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Angiotensin II kann mehr als Vasokonstriktion

12.11.2001  00:00 Uhr

Angiotensin II kann mehr als Vasokonstriktion

von Christina Hohmann, Mainz

Angiotensin II verengt nicht nur die Blutgefäße, sondern stimuliert auch das Wachstum der auskleidenden Endothelzellen. Antagonisten senken daher den Blutdruck und erhöhen gleichzeitig das Arteriolenvolumen durch morphologische Veränderung. Diese und weitere Erkenntnisse der pharmazeutischen Forschung waren Themen des 9. Mainzer Forums für medizinische Chemie an der Johannes-Gutenberg-Universität.

Für ihre "herausragenden Verdienste für alle Bereiche der pharmazeutischen Forschung" wurden die beiden Professoren Dr. Dr. h.c. mult. Herbert Oelschläger und Dr. Dr. med. Dres. h.c. Ernst Mutschler anlässlich ihres 80. beziehungsweise 70. Geburtstages im Rahmen des ihnen gewidmeten 9. Mainzer Forums geehrt. Die Vorträge des Symposiums spiegelten die breitgefächerten Forschungsinteressen der Jubilare wider.

Allosterische Modulatoren

Professor Dr. Nigel J. M. Birdsall vom National Institute for Medical Research in London stellte einen neuen Mechanismus für Subtyp-selektive Wirkstoffe vor, die am muskarinergen Acetylcholin-Rezeptor (mAchR) angreifen. Die bis heute entwickelten Hemmstoffe zeigen nur eine geringe Selektivität für einen der fünf Rezeptortypen (M1 bis M5). Ein Grund hierfür ist, dass sich die Bindungsstelle der Rezeptoren im Laufe der Evolution sehr wenig verändert hat.

Dieses Problem könne man mit allosterischen Modulatoren umgehen, erklärte der Referent. Die Moleküle greifen nicht an der hoch konservierten Bindungsstelle des endogenen Liganden an, sondern an einer benachbarten Region. Durch ihre Anlagerung ändert sich die Konformation des Rezeptors, was die Bindung des Liganden entweder erschwert oder erleichtert. Allosterische Modulatoren wirken also nicht direkt an der Muskarin-Bindungsstelle, sondern beeinflussen indirekt die Affinität der dort angreifenden Liganden positiv oder negativ. Ein Beispiel für einen allosterischen Effektor ist Gallamin, das sowohl Antagonisten als auch Agonisten am M1-Rezeptor hemmt. Strychnin dagegen verstärkt die Wirkung von Liganden an M1. Solche Verstärker existieren auch für den M3-Rezeptor: die Brucin-Analoga. Wirksame Dosen dieser allosterischen Modulatoren liegen allerdings im mikromolaren Bereich, weshalb eine klinische Anwendung der Stoffe noch nicht in Frage kommt. Für moderne Arzneistoffe werden Wirkdosen im nanomolaren Bereich angestrebt.

AT1-Rezeptor-Antagonisten

Von den verschiedenen Möglichkeiten in das Angiotensin-System einzugreifen, seien Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten zurzeit die modernste Variante, sagte Professor Dr. Rainer Düsing von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Eine schon länger bekannte Möglichkeit zur Blutdrucksenkung stellen die Inhibitoren des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE). Das Enzym wandelt das Decapeptid Angiotensin I in das Octapeptid Angiotensin II um und erfüllt daneben noch weitere metabolische Funktionen. So ist es zum Beispiel am Abbau der Kinine beteiligt. Im Falle der ACE-Hemmung steigen daher die Kinin-Konzentrationen im Blut an, worauf der bei bis zu 20 Prozent der Patienten beobachtete trockene Reizhusten zurückgeführt wird. Ein weitere Nachteil der ACE-Hemmer besteht darin, dass neben ACE noch weitere Enzyme existieren, die die Entstehung von Angiotensin II aus dem Vorläuferprotein katalysieren. Den Rezeptor anstelle des Konversionenzyms zu blockieren, sei daher die bessere Lösung, erklärte Düsing.

Ziel ist der AT1-Rezeptor, der fast alle bisher bekannten Wirkungen von Angiotensin II vermittelt. Neben der Verengung der Gefäße fördert die Substanz die Blutgerinnung und dient außerdem als Proliferationsfaktor, der die Endothelzellen zum Wachsen anregt. AT1-Rezeptor-Antagonisten setzen daher nicht nur den Blutdruck durch Vasodilatation herab, sondern hemmen auch die Blutgerinnung und erhöhen das Ateriolenvolumen durch verringertes Wachstum der Gefäßwandzellen. Zurzeit laufen mehrere prospektive Studien, die verschiedene AT1-Rezeptor-Antagonisten mit herkömmlichen Therapiemöglichkeiten vergleichen: LIFE (Losartan), VALUE (Valsartan) und SCOPE (Candesartan). Bisherige Studien bei Patienten mit Herzinsuffizienz hatten ein widersprüchliches Bild ergeben: In der ELITE-2-Studie wurde versucht, die in der ersten ELITE-Studie für Losartan (CosaarÒ) gefundene Mortalitätssenkung bei älteren Menschen mit Herzinsuffizienz zu bestätigen. In der neuen Studie, mit knapp fünfmal mehr Patienten, war der AT1-Rezeptor-Antagonist Losartan dem ACE-Hemmer Captopril (LopirinÒ) jedoch keineswegs überlegen: Während einer medianen Behandlungsdauer von anderthalb Jahren betrug die Gesamtmortalität unter Losartan 17,7 Prozent, unter Captopril nur 15,9 Prozent. Zwar erwies sich der AT1-Rezeptor-Antagonist als besser verträglich, doch die Mortalität wurde gegenüber dem ACE-Hemmer nicht signifikant gesenkt. Allerdings belege die Niereninsuffizienzstudie RENAAL, dass Losartan besser vor Mikro- und Makroalbuminurie schütze als konventionelle Therapien, berichtete Düsing. Auf den Einwand aus dem Publikum, dass die Tagestherapiekosten bei Angiotensin-II-Antagonisten fünfmal höher seien als bei ACE-Hemmern, entgegnete er: "Daher sind die Ergebnisse der laufenden Head-to-Head-Studien für eine Evidenz-basierte Therapie auch so wichtig."

Genetische Vielfalt

Professor Dr. Bernd Clement von der Kieler Christian-Albrechts-Universität befasste sich mit der Bedeutung des Metabolismus für die Entwicklung neuer Arzneistoffe. Eine Schlüsselrolle im Fremdstoffmetabolismus nimmt das Cytochrom-P-450-Enzymsystem ein. Diese mikrosomalen Enzyme katalysieren Monooxygenierungen unter den Phase-I-Reaktionen. Cytochrom 450 ist eine Superfamilie, deren Isoenzyme sich nur geringfügig unterscheiden und zum Teil auch überlappende Substratspezifität haben. Nach dem Grad ihrer Verwandtschaft werden sie in Familien und Unterfamilien unterteilt. Ein Isoenzym der dritten Familie - CYP 3A4 - ist der wichtigste Vertreter, es macht etwa 30 Prozent der gesamten CYP-450-Monooxygenasen aus. Dabei können die Konzentrationen der einzelnen Isoenzyme von Mensch zu Mensch stark variieren: Die Gesamtmenge an CYP 3A4 zum Beispiel schwankt interindividuell um etwa 20 Prozent. Das kann unter Umständen Auswirkungen auf die Metabolisierungsspezifität haben.

Gravierender sind die genetischen Unterschiede allerdings, wenn durch genetische Variabilität ganze Enzyme ausfallen. Praktische Bedeutung hat der CYP-2D6-Polymorphismus. Etwa 10 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung trage eine mutierte Variante dieses Gens, erklärte Clement. Die Betroffenen würden bestimmte Stoffgruppen daher erheblich langsamer abbauen. Heute werde in der Entwicklung von neuen Arzneistoffen bereits in einer frühen Phase auf die Metabolisierung via CYP 2D6 und CYP 3A4 getestet. Substanzen, die ausschließlich über diese Enzyme metabolisiert werden, würden daher nicht weiterentwickelt. In Zukunft sei es durchaus denkbar, dass im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung der Genotyp eines Menschen festgestellt wird, um so nach Rückschluss auf die Enzymausstattung di Arzneimitteltherapie zu individualisieren. Top

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