitären Terpenbegleiter 6-Methyl-5-hepten-2-on und des korrespondierenden Alkohols als arttypische Stoffwechselprodukte durch Birkinshaw und Morgan (2) veranlassten Sprecher, diese Pilze genauer auf das Vorkommen von Terpenen zu untersuchen (3). Doch erst mit der Entwicklung moderner analytischer Methoden (Gaschromatographie, Massenspektrometrie) war es möglich, komplexe Riechstoffgemische auch in geringer Konzentration aufzutrennen und einen Strukturvergleich mit bekannten Substanzen vorzunehmen. Nach anfänglichen Fehlschlägen gelang es so schließlich, im Wasserdampfdestillat eines C. coerulescens-Stammes zahlreiche acyclische Mono- und Sesquiterpene zu identifizieren. Die Veröffentlichung „Flüchtige Terpene in Pilzen“ (4) stellte einen Meilenstein für dieses Forschungsgebiet dar.
Im Folgenden wurden dann weitere verwandte Arten und Stämme untersucht, die zu der seinerzeit aktuellen Diskussion um die taxonomische Neustrukturierung der sogenannten ophiostomatoiden Pilze beitrugen (5). Neben acyclischen Terpenen konnten dann in verwandten Arten auch zyklische Verbindungen identifiziert werden. (6). Weiterhin wurde die Beeinflussbarkeit der Bildung von Terpenen und anderen flüchtigen Stoffwechselprodukten durch Variation der Kulturbedingungen und die regio- und stereospezifische Biotransformation zugesetzter Terpene intensiver untersucht. Auch wurden verschiedene Hefen und zahlreiche Basidiomyceten in das Untersuchungsprogramm einbezogen.
Auf dem Weg zur Biotechnologie
Die Jahre um 1980 waren die Pionierzeit der Biotechnologie. Richtungsweisende neue Methoden wie die PCR-Technik revolutionierten vor allem die Genetik und neben der Informationstechnologie, deren Produkte gerade einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurden, sollte auch die Gen- und Biotechnologie zu einer Zukunftstechnologie werden. So begann man in dieser Zeit auch, die Möglichkeiten einer industriellen Gewinnung von Aroma- und Riechstoffen aus Pilzkulturen zu diskutieren. Der Bedarf war ursprünglich fast ausschließlich aus dem Pflanzenreich oder durch synthetische Produkte gedeckt worden. Die steigende Nachfrage nach natürlichen Produkten, die zum Teil wiederum einen deutlich höheren Preis erzielten als ihre synthetischen Konkurrenzprodukte, belebte diese Diskussion zusätzlich. So entwickelte sich die Duftstoffproduktion durch Mikroorganismen „from a laboratory oddity to a highly discussed possibility of industrial interest“ (7).
Widmung Dieser Beitrag ist Herrn Professor Dr. Ewald Sprecher gewidmet. Im Namen zahlreicher ehemaliger Doktoranden wünsche ich Herrn Professor Dr. Sprecher alles Gute zu seinem 80. Geburtstag und noch viele geruhsame Jahre im Kreis seiner Familie.
Literatur
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