Strophanthin wirkt wie ein Hormon |
18.10.1999 00:00 Uhr |
Akutelle Daten sprechen dafür, dass die menschliche Nebenniere das herzwirksame Glykosid Ouabain (g-Strophanthin) bildet und sezerniert. Da das Hormon Ouabain den Natrium-Stoffwechsel beeinflusst, sind neue Therapieansätze bei der Behandlung von Herzinsuffizienz und eventuell auch der Hypertonie denkbar.
Herzaktive Steroide werden sowohl in Pflanzen als auch bei niederen Wirbeltieren gebildet. In der Pflanzenwelt sind die Herzglykoside vom Typ der Cardenolide weit verbreitet. In Haut und Speicheldrüsen niederer Wirbeltiere wie Kröten und Schlangen kommen vorwiegend Verbindungen vom Typ der Bufadienolide vor. Sie schützen die Tiere vor dem Gefressenwerden. Daneben steuern die Substanzen bei Kröten vermutlich die den Salz- und Wasserhaushalt (1).
Seit mehr als 200 Jahren werden Digitalisglykoside aufgrund ihrer inotropen und bradykarden Wirkung zur Behandlung der Herzinsuffizienz eingesetzt. Der Stellenwert dieser Therapie war bislang nicht gesichert. Eine große Studie der US-amerikanischen Digitalis Investigation Group (2) kommt zu dem Schluß, dass das Herzglykosid Digoxin zwar nicht die Mortalität bei Herzinsuffizienz positiv beeinflußt, wohl aber die Zahl der Todesfälle durch Verschlechterung der Herzinsuffizienz sowie der Krankenhausaufenthalte. Bei kombinierter Auswertung von Tod und Krankenhausaufenthalten ergab sich ein signifikanter Vorteil zugunsten von Digitalis. Die Belastbarkeit und Lebensqualität besserte sich.
In hohen Konzentrationen hemmen Herzglykoside spezifisch die Natriumpumpe (Na+/K+-ATPase) der Plasmamembran. Dadurch steigt die intrazelluläre Natriumionenkonzentration, was über Aktivierung des Na+/Ca++-Austauschers auch zu einem Anstieg der intrazellulären Calciumaktivität und damit zur verstärkten Kontraktion des Herzmuskels (Inotropie) führt. Da gleichzeitig die intrazelluläre Kaliumkonzentration abnimmt, verringert sich das Membran-Ruhepotential und es kommt zu einer erniedrigten Leitungsgeschwindigkeit (3). Geringe Konzentrationen von Herzglykosiden führen dagegen nicht zu einem positiv inotropen Effekt (4). Sie stimulieren vielmehr die Natriumpumpe (Na+/K+-ATPase) (5).
Endogene Herzglykoside Bei der Suche nach endogenen Hemmstoffen der Natriumpumpe isolierten Wissenschaftler unterschiedliche Substanzen, die alle der Substanzgruppe der kardiotonen Steroide angehören (6, 7). So isolierte man im Harn des Menschen eine von Digoxin nicht zu unterscheidende Substanz (8). In bovinen Nebennieren fanden Forscher eine hydrophobe Substanz, die mit Digoxin-Antikörpern kreuzreagierte, bei der es sich aber nicht um Digoxin handelte (9). In spontan hypertensiven Ratten senkte die Injektion von Digoxin-Antikörpern (Digibind) den Blutdruck (10). Hierbei existiert jedoch auch eine Kreuzreaktion mit anderen endogenen Substanzen wie Marinobufaginine. Nach Gabe von "spezifischen" Ouabain-Antikörpern konnte eine hohe Plasmakonzentration von Ouabain bei spontan hypertensiven Ratten gezeigt werden. Bei einer Überprüfung mittels HPLC fanden die Wissenschaftler jedoch nur geringe Ouabain-Konzentrationen (11).
Aus zwei verschiedenen Kliniken wurde berichtet, dass Digibind-Infusionen den Blutdruck bei Schwangeren mit therapieresistenter präeklamptischer Hypertonie und erhöhten Konzentrationen an "endogenem Digitalis" innerhalb von 12 Stunden senkt (12, 13).
Eine Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass der Hypothalamus einen Hemmstoff der Natriumpumpe enthält, bei dem es sich um ein Isomer des Ouabain handelt (14). Aus menschlichem Blutplasma isolierte eine andere Forschergruppe eine Substanz, die sich massenspektrometrisch nicht von Ouabain unterscheiden ließ (15), die aber eventuell ein Isomer des Ouabain ist (16). Eine Giessener Arbeitsgruppe konnte jedoch mit Hilfe der Massenspektrometrie und 1H-NMR-Spektroskopie eindeutig belegen, dass es sich bei der in den Nebennieren vorkommenden Substanz um Ouabain handelt (17).
Nach den vorliegenden Befunden zu urteilen, ist Ouabain (g-Strophanthin) also ein kardiotones Steroid der Nebenniere und des Hypothalamus, das an der Regulation des Salz- und Wasserhaushaltes beteiligt ist. Ouabain wird in der Zona fasciculata der Nebenniere gebildet (18) und auf Reize durch ACTH und Angiotensin II aus Nebennierenzellen-Gewebekulturen freigesetzt (19, 20). Der durch Angiotensin II stimulierte Signalweg zur Freisetzung von Aldosteron und Ouabain unterscheidet sich: Die Angiotensin-II-induzierte Freisetzung von Ouabain wird durch den AT2-Antagonisten PD 123319 unterbunden (20), die von Aldosteron dagegen nicht. Der Biosyntheseweg des Ouabain scheint nicht wie der des Aldosteron vom Progesteron auszugehen, sondern von Pregnenolon (21).
Neben endogenem Ouabain zirkulieren im menschlichen Blut wahrscheinlich noch weitere kardiotone Steroide vom Typ der Bufadienolide. Die Giessener Arbeitsgruppe fand im Blut des Menschen eine unbekannte Substanz, die mit Antikörpern gegen das Bufadienolid Proscillaridin A reagierte (22). Diese war ebenso wie Ouabain in der Nebennierenrinde und im Hypothalamus in erhöhten Konzentrationen vorhanden (23).
Hypertoner Effekt fraglich Es ist derzeit unklar, welche physiologische Bedeutung Ouabain und eventuelle andere endogene kardiotone Steroide haben. Es scheint jedoch, dass man zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Wirkung kardiotoner Steroide unterscheiden muss.
Die Ouabain-Konzentration ist im Blut bei einer Form der essentiellen Hypertonie, der sogenannten "low renin hypertension", erhöht. Hieraus leitet sich die Fragestellung ab, ob die endogenen kardiotonen Steroide einen Einfluss auf die Entstehung des Bluthochdruck besitzen. Diese Frage lässt sich nach den bislang vorliegenden Ergebnissen nicht abschließend beantworten. So wird aufgrund von Versuchen mit Ratten postuliert, dass Ouabain in nanomolarer Konzentrationen die glatten Gefäßmuskel für Vasopressor-Impulse sensibilisieren kann, die vielleicht zu erhöhtem Bluthochdruck beitragen. Hierbei muss eingeschränkt werden, dass nach einigen Befunden eine Sensibilisierung für Vasopressorimpulse nur dann statt findet, wenn zuerst vasopressorische Substanzen und danach Ouabain an das Gewebe kommen. Wird dagegen zuerst Ouabain und dann ein Vasopressor appliziert, kam es bei Laborversuchen zu keiner Sensibilisierung (24).
Endogenes Oubain kommt bei gesunden Menschen im Blut in einer Konzentration von 0.16 x 10-9 bis 0.7 x 10-9 Mol vor, bei Herzinsufflzienz steigt diese jedoch auf 1.59 x 10-9 Mol an, um im Stadium IV der NYHA-Klassifikation wieder abzufallen (25). Diese Konzentrationen führen jedoch beim Menschen zu keiner Vasokonstriktion. Ein Effekt tritt erst bei circa 13 x 10-9 Mol Ouabain auf (26).
Ob nach Ouabain-Gabe auch bei Menschen der Blutdruck steigt, ist umstritten. So wurden in einigen Studien erhöhte Ouabain-Blutspiegelwerte bei Hypertonikern beobachtet (27, 28), in zahlreichen anderen Studien dagegen nicht (29 - 31). Auch in Tierversuchen konnten Forscher einen solchen Effekt nicht nachweisen (32 - 35). Das ebenfalls im Blut nachgewiesene Bufadenolid Bufalin erhöht jedoch den Blutdruck bereits in Konzentrationen, in denen Ouabain und andere Cardenolide noch keine Effekte zeigen (36, 37).
Möglich wäre auch, dass die lang andauernden Effekte der kardiotonen Steroide - vermittelt über einen Anstieg des intrazellulären Calciums - das Wachstum von Gefäß- und Herzmuskeln stimulieren. In anderen Versuchen beeinflussten Ouabain, Bufalin und andere endogene Herzglykoside die Zelldifferenzierung (38, 39).
In Herzmuskelzellkulturen wird unter therapeutischen Konzentrationen von Ouabain das Wachstum von Myozyten stimuliert und deren Proteingehalt nimmt zu. Es ist daher möglich, dass die Verdickung der Kammer- und Gefäßmuskulatur unter anderem auch auf einer vermehrten endogenen Sekretion von kardiotonen Steroiden beruht.
Resorptionsrate eventuell viel höher Laut Literatur wird die Substanz nach peroraler Gabe nur in geringem Maße resorbiert. Die anhand der gemessenen Blutspiegel bestimmte Resorptionsquote betrug 1 bis 5 Prozent (40, 41). Hierfür wurden bislang die Anzahl der OH-Gruppen und die daraus resultierende Hydrophilie der Verbindung verantwortlich gemacht. Radioaktives Ouabain reichert sich jedoch nach peroraler Gabe über einige Wochen in den Nebennieren hypertensiver Ratten an und wird dort vermutlich gespeichert (42). Das Glykosid wurde auch bei Menschen in der Nebennierenrinde und im Hypothalamus in erhöhter Konzentration nachgewiesen und wird dort wahrscheinlich gespeichert (43). Daher erscheint die beobachtete schlechte Resorption von Ouabain nach peroraler Applikation in einem anderen Licht: Das gespeicherte Ouabain wird mittels Serumspiegel-Bestimmung oder Messung der Konzentration im Harn nicht erfasst. Die Resorptionsquote von Ouabain könnte damit nach peroraler Gabe wesentlich höher sein als bisher angenommen.
Aufgrund des Hormoncharakters der Substanz und seiner Speicherung sind daher die ermittelten pharmakokinetischen Daten zu hinterfragen. Klarheit könnte hierbei die Ermittlung der Resorptionskinetik mit Hilfe einer Methode mit radioaktiv markiertem Ouabain bringen, bei der auch die Gewebekonzentrationen erfasst werden.
Wie andere Steroidhormone werden auch Ouabain und weitere Herzglykoside an ein spezifisches Protein im Serum gebunden (43). Dieses Eiweiß wird nach vorläufigen Befunden in den resorbierenden Epithelien von Darm, Niere und Lunge gebildet. Es schützt vermutlich unter anderem die Natriumpumpen dieser Epithelien davor, dass bei der Resorption von Herzglykosiden nicht zugleich die Na+-abhängige Resorption der Energiesubstrate Glucose, Aminosäuren, Phosphat et cetera gehemmt wird. Dies würde zu Durchfallerkrankungen und zum Natriumverlust führen. Ouabain hemmt nach heutigem Kenntnisstand jedoch nicht die Glucoseresorption (44). Das Glykosid wird hauptsächlich über die Niere ausgeschieden (40).
Hormonsubstitution ohne Nebenwirkungen? Unter Umständen erschöpft die Hormonsekretion der Nebenieren bei Herzinsuffizienz. Die Gabe von Herzglykosiden dient dann als Hormonsubstitutionstherapie des auch endogen in der Nebennierenrinde gebildeten Ouabains (14, 18 - 21, 45). Mit der richtigen Dosierung könnte es künftig gelingen, einen eventuell vorhandenen Hormonmangel ohne Nebenwirkungen auszugleichen. Wahrscheinlich zirkulieren aber auch andere kardiotone Steroide vom Typ der Cardenolide und der Bufadienolide im Blut.
Fraglich ist bislang, auf welche Weise die Synthese endogener Herzglykoside durch Zufuhr exogener Herzglykoside mit der Nahrung und durch Medikation beeinflußt wird und ob der Abbau dieses neuartigen Hormons in Leber und Niere medikamentös gesteuert werden kann (1).
Literatur:
© 1999 GOVI-Verlag
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